Revolution bei den Fünf SternenDie Cinque Stelle geben ihre Prinzipien auf
Italiens Regierungspartei schickt Roms hoch umstrittene Bürgermeisterin Virginia Raggi ins Rennen um die Wiederwahl – und sorgt für eine neue Ausgangslage in der italienischen Politik.
Mit dem Begriff Revolution soll man ja immer aufpassen, gerade in der Politik. Nun aber haben die Cinque Stelle, Italiens einst systemkritische Regierungspartei, mitten in den Sommerferien eine Mutation beschlossen, mit der sie zwei zentrale Prinzipien ihrer Ursprünge aufgeben. Sie verändern damit nebenbei die gesamte Gemengelage der italienischen Politik.
In einer Onlinebefragung auf der parteiinternen Plattform «Rousseau» sprach sich die Basis dafür aus, dass ihre Politiker erstens in Zukunft unter gewissen Umständen auch ein drittes Wahlmandat annehmen dürfen – bisher galt die Obergrenze von zwei Mandatszeiten als unverhandelbar; zweitens soll die Bewegung, die sich bisher vor Wahlen nie mit traditionellen Parteien verbünden mochte, fortan ebendas tun dürfen. 48’974 eingeschriebene Mitglieder nahmen teil. Die erste Vorlage ging mit 80 Prozent der Klicks durch, die zweite mit knapp 60 Prozent.
Die Enttäuschung der «Ortodossi»
Die originelle und ideologisch schwer verortbare Bewegung, die vor elf Jahren vom Komiker Beppe Grillo gegründet worden war und bei den Parlamentswahlen 2018 plötzlich bei 33 Prozent stand, wird damit rundum eine normale Partei. Und das dürfte viele Militante und Wähler der ersten Stunde, die sogenannten «Ortodossi», tief enttäuschen. Bei den Cinque Stelle dachte man immer, man sei fundamental anders als alle anderen. Die anderen, das war die «Kaste», die verhasste Elite. Und von der setzte man sich auch dadurch ab, dass man nicht an Posten und Ämtern festklebt, sondern nach zwei Mandaten wieder in die Zivilgesellschaft zurückkehrt. Das Gebot fällt nun zunächst für kommunale Ämter, die nationalen werden sicher folgen.
Der Zeitpunkt für diese grosse Wende folgt einem parteiinternen Skript, sie ist ein Coup. Vor wenigen Tagen verkündete Roms oft kritisierte Bürgermeisterin Virginia Raggi überraschend, sie werde im nächsten Jahr für eine zweite Amtszeit kandidieren. Da sie davor schon eine Legislaturperiode lang in der Opposition gesessen hatte, würde sie bei einer Wiederwahl bei ihrem dritten Mandat anlangen. Das bot nun der Parteispitze einen Vorwand, um über «Rousseau» die leidige Mandatsfrage zu begraben. Die Prinzipientreue ist schon lange erlahmt.
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Erstaunlich war Raggis Entscheid aber auch inhaltlich: Die 42-jährige Rechtsanwältin gilt als heillos überfordert in ihrer Aufgabe. Keine der grossen, alten Herausforderungen Roms bekam sie in den Griff: weder den öffentlichen Verkehr noch den Abfall. Im Gegenteil, die Probleme wurden unter ihrer Verwaltung noch grösser. Und da sie dafür ständig und von allen Seiten kritisiert wird, hätte man denken können, sie sei vielleicht ganz froh, dass es bald vorbei sei. Raggi selber aber findet, sie habe schon viel erreicht. Sie brauche nur noch etwas mehr Zeit, dann werde alles gut.
Grillo kommentierte den Entscheid auf Twitter mit einem Foto, das ihn zusammen mit der Bürgermeisterin zeigt, dazu den römischen Ausdruck: «Daje!» – eine Ermunterung: «Los!» Die römische Zeitung «La Repubblica» schrieb darauf: «Zum Fall Raggi gibt es zwei Denkschulen. Es gibt die, die finden, sie mache einen ganz ordentlichen Job. Und dann gibt es alle die, die in Rom leben.» Raggis Versagen sei riesig, «zyklopisch», für alle sichtbar. Grillo lebt in Ligurien.
Das Dilemma der Sozialdemokraten
Raggis Ankündigung verwunderte auch deshalb, weil sie so früh erfolgte. Sie setzte damit die Sozialdemokraten vom Partito Democratico unter Druck. Auf nationaler Ebene regieren die beiden Parteien miteinander – unharmonisch, aber recht stabil. In der römischen Lokalpolitik aber sind sie noch immer Gegner. Was machen die Sozialdemokraten, wenn die Cinque Stelle tatsächlich Raggi ins Rennen schicken? Raggi unterstützen, das scheint unmöglich. Und einen eigenen Kandidaten hat die Linke noch nicht gefunden, alle Prominenz sagte dankend ab. Vielleicht einigt man sich, in der Stichwahl zu koalieren, um die Rechte zu verhindern.
Theoretisch sind nun aber richtige Wahlbündnisse möglich, nicht nur in Rom. Im kommenden Jahr werden auch die Bürgermeister von Mailand, Neapel, Turin und Bologna neu gewählt. Und schon in ein paar Wochen stehen Regionalwahlen an. Ohne Hilfe haben die zuletzt stark geschrumpften Cinque Stelle nirgends eine Chance. Auch dem Partito Democratico drohen Niederlagen, wenn er allein antritt. Und so sorgt «Rousseau» mitten im August für eine neue Ausgangslage in der italienischen Politik.
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