Neue Betrugsmasche im OnlinehandelPlötzlich verlangt ein Inkassobüro grundlos Geld von Daniel Oertli
Ein Unternehmen forderte von einem Leser Geld für eine Bestellung, die er weder aufgegeben noch erhalten hat. Der Polizei ist die Betrugsmasche bekannt. Wie sich Betroffene wehren können.
Mit «Letzte Mahnung» ist das Schreiben betitelt, das Daniel Oertli Mitte Juli in seinem Briefkasten findet. Die Adresse ist korrekt, doch er kann die Forderung nicht zuordnen. Wie Oertli dem Mahnschreiben entnimmt, geht es um die teuren Parfüme «Xerjoff V-Collection Soprano» und «Tom Ford Bitter Peach». Hinzu kommt ein Bart-Shampoo.
Diese Produkte hat er weder bestellt noch erhalten. Zusammen mit Mahngebühren soll er nun dafür innerhalb weniger Tage 514 Franken bezahlen. Darin enthalten ist ein Zuschlag für Mahngebühren im Umfang von 42 Franken.
Das Mahnschreiben stammt von Klarna. Das ist eine international tätige Anbieterin von Zahlungsdienstleistungen mit Sitz in Schweden. Sie wirbt unter anderem mit dem Slogan «Shoppe jetzt – bezahle später». Unternehmen können Forderungen an Klarna abtreten, die anschliessend das Inkasso übernimmt. Gemäss dem Mahnschreiben von Klarna wurden die Parfüme Ende April bei der Onlinehändlerin Easycosmetic.ch bestellt. Eine Rechnung hat Daniel Oertli nie erhalten.
Teils stecken organisierte Gruppen dahinter
Von der Inkassostelle Klarna erfährt er, dass die Bestellung von einer verdächtigen Mailadresse aus erfolgt ist: Sie enthält eine komplizierte Buchstabenreihe ohne Hinweis auf einen Namen. Klarna fordert Oertli auf, bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Auf dem Polizeiposten erfährt er, dass dies kein Einzelfall sei und dass die zuständigen Inkassobüros gelegentlich grossen Druck ausübten. Später erzählen ihm zwei Kollegen, dass sie Ähnliches erlebt hätten. Was aber im Hintergrund abgelaufen ist, bleibt für Oertli rätselhaft.
Klarna will sich nicht dazu äussern. Nachfragen bei der zuständigen Polizeistelle in Winterthur, bei der Cybercrime-Abteilung der Kantonspolizei Zürich und beim Nationalen Zentrum für Cybersicherheit helfen aber, ein Bild dieses Betrugsmodells zu zeichnen.
Demnach stecken manchmal Einzeltäter, manchmal aber auch organisierte Gruppen dahinter, die häufig von anderen Ländern aus handeln. Die Vorgehensweise kann sich unterscheiden. In der Regel missbraucht die Täterschaft aber die Identität einer fremden und unbescholtenen Person oder Onlinezahlungssysteme.
Anschliessend folgt der Ablauf folgendem Muster: Die Betrüger bestellen bei Onlineshops auf fremden Namen und fremde Rechnung mit falschen Mailadressen meist hochpreisige Produkte. Die Warenlieferung wird dann vor Ort an der Wohnadresse des Rechnungsempfängers entgegengenommen. Die Täterin oder der Täter passt den Postboten ab und gibt sich als Empfänger aus.
Als Variante kommt es auch vor, dass das Paket umgeleitet wird, sobald den Tätern eine Versandbestätigung vorliegt. Die Umleitung erfolgt an eine andere Adresse, zum Beispiel zu einem Hotel oder an «My Post 24», wo Pakete aus einem Ablagefach rund um die Uhr abgeholt werden können.
Unterstützung von Schweizer Paketagenten
Manchmal werden auch Paketagenten eingesetzt – Fachleute sprechen von «Package Mules». Sie erhalten das Paket an ihre Wohnadresse in der Schweiz geschickt. Dann senden sie es umgehend an eine Adresse im Ausland und werden dafür entschädigt. In seltenen Fällen befördern die Paketagenten die Waren selber ins Ausland.
Im vorliegenden Fall von Daniel Oertli war bis Redaktionsschluss nicht bekannt, an welche Adresse das Paket geliefert worden ist.
Für Betroffene, die mit ungerechtfertigten Forderungen konfrontiert werden, gilt Folgendes: Sie sollten keinesfalls für etwas bezahlen, das sie weder bestellt noch erhalten haben. Wenn die für die Bestellung verantwortliche Person nicht auffindbar ist, haftet grundsätzlich die Versandhandelsfirma oder das Inkassobüro, das die Forderung übernommen hat, für den Schaden. Eine Anzeige bei der Polizei hilft, die Forderung abzuwenden. Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, kann diese zur Unterstützung einschalten.
Klarna lenkt ein
Klarna räumt ein, dass es Betrügern «gelegentlich gelingt, unsere Schutzmechanismen zu überwinden». Dies, obwohl insgesamt 200 Betrugsschutzexpertinnen und -experten das System rund um die Uhr überwachten und ständig neue Schutztechniken entwickelten. Die Richtlinie von Klarna sehe aber vor, dass Kundschaft niemals für Einkäufe zahlen müsse, die sie nicht getätigt habe. Betroffenen rät das Unternehmen, per Chat oder Telefon Kontakt aufzunehmen oder in der Klarna-App einen Kauf als nicht autorisiert zu melden.
Daniel Oertli bestätigt, dass Klarna freundlich reagiert habe. Nach Anfrage dieser Zeitung teilte Klarna ihm mit, dass die Forderung nach Abschluss der internen Untersuchung eingestellt worden sei. Allfällige weitere Mahnungen könne Oertli als gegenstandslos betrachten.
Vorgehen bei aggressiven Inkassobüros
Es gibt jedoch Inkassobüros, die deutlich aggressiver vorgehen. Mario Roncoroni, Anwalt und ehemaliger Co-Leiter der Berner Schuldenberatung, kennt die Praxis der Inkassobüros aus langjähriger Erfahrung. Wichtig sei, sich nicht einschüchtern zu lassen. Oft sei es gar nicht möglich, mit Inkassobüros inhaltlich über eine Forderung zu diskutieren: «Die zuständigen Leute sind in der Regel gar nicht daran interessiert, ob eine Forderung besteht oder nicht – sie wollen stattdessen einfach möglichst viel Geld erobern.»
Roncoroni rät, eine ungerechtfertigte Forderung wie im vorliegenden Fall klar zurückzuweisen. Und falls ein Inkassobüro tatsächlich eine Betreibung einleitet, sollten Betroffene Rechtsvorschlag erheben. Drei Monate später können sie ein Gesuch um Nichtbekanntgabe der Betreibung einreichen. Dieses kostet zwar 40 Franken, es verhindert aber, dass der Name in Betreibungsregisterauszügen erscheint. Das ist besonders für Personen wichtig, die auf Stellen- oder Wohnungssuche sind.
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