Porträt über Thierry BurkartSeine Batterien waren «so gut wie leer» – nun ist er im Hoffnungs-Modus
Er trat an, um eine Traditionspartei zu einen. Und trimmte sie auf Erfolg. Doch dann ging die Credit Suisse unter. Unterwegs mit dem FDP-Präsidenten, zwei Monate vor den Wahlen.
«Nei, das isch ja de Thierry!» – «Grüezi mitenand, händers guet? Was chani eu bringe?» Thierry Burkart trägt eine Schiebermütze, ein weisses T-Shirt und ein rotes Halstuch («falsche Farbe, aber was will man machen, ist ja nur für einen Abend»). Er notiert auf einem kleinen Block: 1 Flasche Weisswein, 4 Wurst-Käse-Salat, 2 Hörnli mit Ghackets. Burkart serviert im Restaurant der Zunft zur Sankt Cordola. Er sei nicht Mitglied, betont er, aber an der Badenfahrt engagiere er sich immer. Das Restaurant ist aufwendig gebaut aus Holz, am Tresen hängt ein Schild mit der Aufschrift «Bahnhof Baden».
Ein Heimspiel für Thierry Burkart. Aargauer Ständerat. Seit zwei Jahren FDP-Chef. Und auf der Rangliste der beliebtesten Parteipräsidenten stets die Nummer 1.
Burkart scheint den Abend zu geniessen. Nicht alle Abende waren dieses Jahr so angenehm. Der Untergang der Credit Suisse, die gescheiterten Deals zu den Waffenexporten im Parlament, und dann auch noch die Umfragen, in denen es für die FDP plötzlich schlecht aussah. Diesen Frühling wirkte Burkart zeitweise müde, desillusioniert. Ein neues Bild.
Der Sicherheits-Präsident
Angetreten war Burkart als Hoffnungsträger, im Herbst 2021, mit dem Auftrag, eine gespaltene Partei zu einen. Er löste Petra Gössi ab, die versucht hatte, den Freisinn mitten im Klima-Wahljahr auf einen neuen Umweltkurs zu trimmen. Der Widerstand in der Fraktion war heftig, und wenig später verlor die FDP bei den Wahlen, trotz Klima-Kehrtwende oder genau deswegen, je nachdem, wen man fragte. Die Freisinnigen stritten weiter übers Klima, bis Burkart übernahm.
Burkart, quasi der Antagonist von Gössi: ein Rechtsfreisinniger aus dem Atomkanton Aargau, Präsident des Lastwagenverbands. Er sollte die Freisinnigen auf den Erfolgskurs der guten alten Zeiten zurückführen, als Unternehmer noch ungefragt FDP wählten. Die Erwartungen wogen schwer.
Armeeabschaffungsinitiative habe Burkart politisiert
Burkart schien das nicht zu belasten. Ein neues Klimapapier sorgte in seinen ersten Monaten als Parteipräsident für ein letztes Aufbäumen der Umweltfreisinnigen, dann kehrte Ruhe ein, zumindest nach aussen. Die FDP-Wählerinnen und -Wähler goutierten das. In mehreren Kantonen gewannen die Freisinnigen wieder, nachdem es lange und ausdauernd abwärts gegangen war. Als der Ukraine-Krieg ausbrach, positionierte der Sicherheitspolitiker Burkart seine Partei schnell, gab glasklare Interviews.
Dann aber begann im Parlament das Ringen um eine Lösung, die indirekte Waffenexporte in die Ukraine erlauben würde. Und da kamen sie, die ersten Risse in Burkarts Makellos-Fassade.
Burkart, militärischer Grad Hauptmann, ist Präsident der Allianz Sicherheit Schweiz, einer Art Anti-GSoA. Als 13-Jähriger ging er mit seinem Sackgeld in die Drogerie in Nussbaumen, kopierte Flugblätter gegen die Armeeabschaffungsinitiative und verteilte sie. Er sagt, das habe ihn politisiert.
Burkart gewichtet das Thema Sicherheit stärker als viele seiner Vorgänger an der FDP-Spitze. Er will unbedingt die Regeln für die Waffen-Wiederausfuhr lockern. «Es geht um die Verteidigung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit.» Neben der Ukraine will er auch der Schweizer Rüstungsindustrie helfen. Die Themen Wirtschaft, Sicherheit, Energie: Sie sind Burkarts freisinnige Dreifaltigkeit.
Von links und rechts schossen alle gegen Burkart
Im Frühling brütete der Anwalt stundenlang über den juristischen Details des Waffenexportgesetzes, suchte Kompromisse. Zuerst mit der SVP, dann mit der SP. Ein Versuch nach dem anderen scheiterte. Auch, weil weder die SP noch die FDP geeint waren in der Frage.
Im Bundeshaus kursierte zu dieser Zeit das Gerücht, Burkart habe mit seinem Rücktritt gedroht, falls die eigenen Leute im Ständerat seinen Waffenexport-Vorstoss nicht unterstützten. «Er hat angedeutet, er verliere die Freude am Amt, wenn er seine Leute bei wichtigen Fragen nicht hinter sich wisse», erzählt jemand aus der Fraktion. Eine zweite Person sagt – ebenfalls anonym: «Das war klar als Drohung zu verstehen.»
Burkart stellt es anders dar: «Auch als Parteipräsident gibt es Tage, an denen man denkt: ‹Wieso habe ich mir das angetan?› Ich glaube, die meisten erleben das in ihrem Beruf irgendwann.» Vielleicht habe er deshalb im persönlichen Gespräch einem Parteikollegen gesagt, so mache ihm der Job keine Freude mehr. «Aber mit dem Rücktritt habe ich sicher nicht gedroht.» Grundsätzlich sei er «sehr gerne» Parteipräsident.
Als die Frühlingssession zu Ende war, und es eine kurze Pause gab in der Debatte um die Waffenexporte, ging die Credit Suisse unter. Und die Leute erinnerten sich wieder an den Freisinn, die Bankenpartei. Von links und rechts schossen alle gegen Burkart, vielleicht noch mehr als gegen die FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter.
Burkart «stand an die Front», wie er es formuliert, verteidigte den Freisinn. Aber er wirkte abgekämpft, teils genervt. Dazu sagt er: «Ich wurde von gewissen Kreisen als Neutralitätsabschaffer dargestellt. Dann kam die CS dazu. Meine Batterien waren so gut wie leer.»
Funkstille
Wenn sich Burkart richtig aufregt, schweigt er. Manchmal tage- bis wochenlang. So erzählen es mehrere Personen unabhängig voneinander. «Funkstille», nennt es Maja Riniker, wie Burkart FDP-Sicherheitspolitikerin aus dem Aargau, die sonst nur lobende Worte für ihren Parteipräsidenten findet («immer auf Platz, extrem zuverlässig, motivierend»).
Funkstille herrschte etwa, nachdem Maja Riniker vorgeschlagen hatte, 96 ausgemusterte Leopard-Panzer der Schweizer Armee an Deutschland zu verkaufen, um indirekt der Ukraine zu helfen. Die Idee war nicht abgesprochen, Burkart zeigte seine Skepsis auch öffentlich. Heute sagt er dazu: «Ich war von Anfang an überzeugt, dass wir einen Teil der Panzer selbst noch benötigen und reaktivieren sollten. Ich wollte eine saubere Abklärung.» Inzwischen geht es nur noch um 25 Panzer, und Burkart steht hinter der Idee.
Diesen Sommer sagte Burkart in einem Interview mit der NZZ, er habe sich vor kurzem eingestanden, dass er «manchmal zu emotional reagiere». Markus Birchmeier, Bauunternehmer aus dem Aargau, erklärt, was das heissen kann: «Thierry hat auch eine sehr feinfühlige und verletzliche Seite. Im Gegensatz zu vielen anderen wird er dann ruhig und poltert nicht herum. Gute Freunde wissen das und können ihn dann auch abholen.»
Birchmeier und Burkart haben sich vor 15 Jahren auf einem Schwingfest kennen gelernt. Birchmeier, der Schwinger, und Burkart, der Organisator. Heute sitzt Burkart im Verwaltungsrat von Birchmeiers Firma, ist Götti seines jüngsten Sohnes. Burkart selbst hat keine Kinder, lebt aber mit seiner Partnerin und deren Kindern zusammen. Birchmeier beschreibt ihn als «loyal, extrem verlässlich und humorvoll». Die grosse Kontrolliertheit, die er in der Öffentlichkeit zeige, könne er im kleinen Kreis auch ablegen. Etwa, wenn er spontan mit der Idee komme, zu schwingen, gleich hier und jetzt. Kam Birchmeier mit einer zerrissenen Gurtschlaufe nach Hause, hiess es jeweils: «Ah, du warst wieder mit Thierry unterwegs.» Wann das zuletzt passiert ist, will Birchmeier nicht verraten.
«Solangs nöd die Linke sind»
Zurück an der Badenfahrt. An den langen Tischen des Restaurants «Stazione 100» sitzen an diesem Abend fast ausnahmslos Männer. Sie sind «Ambassadoren», ihren Club vergleichen sie mit Rotary. Unter ihnen ist auch Theo Voegtli, ehemaliger Präsident der Aargauer CVP. Er kennt Burkart aus der Zeit, als dieser Präsident der FDP Aargau war: «Mit Thierry konnte man immer mischeln und eine Lösung finden, die für beide passte.»
Burkart tritt an den Tisch, schenkt geschickt Weisswein aus, er hat während des Studiums als Nebenjob in der Soda Music Bar in Baden gearbeitet. Einer der Männer ruft: «Bisch du bide SVP? Du chunnsch drus.» Ein anderer schiebt nach: «Müemer jetzt FDP wäle im Herbscht?». Burkart grinst. «Ja klar.» Sein Gegenüber erhebt das Glas: «Solangs nöd die Linke sind.»
FDP und SVP gehen dieses Jahr für die nationalen Wahlen dreimal mehr Listenverbindungen ein als noch 2019. Burkart bekommt deswegen viele Mails. Darauf angesprochen, wird seine Stimme etwas tiefer. Er spricht lauter, bestimmter. Verteidigungsmodus. «Es geht um Mathematik, nicht darum, dass wir immer die gleichen Positionen vertreten.»
Die «Weltwoche» schrieb Anfang Jahr gar, die FDP sei unter Burkart «so links wie noch nie». Aber Burkart grenzt sich klar nach links ab. Während manche Freisinnige etwa die GLP gern in ihre Partei integrieren würden, sagt Burkart: «Das ist für mich kein Ziel, auch langfristig nicht.» Die Grünliberalen würden sich stark nach links orientieren. Burkart, der die Freisinnigen wieder von Gössis Klimakurs weggeführt hat, sieht die GLP auch nicht als Gefahr.
Neue AKW im alten Mantel
Vor kurzem hat Burkart in der Klimapolitik eine Zerreissprobe überstanden. Erneut. Die FDP-Basis stimmte mehrheitlich für das Klimaschutzgesetz. Trotz hoher Subventionen, eigentlich ein No-go für die Freisinnigen. Doch einfacher wird es nicht, die Linke will bald über Verbote sprechen. Noch so ein Wort, bei dem Freisinnige zusammenzucken.
Ein Mittwochmittag in Zürich, Burkart sitzt an einem Tisch auf dem Zürcher Bauschänzli. Es ist ein warmer Sommertag, und doch redet der FDP-Chef vom Winter, von der drohenden Energieknappheit. Die Fischknusperli auf dem Teller vor ihm hat Burkart noch nicht probiert. Stattdessen rechnet er Terawattstunden hoch und runter. Um zu zeigen: «Ohne Kernkraft geht es nicht.»
Burkarts Sätze sind druckreif, trotzdem wirken sie nicht auswendig gelernt, er hängt sie aneinander, ohnepunktundkomma, ausser, wenn ihm etwas besonders wichtig ist, dann hält er inne und strukturiert: erstens. Zweitens. Egal, wie lange er dann spricht: Das Drittens vergisst er nicht.
Dass Burkart inzwischen neue AKW fordert, sieht er nicht als Kurswechsel zur bisherigen FDP-Haltung, die Laufzeiten der alten Werke zu verlängern: «Man kann auch einfach sehr viel investieren in die bestehenden Kraftwerke. Dann sind es faktisch neue AKW, einfach am gleichen Standort.»
Neue AKW im Mantel der alten: Es gibt durchaus Freisinnige, die finden, das sei die falsche Strategie. Aber sie sagen, sie wollen das nicht in den Medien ausdiskutieren.
Probleme weglächeln
Wie bei den AKW geht Burkart auch sonst gern voran, positioniert sich pointiert, ohne sich mit anderen abzusprechen. Was seine Kritiker stört, loben diejenigen, die seine Position teilen, als Führungsstärke. Etwa Christian Wasserfallen: «Er gibt eine klare Richtung vor, das ist sein Job als Parteipräsident.»
Neben dem Präsidenten bleibt wenig Platz. Wer neu oder zurückhaltend ist, kann sich in der FDP-Fraktion derzeit schwer etablieren. Darauf angesprochen, sagt Burkart: «Ich bin sanft gegenüber denjenigen, die es nötig haben, aber streng gegenüber Menschen, die in unserer Gesellschaft eine gewisse Position erreicht haben. Wer im Parlament ist, kann die Ellbogen ausfahren.»
«Aber Die Mitte vor der FDP? Das gab es selbst in den Umfragen nie, und es wird auch nicht passieren.»
Vom abgekämpften Thierry Burkart ist zwei Monate vor den Wahlen nichts mehr zu sehen. Er dominiert das Bild seiner Partei, auf allen Kanälen lächelt er Probleme weg: AKW? «Da erwarte ich parteiintern keine grosse Debatte.» Waffenexporte? «Irgendwann finden wir eine Lösung.» Auch für die schlechten Umfragewerte hat Burkart eine Erklärung parat: «Das lag vor allem an der CS-Krise.»
In der letzten SRG-Umfrage war Die Mitte fast gleichauf wie die FDP. Überholt die ehemalige CVP den Freisinn, dann wäre das eine historische Niederlage. Zumal Burkart sich eigentlich zum Ziel gesetzt hatte, die SP zu überholen – womit die FDP zweitstärkste Partei würde.
Mit Rang zwei wird es schwierig, das gesteht Burkart ein. «Aber Die Mitte vor der FDP? Das gab es selbst in den Umfragen nie, und es wird auch nicht passieren.» Die Ausgangslage bei den Ständeratswahlen gibt Burkart recht: Dort stehen die Chancen gut, dass die FDP Sitze dazugewinnt.
Aber was, wenn die jüngsten Massenentlassungen bei der UBS der FDP schaden? Wenn die FDP bei den Wahlen im Herbst tatsächlich verliert? Würde er dann weiter Parteipräsident bleiben? Burkart sagt zuerst, er beantworte keine «hypothetischen Fragen». Und tut es dann doch. «Als Parteipräsident will ich Verantwortung übernehmen. Das heisst für mich aber nicht zwingend, zurückzutreten, wenn es schlecht läuft. Ganz im Gegenteil.»
Ganz im Gegenteil. Burkart gibt im Moment wieder den Hoffnungsträger, als der er angetreten ist.
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