Provokation in PolenDuda lädt Netanyahu zum Auschwitz-Gedenktag ein
Gegen Israels Premier liegt ein Haftbefehl vor. Könnte er dennoch am Gedenkakt zur Befreiung des KZ Auschwitz teilnehmen? Darüber wird in Polen gerade gestritten.

Der Name Benjamin Netanyahu kommt in der Erklärung des polnischen Ministerrates vom Donnerstag gar nicht vor. Aber gemeint ist der israelische Ministerpräsident doch. Die Regierung der Republik Polen gewährleiste den ranghöchsten Vertretern des Staates Israel «freien und sicheren Zugang» zum Gedenkakt am 27. Januar, an dem der Befreiung des grössten deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz vor 80 Jahren gedacht werde.
Allerdings liegt gegen Benjamin Netanyahu ein Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag vor. Der Gerichtshof wirft Netanyahu Kriegsverbrechen in Gaza vor. Mitgliedsländer des Gerichtshofes wie Polen und die anderen EU-Staaten müssten Netanyahu festnehmen, wenn er ihren Boden betritt.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte schon im Herbst klargestellt, dass er sich an den Haftbefehl nicht gebunden fühlt, und Netanyahu sogar extra eingeladen. Nun stiess der polnische Präsident Andrzej Duda in seinem Land eine ganz ähnliche Debatte an, indem er Ministerpräsident Tusk offiziell darum bat, Netanyahu eine Teilnahme am Gedenken in Auschwitz zu ermöglichen.
Das Verhältnis Warschau-Jerusalem ist schon länger angespannt
Tusk beeilte sich, mitzuteilen, dass seine Regierung ohnehin über diese Möglichkeit nachgedacht habe, unabhängig von der Bitte Dudas. Das Verhältnis von Präsident und Premier ist schlecht, dass Duda, der der rechtsnationalistischen PiS-Partei nahesteht, den liberalkonservativen Tusk mindestens ärgern wollte, erscheint allzu offensichtlich.
Denn nun zieht er Tusk, zu dessen Selbstverständnis es gehört, sich – anders als PiS – zu allen internationalen Mitgliedschaften Polens zu bekennen und sich aktiv einzubringen, auf diplomatisches Glatteis. Duda und die PiS kann das auch deshalb freuen, weil die Tusk-Regierung die Beziehungen zu Ungarn eingefroren hat, seitdem Ungarn einem PiS-Abgeordneten politisches Asyl gewährt hat. Dieser wurde mit europäischem Haftbefehl gesucht, ihm wird unter anderem Veruntreuung und Unterschlagung von Staatsgeld vorgeworfen. Nun zwingt die PiS Tusk zu einer ähnlichen Zusage, wenn auch in einem nicht vergleichbaren Fall.
Die Beziehungen zwischen Polen und Israel sind seit Jahren angespannt. Unter der PiS-Regierung stritten die Länder über den Anteil polnischer Bürger am Holocaust, etwa indem sie jüdische Nachbarn verrieten. PiS wertete jegliche solche Vorwürfe als Polen-feindlich, Israel warf der polnischen Regierung Antisemitismus vor.
Seit vergangenem Frühjahr gibt es ein neues Streitthema, denn bei einem Angriff der israelischen Armee auf einen Hilfskonvoi in Gaza starb auch ein polnischer Staatsbürger. Er hatte für die Organisation World Central Kitchen gearbeitet. In der polnischen Öffentlichkeit, vor allem im linken, städtischen und kulturellen Milieu sind Solidaritätsbekenntnisse zu Gaza verbreitet. Immer wieder sieht man auf Strassen und an Hauswänden «Free Palestine»-Schriftzüge.
Hinsichtlich Netanyahus kommt hinzu, dass dieser ein ausgesprochener Fan des zukünftigen US-Präsidenten Donald Trump ist, ebenso wie viele PiS-Abgeordnete. Ganz anders als Donald Tusk, der die Europäer warnt und aufruft, angesichts dieses Präsidenten besser zusammenzuarbeiten.
Auch die Frage, ob Russland teilnimmt, ist heikel
Die Gedenkstätte Auschwitz legt grossen Wert darauf, dass das Gedenken an die Opfer der deutschen Verbrechen und des Völkermordes nicht politisch benutzt wird. Es werden keine Politiker an der Gedenkfeier sprechen, sondern nur Überlebende des Holocausts – bei diesem runden Jahrestag wohl wirklich zum letzten Mal.

Dass Netanyahu tatsächlich anreisen wird, gilt als unwahrscheinlich. Aus den meisten Ländern reisen wie schon bei früheren Gedenkfeiern die Präsidenten an, im Falle Israels wäre das Isaac Herzog. Die Gedenkfeier steht unter dem Patronat von Präsident Andrzej Duda, es ist aber die Gedenkstätte Auschwitz selbst, die Informationen zum Gedenktag an die Botschaften der EU-Staaten und an weitere Länder schickt. Diese entscheiden selbst über die Zusammenstellung ihrer Delegation, die auch von Ministern oder Botschaftern geleitet werden können. Wer das im Falle Israels sein wird, ist bislang nicht offiziell bekannt.
Heikel ist seit vielen Jahren zudem die Frage nach der russischen Teilnahme. Schliesslich war es die Rote Armee, die am 27. Januar 1945 die Tore des Lagers öffnete. Mehr als 1,1 Million Menschen aus ganz Europa hatten die deutschen Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet. Die meisten von ihnen waren Juden, vor allem aus Ungarn und Polen.
Russlands Präsident Wladimir Putin, gegen den ebenfalls ein Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofes vorliegt, nahm zuletzt 2005 an einer Gedenkfeier in Auschwitz teil. Denkbar wäre eine Teilnahme russischer Botschaftsvertreter.
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