Notfallverhütung in der Schweiz«Pille danach» soll einfacher zugänglich werden
Viagra erhält man hierzulande einfacher als die «Pille danach». So restriktiv wie die Schweiz ist kein anderes europäisches Land bei der Notfallverhütung – nun werden im Parlament Forderungen nach einer Lockerung laut.
In der Schweiz nehmen 2000 Frauen pro Woche die «Pille danach», um eine Schwangerschaft zu verhindern. Das sind jährlich 100’000 Packungen, die in den Apotheken über den Ladentisch gehen.
In den USA kann die «Pille danach» aus dem Selecta-Automaten bezogen werden.
Verglichen mit anderen Ländern, sind die Hürden, um an die «Pille danach» zu kommen, in der Schweiz trotzdem hoch: Die Apotheken geben die Notfallverhütung nur mittels eines obligatorischen Beratungsgesprächs in einem Nebenzimmer heraus. Zudem müssen die Frauen ein Formular mit intimen Fragen ausfüllen. Aus Haftpflichtgründen bewahren die Apotheken diese Formulare in Papierform 20 Jahre lang auf. Kommt hinzu, dass sich die Krankenkassen nicht an den Kosten beteiligen, die sich auf etwa 60 Franken belaufen. Zudem müssen die Frauen das Medikament vor Ort im Beisein eines Apothekers einnehmen.
In anderen Ländern ist der Umgang mit der «Pille danach» liberaler. Etwa in Italien, Grossbritannien und Frankreich, wo die Notfallverhütung in Schulen kostenlos an Jugendliche abgegeben wird, die danach verlangen. Auch Werbung ist dort erlaubt, was hierzulande seit 2019 unter Verbot steht. In den USA kann die «Pille danach» aus dem Verkaufsautomaten bezogen werden.
«Man spricht viel von Eigenverantwortung, aber wenn es um den Körper von Frauen geht, traut man ihnen wenig zu.»
SP-Nationalrätin Tamara Funiciello kritisiert diesen Zustand. Sie hat in der Herbstsession eine Interpellation eingereicht und fragt den Bundesrat nach den Gründen «der nicht nachvollziehbar scharfen» Regulierung. «Man spricht viel von Eigenverantwortung, aber wenn es um den Körper von Frauen geht, traut man ihnen wenig zu.» In Zeiten steigender Gesundheitskosten sei es unhaltbar, dass Frauen für obligatorische Fachgespräche und Formulare bezahlen müssten, so die Nationalrätin. «Dafalgan und andere Medikamente können ohne Hürden bezogen werden, aber bei frauenspezifischen Anliegen macht man die grossen Ausnahmen.» Funiciello fordert, dass beim Bezug der «Pille danach» die Hürden wegfallen.
Unterstützung erhält sie von SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz: «Der Zugang zur ‹Pille danach› muss zweifellos erleichtert werden.» Die Frauen sollten die Möglichkeit haben, «schnell und ohne umständliche Prozedur» zu handeln, so die Gesundheitspolitikerin. In den ersten 24 Stunden ist die «Pille danach» am wirksamsten, sie kann aber bis zu 5 Tage nach der Verhütungspanne eine Schwangerschaft verhindern.
Pharmabranche will Werbung schalten
Die Forderungen nach einem einfachen Zugang zur «Pille danach» kommen nicht nur aus dem Parlament von links bis rechts. Auch die Pharmabranche hat ein Interesse daran – allerdings nicht aus feministischen Gründen. Die Herstellerfirma der «Pille danach», HRA Pharma mit Sitz in Nyon VD, lobbyiert derzeit dafür, dass die Notfallverhütung in eine andere Medikamentenkategorie eingeteilt wird. Sie hat deshalb letzten Februar beim Bundesgericht Beschwerde gegen die Einstufung der Notfallverhütung in die sogenannte Kategorie B eingereicht. Warum? Wenn die «Pille danach» von der Medikamentenkategorie B zu D wechseln würde, wäre Werbung erlaubt. HRA Pharma rechnet wohl mit höheren Verkaufszahlen, wenn sie Werbung schalten dürfte. Zudem könnte die «Pille danach» in der Kategorie D auch in Drogerien verkauft werden, was heute nicht möglich ist.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde abgelehnt und warnt vor dem Missbrauchspotenzial der «Pille danach». Es geht davon aus, dass das Medikament nicht nur in Notfällen, sondern als gewöhnliche Verhütung verwendet werden könnte. HRA Pharma hat das Urteil ans Bundesgericht weitergezogen.
«Es handelt sich um eine geschlechtsspezifische Diskrimination im Zugang zu einer wichtigen Gesundheitsdienstleistung.»
Für Mélanie Levy, Co-Direktorin des Instituts für Gesundheitsrecht an der Universität Neuenburg, geht es um mehr als um die Kategorisierung des Medikaments. Sie sagt: «Männer erhalten das Potenzmittel Viagra ohne Formalitäten, obwohl es wie die ‹Pille danach› in der gleichen Medikamentenkategorie ist.» Das habe nichts mit Patientensicherheit zu tun. Die «Pille danach» sei sehr risikoarm, während Viagra bei kardiologischen Vorerkrankungen nicht ungefährlich sei. «Kein anderes Medikament in der Schweiz muss mit einem solchen hindernisreichen Verfahren bezogen werden», sagt die Professorin. «Es handelt sich um eine geschlechtsspezifische Diskrimination im Zugang zu einer wichtigen Gesundheitsdienstleistung.» Sie hat nach eigenen Angaben lange nach den Gründen geforscht und kommt zum Schluss: «Es geht um die Kontrolle des weiblichen Körpers; die ‹Pille danach› macht sichtbar, dass Frauen sexuell aktiv sind.»
«Dass die Abgabe mit einer Beratung verbunden sein muss, erachte ich als selbstverständlich – und nicht als Schikane.»
Die Wissenschaftlerin verweist auf einen zusätzlichen Aspekt, der ihr bei diesem Thema aufgefallen ist: Eine gross angelegte empirische Studie von Unisanté hat herausgefunden, dass vielerorts die Apotheken die «Pille danach» an Wochenenden und abends teurer verkaufen als an Wochentagen. «Diese Preisschwankungen sind zwar legal, aber stossend; sie erschweren den Zugang zusätzlich, insbesondere für junge Frauen», sagt Levy.
Etwas kritischer zu den Forderungen nach einem einfacheren Zugang zur Notfallverhütung steht der Verband der Ärztinnen und Ärzte FMH. Dessen Präsidentin Yvonne Gilli sagt: «Dass die Abgabe mit einer Beratung verbunden sein muss, erachte ich als selbstverständlich – und nicht als Schikane.» Allerdings findet auch sie, dass «zusätzliche Formalitäten nicht notwendig sind».
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