Interview mit Polarforscher«Tausend Pinguine bilden eine Kuscheleinheit»
Lange wusste man wenig über das Leben der Kaiserpinguine. Heute beobachten Forschende sie per Satellit. Mit spektakulären Einsichten, sagt Peter Fretwell.
Peter Fretwell ist Geograf beim British Antarctic Survey in Cambridge, dem Polarforschungsprogramm des Vereinigten Königreichs, das drei Forschungsstationen und zwei Feldstationen in der Antarktis unterhält. Der 57-Jährige erforscht mit Satellitentechnik und mit Feldstudien Kaiserpinguine. Sechsmal war er bereits in der Antarktis, viermal davon bei den Pinguinen. Zuletzt hat er viel über das Schicksal von Pinguinkolonien berichtet, die wegen der Erderwärmung und zu früh schmelzendem Eis in grosse Nöte gekommen sind.
Wie kamen Sie als Geograf auf die Pinguine, Herr Fretwell?
Ich habe 2008 auf Satellitenaufnahmen erstmals Kolonien von Kaiserpinguinen auf dem Meereis gesehen. Damals hatten wir wenig Wissen darüber, wo genau sie lebten und brüteten, wie viele es gab. Aber seit wir Pinguine mithilfe von hochauflösenden Satellitenbildern erforschen können, hat sich meine Arbeit vollkommen verändert. In den vergangenen 15 Jahren haben wir sehr viel über diese aussergewöhnlichen Tiere und ihr Verhalten gelernt. Wir können jetzt ziemlich gut einschätzen, dass es derzeit 66 Kolonien rund um den antarktischen Kontinent mit 260’000 Brutpaaren gibt. Zusammen mit den Jungtieren sind es wohl 600’000 Kaiserpinguine. Sie bewegen sich sehr viel, je nachdem, wie sich das Eis verändert. Das geht durch den Klimawandel schneller als früher.
In den vergangenen Monaten haben Sie immer wieder über das Schicksal der in Ihren Worten «vom grössten Pech verfolgten Pinguine der Welt» berichtet. Was ist den Tieren passiert?
Die Kolonie an der Halley Bay beobachten wir schon lange. In den letzten zwei Jahren haben die Tiere ihren Brutplatz verlegt, in ein Tal zwischen zwei grossen Eisschelfen. Im Januar 2024 brach ein Eisberg ab und blockierte den Meereszugang der Kolonie. Es bestand die Gefahr, dass die Elterntiere nicht mehr Fisch fangen konnten, um sich und ihre Küken zu versorgen, und wir die ganze Kolonie verlieren würden. Während der Dunkelheit konnten wir aber natürlich nichts sehen mit den Satelliten.
Und als im September das Licht zurückkam?
Da waren wir überrascht und erleichtert: Die Pinguine waren noch da, sie hatten also irgendwie überlebt. Vielleicht war es ihnen gelungen, in einem schmalen Spalt unter dem Eisberg durchzutauchen. Pinguine können bis zu einem halben Kilometer tief tauchen und bis zu 25 Minuten unter Wasser bleiben.
Also ein Happy End?
Leider nicht. Denn vor kurzem ist auch noch genau das Stück Eis abgebrochen, auf dem die Kolonie sitzt. Ein winziger Eisberg von vielleicht 20 mal 20 Metern. Der driftet nun mit den Pinguinküken darauf durch das Weddellmeer. Es ist leider sehr unwahrscheinlich, dass sie überleben werden. Denn die Küken haben noch kein wasserfestes Gefieder. Das kommt erst ab Mitte Dezember, erst dann können sie schwimmen. Würden sie vorher ins Wasser fallen, ertränken sie bedauerlicherweise. Hinzu kommt, dass der Eisberg viele Kilometer pro Tag driftet. Das heisst, die Eltern finden ihn unter Umständen nicht mehr, wenn sie von der Futtersuche zurückkommen, um ihre Jungen zu füttern. Es macht mich sehr traurig.
Warum können Pinguine nicht fliegen, obwohl sie Flügel haben?
Wir glauben, dass Pinguine sich bereits vor 60 Millionen Jahren von flugfähigen zu flugunfähigen Vögeln entwickelt haben. Sie haben sich an das Leben im Wasser angepasst, sie sind aussergewöhnlich gute Schwimmer und Taucher. Sie benutzen ihre Flügel sehr geschickt, wenn sie ins Wasser tauchen. Viel besser, als fliegende Seevögel das können.
Kaiserpinguine sind die einzigen Vögel, die mitten im eiskalten antarktischen Winter brüten, weshalb?
Das hat mehrere Gründe. Da sie mit bis zu 120 Zentimetern Körpergrösse und bis zu 45 Kilogramm Gewicht die grössten Pinguine sind, brauchen die Küken sehr lange, bis sie ausgewachsen sind. Ich durfte sie zu Forschungszwecken schon heben, die sind wirklich beeindruckend schwer. Kleinere Pinguinarten schaffen die Brut hingegen im Laufe des antarktischen Sommers. Ein anderer Grund für die aussergewöhnliche Brutzeit ist, dass sie im antarktischen Winter, der unser Sommer ist, keine Futterkonkurrenten und keine Fressfeinde haben.
Die Weibchen machen sich nach der Eiablage aus dem Staub und überlassen das Brüten den Männchen, warum?
Vielleicht, weil die Männchen grösser sind und so höhere Chancen haben, in der Kälte zu überleben. Aber der Brutkreislauf der Kaiserpinguine ist insgesamt unglaublich. Sie erreichen etwa im März, im antarktischen Herbst, ihre Brutplätze auf dem stabilen Meereis nahe der Küste. Zwischen Mai und Juni legen die Weibchen ein Ei und übergeben es sofort dem Männchen, das es in einer Bauchfalte über seinen Füssen unter dem dichten Gefieder warm hält. Dann machen sich die Weibchen auf ins Meer, um zu fressen.
Und lassen die Männchen alleine weiterbrüten?
Nach sechs Wochen, etwa Anfang August, schlüpfen die Küken, und erst dann kommen die Weibchen mit dem Magen voll vorverdautem Fisch zurück. Manchmal dauert es aber auch ein paar Tage länger, bis sie kommen. In dieser Zeit können die Männchen, die sechs Wochen lang nichts gefressen haben, die kleinen Küken mit einer wachsartigen Nährlösung aus ihrer Speiseröhre füttern, damit sie nicht verhungern. Dann übergeben sie die Küken an die Weibchen und tauchen ins Meer, um selbst zu fressen. Die Männchen können in den sechs Wochen 30 bis 40 Prozent ihres Körpergewichts verlieren. Sind die Küken grösser und kälteresistenter, werden sie ab etwa Ende Oktober von beiden Elternteilen gefüttert.
Wie finden die Elterntiere in der Kolonie mit Tausenden gleich aussehenden Küken ihr eigenes?
Das funktioniert über einen ganz individuellen Ruf, der bei jedem Küken anders ist und bei jedem erwachsenen Tier auch. Die Jungen flöten in einer hohen Tonlage, die Alten trompeten eher tief. Aber im Frühling und Sommer teilen sich die grossen Kolonien in mehrere kleinere Gruppen mit ein paar Hundert Tieren auf, dann ist es etwas einfacher.
Wie können die Tiere bei bis zu minus 60 Grad und Sturm überhaupt überleben?
Es ist vor allem das extrem dichte Federkleid, das sie vor dem Auskühlen schützt. Kaiserpinguine haben 15 verschiedene Arten von Federn, vor allem sehr warme Daunen. Aber sie könnten trotzdem nicht überleben, wenn sie nicht so soziale Tiere wären. Sie kuscheln sich eng zusammen, etwa 1000 Tiere bilden so eine Kuscheleinheit. Die ist ständig in Bewegung.
Und das hält sie warm?
In der Mitte der Gruppe kann es bis zu 20, 25 Grad plus haben, am Aussenrand bis zu minus 60 Grad. Deshalb wechseln die Tiere ständig ihren Platz: Die von ganz aussen begeben sich ins Zentrum, und die dortigen Tiere, für die 20 Grad auf Dauer viel zu warm sind, suchen sich kühlere Stellen. Auf den Satellitenbildern können wir sehen, dass sich die ganze Kolonie von der Hauptwindrichtung wegbewegt über das Eis.
Wie stark wirkt sich die Erderwärmung auf die Pinguine aus?
Das Hauptproblem ist das Meereis, auf dem sie leben und brüten. Dieses Eis war bis 2016 ziemlich stabil, wuchs teilweise sogar. Aber seit nunmehr acht Jahren hat sich das drastisch verändert. Jedes Jahr schmilzt und zerbricht es früher. Und da passiert es, dass noch nicht schwimmfähige Küken mit nicht wasserfestem Gefieder ins Meer fallen und sterben.
Wie 2022, das ein besonders warmes Jahr in der Antarktis war.
Ja, da verloren in der Bellingshausensee vier von fünf Kolonien alle ihre Küken. Eine Kolonie kann 10’000, manchmal auch 20’000 Brutpaare haben, also auch so viele Küken. Leider passiert so etwas immer öfter, auch an anderen Stellen. Warum sich das in so wenigen Jahren so drastisch verändert hat, wissen wir nicht genau. Es gibt eine Theorie, dass wärmere Wasserschichten aus mittleren Tiefen nach oben gelangen und das Eis dadurch viel schneller schmilzt. Auch zunehmende Winde könnten eine Rolle spielen. Und während im Sommer etwa auf der antarktischen Halbinsel Temperaturen von null bis maximal 10 Grad normal waren, messen wir in den letzten Jahren sogar 20 Grad, das war seit Beginn der Messungen in den 1940er-Jahren noch nie zuvor der Fall.
«Wenn ich mich aufs Eis setze, kommen sie gleich näher, um zu schauen, was das für ein Wesen ist.»
Können sich die Kaiserpinguine an die neue Situation anpassen?
Sie können sich woanders hinbewegen, ja. Aber ihr langer Brutzyklus lässt sich nicht ändern. Wenn sie besseres, stabileres Eis erreichen können, dann tun sie das auch, das haben wir schon beobachtet. Aber wenn es gar kein stabiles Eis mehr gibt an ihren angestammten Stellen, dann gibt es dort auch keine Pinguine mehr. Es ist also nicht so sehr die Frage, ob Pinguine sich anpassen können, sondern ob wir Menschen es schaffen, die drastische Erderwärmung aufzuhalten, indem wir sehr bald auf fossile Brennstoffe verzichten. Denn es sind ja nicht nur die Kaiserpinguine, sondern sehr viele Arten auf der Welt durch die Klimakrise bedroht, nicht zuletzt unsere eigene Spezies.
Sie waren schon mehrmals bei den Pinguinen auf dem Eis. Sind die Tiere in echt auch so niedlich, wie man das von Bildern kennt?
Noch niedlicher! Ich war vier Mal bei den Tieren draussen. Es ist relativ laut, weil sie die ganze Zeit rufen. Sie sind sehr soziale Tiere, und sie sind neugierig. Wenn ich mich dort aufs Eis setze, kommen sie gleich näher, um zu schauen, was das für ein Wesen ist. Die erwachsenen Tiere sind gross und majestätisch. Sie verbringen viel Zeit auf dem Eis, ich glaube, da ist so ein Menschenbesuch für sie eine willkommene Abwechslung zur sonstigen Langeweile. Scheu sind sie gar nicht, weil sie keine Fressfeinde an Land haben. Nur manche Seevögel können den Küken gefährlich werden. Die Küken sind supersüss, und solange man sie nicht wegnimmt, tun die Eltern einem nichts. Es stinkt natürlich schon auch nach ihrem Kot, allerdings nicht so stark, weil der meistens gefroren ist.
Campen Sie auf dem Eis während Ihrer Arbeit?
Für die Erforschung der Pinguine fliegen wir – vom Schiff aus – mit Drohnen über die Kolonien, um die Satellitenbilder zu kalibrieren. So können wir auch wirklich alle Tiere inklusive der Küken zählen. Wir gehen aber auch aufs Eis, untersuchen die Tiere und schlafen dann wieder auf dem Schiff. Für andere Forschungsarbeiten habe ich aber schon öfter auf dem Eis gecampt, insgesamt acht Wochen. Wir nutzen dazu grosse Zelte und sehr gute Ausrüstung. Auf dem Meereis stellen Spalten und Bewegungen des Eises die grösste Gefahr dar. Wir haben deshalb immer einen erfahrenen Guide dabei, der sich mit den Bewegungen des Eises gut auskennt.
Und was machen Sie bei schlechtem Wetter?
Wir müssen dann oft tagelang im Zelt bleiben. Denn starker Wind und Whiteout-Bedingungen, wenn man also nichts mehr sehen kann, sind sehr gefährlich. Die Zeit im Zelt vertreibe ich mir vor allem mit Lesen und Schlafen.
Was halten Sie von Tourismus in der Antarktis?
Nun ja, wenn er gut organisiert ist, dann ist das schon okay. Es gibt Studien, die keinerlei Auswirkungen auf das Brutverhalten durch Touristenbesuche zeigen. Zu den Kaiserpinguinen kommen ohnehin nur sehr wenige Touristen, weil man dafür einen Eisbrecher braucht und das sehr teuer ist. Aber auch die kleineren Pinguinarten, die leichter zu erreichen sind, haben bisher wohl keinen Schaden davongetragen. Natürlich darf es nicht zu viel werden, und in den vergangenen Jahren hat der Antarktis-Tourismus stark zugenommen. Wir müssen das also weiter beobachten.
Wie wahrscheinlich ist es, dass es Pinguine auch in 100 Jahren noch geben wird?
Nach unseren Berechnungen, die auf den Eis-Vorhersage-Modellen des IPCC beruhen, werden bis zum Ende dieses Jahrhunderts fast alle Kaiserpinguin-Kolonien verschwunden sein. Nach unseren aktuellen Recherchen scheint es, dass die Modelle zu optimistisch sind und die Pinguine nicht mehr bis 2100 Zeit haben.
Können wir das noch vermeiden?
Ich habe noch Hoffnung. Wenn wir unseren CO₂-Ausstoss schnell reduzieren, reicht es noch, um die starke Erderwärmung zu stoppen. Aber wir müssen das in den nächsten ein oder zwei Jahrzehnten tun, denn es wird danach auch Zeit brauchen, das System wieder dort hinzubringen, wo es vorher war.
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