Roms Bürgermeisterin vor WahlSie hübscht ihre Bilanz mit Pflastersteinen auf
Zum Ende ihres Mandats lässt die heftig kritisierte Virginia Raggi Italiens Hauptstadt frisch pflastern und asphaltieren. Ein hübsches Lehrstück in politischer Trickserei.
Die Piazza Venezia tanzt nicht mehr, und das ist schon allerhand. Jeden einzelnen Pflasterstein haben sie aus dem Sand gegraben und dann wieder gesetzt, mit Richtschnur und Hammer. Toctoctoc. Handarbeit, auf Knien. Und wenn mal ein Stein nicht passte, dann suchten die Arbeiter in ihren orangen Jacken in den hohen Haufen so lange nach einem, der genau sass, Kante an Kante, zehn auf zehn Zentimeter, bis sicher alles flach war und kein Stein mehr lose.
«Pietra ballerina», sagen die Römer, tanzender Stein. Es gab so viele davon auf der Piazza Venezia.
Eine Leistung, vielleicht die einzige
Sie ist das Herz im Herzen Roms, der grosse Paradeplatz vor dem Altar des Vaterlandes mit seiner grünen Insel in der Mitte, zwischen Via del Corso und Kaiserforen. Hier hielt Benito Mussolini einst seine Reden vom Balkon, weil das gloriose Dekor den kleinen Mann erst richtig gross und mächtig erscheinen liess.
Der Platz ist jetzt also neu und perfekt gepflastert. Alle Teerflicke sind weg, alle Löcher gefüllt, die Ballerinen gebändigt. Und wenn es nur etwas gibt, was man Virginia Raggi, der Bürgermeisterin von den Cinque Stelle, zum Ende ihres fünfjährigen Mandats als lohnenswerte Leistung anrechnen wird, dann ist es dieses neue Gefühl, dieses sanfte Gleiten auf der Piazza Venezia, ganz ohne Schläge. Im Auto, auf dem Motorrad, neuerdings sogar auf Fahrrädern. Und im Bus. Busse von 44 Linien kommen hier vorbei.
Viele Römer haben die Piazza Venezia ihr Leben lang als gefährlichen Platz erlebt, als Arena des Schreckens. Im Bus hielt man sich jeweils am vorderen Stuhl fest und schaute besorgt zur Decke, alles lotterte und dröhnte. Und da jeder Fahrer die Löcher im Pflaster zu vermeiden suchte, der Reifen willen, und dafür notfalls abrupte Manöver einlegte, waren die Gefahren für die Fussgänger besonders gross. Nun, die Piazza tanzt nicht mehr.
Der Vergleich mit den alten Römern war natürlich ein Witz, aber ernst gemeint. Man langweilt sich eben nie.
In Raggis alphabetisch geordnetem Bauprogramm #Stradenuove, neue Strassen, trägt die Piazza Venezia Nummer 574. 800 Kilometer will man schon renoviert haben, gepflastert oder asphaltiert. Die meisten Ausbesserungen gibt es im Zentrum, dem Schaufenster der Stadt. Die Peripherie dagegen schaut mal wieder in die Röhre. Paolo Ferrara, ein treuer Anhänger der Bürgermeisterin und Gemeinderat der Fünf Sterne, schrieb neulich auf Facebook: «Virginia Raggi hat mittlerweile mehr Strassen gebaut als die alten Römer.» Das ist natürlich ein Witz, aber er meinte es ernst. Ferrara verglich Raggis Leistung auch mal mit der Sixtinischen Kapelle – als Gesamtwerk. Man langweilt sich eben nie in Rom.
Alles, was die chronisch klamme Stadtkasse hergibt, fliesst nun in #Stradenuove, und wahrscheinlich noch etwas mehr. Auf der Website der Stadtverwaltung kann man den Stand der Arbeiten in Echtzeit verfolgen. Auf einer Karte sind die Baustellen markiert; klickt man auf einen Punkt, poppen Informationen auf zu den Baufirmen, den Kosten, zu allem. Der Lockdown hilft, viele Römer arbeiten im Homeoffice – oder gar nicht. Der Verkehr ist etwa halb so stark wie in normalen Zeiten, er lässt sich leichter umleiten.
Plötzlich eilen die Arbeiten, das hat einen tieferen, politisch prosaischen Grund. Im Herbst finden Wahlen statt, und Virginia Raggi, 42 Jahre alt, von Beruf Anwältin, will noch einmal kandidieren, aller kleinen und grossen Tragödien ihrer Amtsführung zum Trotz. Das Problem mit dem Müll ist ungelöst. Der öffentliche Verkehr bleibt eine Katastrophe. Raggi führte das Bikesharing ein in Rom, getreu dem ökologischen Grundsatz der Cinque Stelle. Doch sie liess so viele, auch mysteriöse Verleihfirmen gleichzeitig zu, dass bald Chaos herrschte, ein Haufen Velos endete im Tiber. Nun wiederholt sich die Nummer mit den E-Rollern.
Abgerutscht um 14 Plätze: Rom ist noch im 32. Rang
Im alljährlichen Ranking der Zeitung «Il Sole 24 Ore» zur Lebensqualität in italienischen Städten ist Rom nun auf den 32. Platz abgerutscht, minus 14 Plätze in einem Jahr. Der Journalist Fabrizio Roncone schreibt im sonst nüchternen «Corriere della Sera»: «Raggi hat Rom und die Römer in einer täglichen Agonie gewogen und ist nun doch grausam und frech genug, nochmal zu kandidieren.» Solange weder das linke noch das rechte Lager einen Spitzenbewerber bestimmt hat, bleibt sie sogar im Rennen.
#Stradenuove ist Raggis Wahlspot, da buttert sie alles rein. Schon die schlauen Füchse von der Democrazia Cristiana, die Italien nach dem Zweiten Weltkrieg ein halbes Jahrhundert lang regierte, haben vor Wahlen immer viel Geld in staatliche Beschäftigungsprogramme und leicht sichtbare, ikonische Projekte gesteckt. Überzeugungshelfer für enttäuschte Wähler. Kosmetische Eingriffe, perfekt getimt.
Auf Ebay gibt es die Steine für zwei Euro das Stück
In Rom bietet sich da das Restyling von Strassen und Plätzen an, höchster Symbolwert. An der Verfassung des Bodens kann man den Zustand Roms ablesen. An den vielen Löchern, den «buche», nach jedem Regen weiten sie sich zu Kratern aus. An den verstopften Dolendeckeln. Und an den tanzenden Steinen.
Schon ganz asphaltiert haben sie jetzt die Via Quattro Novembre, Nummer 430 auf Raggis Liste, die Strasse schwingt sich in zwei grossen Kurven von der Piazza Venezia hinauf zum Quirinalshügel. Kein Römer wird sich beklagen, sie war die schlimmste von allen, ein irrer Tanz. Auch die bisher gepflasterte Via Nazionale, eine direkte Verlängerung rüber zum Hauptbahnhof Termini, Nummer 322, wird gerade geteert. Nur an beiden Rändern soll es dann noch eine Reihe Pflastersteine geben, zehn Zentimeter Reminiszenz und Abflussrinne. Die überschüssigen Steine? Manche enden wie durch ein Wunder auf Ebay, zwei Euro pro Stück.
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