Neues Urteil im Fall BrianGefängnisaufseher wegen Schlägen und Tritten verurteilt
Der Mitarbeiter einer Haftanstalt verpasste Brian zwei Fusstritte und zwei Faustschläge, als dieser wehrlos auf dem Boden lag. Das ist Amtsmissbrauch.
Es geschah am 11. Juli 2019 in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg. An jenem Morgen sollte ein Team von sechs Männern Brian für eine Verlegung in ein anderes Gefängnis der Kantonspolizei Aargau übergeben. Die Situation eskalierte rasch. Brian spuckte den Aufseher an und versuchte ihn zu boxen.
Das Team reagierte umgehend. Die Männer überwältigten den Gefangenen und stülpten ihm eine Spuckhaube über den Kopf, stellten ihn mit einer Elektroschockpistole ruhig, drehten ihn auf den Bauch und legten ihm Handschellen an.
Im Verlauf dieser Aktion verpasste der angespuckte Aufseher Brian zwei Fusstritte und einen Faustschlag ins Gesicht, obwohl dieser bereits am Boden lag und von den übrigen Aufsehern festgehalten wurde. Den zweiten Faustschlag gab es, nachdem der Gefangene gefesselt und bäuchlings auf dem Boden lag. Eine Überwachungskamera zeichnete den Vorfall auf.
Schuldig durch alle Instanzen
Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau sprach den Aufseher deshalb per Strafbefehl des Amtsmissbrauchs und der einfachen Körperverletzung schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 210 Franken. Dagegen erhob der Mann durch alle Instanzen Beschwerde. Mit wenig Erfolg.
Zwar sprach ihn das Bezirksgericht Lenzburg vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung frei – es erhöhte aber die Strafe auf 90 Tagessätze zu 210 Franken. Das Obergericht bestätigte die Strafe und verpflichtete den Mann ausserdem, Brian 1000 Franken Genugtuung zu zahlen. Dieses Urteil hat das Bundesgericht nun bestätigt.
Verteidiger macht Formfehler geltend
Der Beschuldigte und sein Verteidiger hatten einen Freispruch verlangt. Die fraglichen Handlungen seien angemessen und angesichts der Situation erlaubt gewesen. Vor allem aber argumentierte die Verteidigung mit einem Formfehler.
Die Staatsanwaltschaft hatte sich die Aufnahmen der Überwachungskamera beschafft, indem sie eine Hausdurchsuchung in der Strafanstalt anordnete und das Videomaterial beschlagnahmen liess. Das aber ist bei öffentlichen Einrichtungen nicht zulässig. Stattdessen hätte die Staatsanwaltschaft ein Rechtshilfebegehren stellen müssen.
Die Videobilder seien deshalb als Beweismittel nicht zulässig, so der Beschuldigte. Damit hätte seine Aussage gegen jene von Brian gestanden. Denn ohne die Aufnahmen lasse sich nicht zweifelsfrei belegen, was an jenem Morgen passiert sei.
Schlägen und Tritten «wehrlos ausgesetzt»
Das liess das Bundesgericht ebenso wenig gelten wie die Vorinstanzen. Zwar habe sich die Staatsanwaltschaft das Video tatsächlich unrechtmässig beschafft, aber nicht jeder unrechtmässig erlangte Beweis sei unverwertbar.
Die entscheidende Frage sei, ob das öffentliche Interesse des Staates an einer Aufklärung einer Straftat höher einzustufen sei als das Interesse des Beschuldigten an einer rechtlich korrekten Erhebung. Und das sei hier klar der Fall: Die Schläge und Tritte seien weder notwendig noch verhältnismässig gewesen und stellten eine schwere Straftat dar.
Amtsmissbrauch sei ein Verbrechen, hält das Bundesgericht fest. Es gehe um gewichtige Rechtsgüter: Einerseits um den Schutz der Bürger vor Willkür und unkontrollierter staatlicher Macht, andererseits um das Interesse des Staates an pflichtbewussten, zuverlässigen Beamten.
Es sei zwar unbestritten, dass Brian zumindest zu Beginn des Vorfalls aggressiv gewesen sei und «dass er selber durch sein Verhalten die Intervention durch die sechs Vollzugsbeamten ausgelöst hatte». Das ändere aber nichts an der Tatsache, dass der Beschuldigte zugeschlagen und getreten habe, «als die Situation bereits wieder deeskaliert war». Erschwerend komme hinzu, dass Brian eine Spuckhaube trug und deshalb die Fausthiebe gegen sein Gesicht nicht habe komme sehen: «Er war ihnen wehrlos ausgeliefert.»
Damit ist das Urteil des Obergerichts rechtskräftig. Der Aufseher muss 3000 Franken Gerichtskosten zahlen.
Verfahren auch im Kanton Zürich
Auch im Kanton Zürich ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Aufseher, weil sie Brian in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies härter als nötig angegangen haben sollen. Auch hier liegen teils Aufnahmen von Überwachungskameras vor.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft wollte die Vorfälle zuerst gar nicht untersuchen, wurde aber vom Obergericht dazu gezwungen. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen allerdings eingestellt. Dagegen sind zurzeit Beschwerden beim Bundesgericht hängig.
Brian war in der Pöschwies einem äusserst rigiden Regime unterworfen und grösstenteils in Einzelhaft untergebracht. Gegen die dafür Verantwortlichen ist ein weiteres Strafverfahren hängig.
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