Juristische Aufarbeitung geht weiterDie Verfahren rund um Brian K. – ein Überblick
Brian ist auf freiem Fuss. Aber das juristische Ende der Geschichte ist das noch nicht. Denn es laufen noch immer diverse Verfahren.
Dieser Text erschien erstmals am 29. Oktober. Anlässlich der jüngsten Entwicklungen haben wir ihn aktualisiert.
Mehr als sieben Jahre sass Brian K. hinter Gitter – die meiste Zeit davon in Haft, also ohne rechtskräftiges Urteil. Nun kommt er frei und will seinen Traum, Profiboxer zu werden, verwirklichen. Ein Sozialpädagoge wird ihn in den ersten Monaten eng begleiten. Sein Tag soll mit Trainings eng durchgetaktet sein. So jedenfalls sieht es das Konzept von Verteidigung und Angehörigen vor.
Das Ende von Brians Justizgeschichte ist damit aber noch lange nicht erreicht, auch wenn er sich nichts mehr zu Schulden kommen lässt. Nach wie vor laufen diverse Verfahren.
Das sind die wichtigsten Verfahren und deren Protagonisten:
Gegen Brian K.
Der 28-Jährige muss sich zurzeit in zwei Strafverfahren verantworten. Das erste läuft schon seit fast drei Jahren, im zweiten hat das Bezirksgericht Dielsdorf am 8. November 2023 ein wegweisendes Urteil gefällt, das aber noch nicht rechtskräftig ist.
Das Bezirksgericht Dielsdorf hat Brian zwar unter anderem wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Gewalt und Drohung gegen Beamte mit 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis bestraft. Ihm wurden 30 Delikte zur Last gelegt, die er während seiner fast dreieinhalb Jahre dauernden Einzelhaft in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies begangen haben soll. Die meisten davon sah das Gericht als erwiesen an.
Gleichzeitig hat es aber beschlossen, Brian auf freien Fuss zu setzen. Denn mutmasslich hat er die Strafe mit der langjährigen Haft bereits abgesessen. Wegweisend ist das Urteil aber nicht nur wegen der Freilassung, sondern auch deshalb, weil erstmals ein Gericht die Einzelhaft als nicht rechtmässig bezeichnete.
Im ersten Verfahren, das im November 2019 begann, geht es hauptsächlich um einen Vorfall vom Juni 2017 in der Pöschwies. Brian soll damals auf einen Aufseher losgegangen sein. Dazu kommen vor allem Beschimpfungen und Drohungen gegen das Gefängnispersonal.
Im November 2019 verurteilte ihn das Bezirksgericht Dielsdorf deswegen zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis, das Obergericht erhöhte die Strafe auf sechs Jahre und vier Monate. Doch das Bundesgericht hob dieses Urteil im Dezember 2021 auf.
Das Obergericht habe die Vorwürfe der Verteidigung zu wenig gewürdigt. Diese argumentiert, Brian sei in der Pöschwies «unter folterähnlichen Bedingungen» inhaftiert gewesen und habe sich einfach nur dagegen gewehrt. Das Verfahren ist nun wieder am Obergericht hängig, ein neuer Prozesstermin steht noch nicht fest.
Gegen Aufseher
Brians Anwälte haben ihrerseits gegen verschiedene Aufseher Strafanzeige eingereicht, weil sie Brian übermässig hart angefasst haben sollen.
Im Fall eines Aufsehers in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg waren sie erfolgreich: Im August dieses Jahres hat das Bundesgericht den Schuldspruch wegen Amtsmissbrauchs sowie eine Strafe von 90 Tagessätzen zu 210 Franken bestätigt. Der Aufseher hatte dem gefesselten Brian Fusstritte und einen Faustschlag ins Gesicht verpasst.
Im Kanton Zürich laufen Ermittlungen gegen mehrere Aufseher der Pöschwies, die ebenfalls unnötig hart vorgegangen sein sollen. Das Verfahren kommt aber kaum vom Fleck. Warum, ist unklar.
Gegen Ärzte
Im Fr¨ühherbst 2011 wurde der noch nicht ganz 16-jährige Brian nach einem Suizidversuch in die Psychiatrische Universitätsklinik eingeliefert. Weil er dort ein Zimmer demolierte, liessen ihn die Ärzte zwei Wochen lang ans Bett fesseln und sedierten ihn.
Dafür mussten sich die drei Verantwortlichen vor Gericht verantworten. 2020 sprach sie das Bezirksgericht Zürich vom Vorwurf der Freiheitsberaubung frei, 2021 bestätigte das Obergericht den Freispruch. Sie stützten sich dabei auf die Aussage der Ärzte, die Fesselung sei verhältnismässig gewesen. Auch hier griff das Bundesgericht ein: Es hob das Urteil im Juli 2023 auf. Das Obergericht habe die Aussagen der Ärzte nicht durch einen unabhängigen Gutachter überprüft.
Im September 2023 erstattete Brians ehemaliger Hausarzt André Seidenberg Strafanzeige gegen die Mediziner der Pöschwies. Sie hätten den Gefangenen während der Einzelhaft nur unzureichend ärztlich betreut und ihm ungeeignete und möglicherweise gefährliche Medikamente verabreicht. Damit habe für Brian Lebensgefahr bestanden.
Gegen Behörden
Im Zusammenhang mit der jahrelangen Einzelhaft, aber auch mit einer unmenschlichen Behandlung im Gefängnis Pfäffikon, laufen und liefen diverse weitere Verfahren, die hier nicht alle aufgezählt werden sollen. Ein Überblick findet sich auf der Website von Humanrights.ch.
Unter anderem intervenierte Nils Melzer, der damalige UNO-Sonderberichterstatter für Folter, im Fall Brian beim Eidgenössischen Aussendepartement. Er forderte die Schweiz im März 2022 auf, den staatlichen Umgang mit Brian aufzuarbeiten.
Das Bezirksgericht Zürich sprach Brian im Februar 2022 eine Genugtuung von 1000 Franken zu, weil er im Gefängnis Pfäffikon zeitweise auf dem Boden schlafen musste und nur einen Papierumhang als Kleidung bekam.
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