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Meinung

Petras Buchzeichen
Ich bin in drei Leben unterwegs

ONLINE TEASER
Portrait von Petra Ivanov, Autorenbild der neuen Kolumnistinnen.
02.02.2023
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)
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Es ist wieder passiert. Eines Morgens stand ich auf und setzte mich wie gewohnt an meinen Laptop. Vielleicht lag es an dem Zitronenwasser, das ich anstelle von Kaffee trank. Oder an dem Vogelgezwitscher. Ich weiss es nicht. Ich erinnere mich nur daran, dass sich meine Finger nicht bewegten. Ich schaute aus dem Fenster in den blauen Himmel, hörte ein perlendes Lachen aus dem Café gegenüber. Vergeblich versuchte ich, mich auf den Drogenkurier zu konzentrieren, der auf meinem Bildschirm vor der Polizei floh.

Ich trat auf den Balkon hinaus und atmete tief durch. Die weissen Blüten der Zierkirschen verliehen dem Quartier etwas Märchenhaftes. Er roch nach Frühling und Aufbruch, nach Grün und Glück. Als ich den Laptop wieder aufklappte, öffnete ich eine neue Datei.

«Die Narzissen leuchteten in Goldgelb, Apricot und zartem Weiss, dazwischen blühten einzelne Traubenhyazinthen. Ich liebte den Frühling, die Farben, das sanfte Licht, die zaghafte Wärme.»

Der Anfang eines Wölkchen-Romans

Der Anfang eines Romans. Kein Krimi, das war mir schnell klar, sondern ein Liebesroman. Genauer gesagt, ein Wölkchen-Roman, wie mein Agent dieses Genre nennt. Bereits einmal habe ich dem Kriminalroman vorübergehend den Rücken gekehrt. Damals überfiel es mich im Garten, während der Corona-Zeit. Noch nie hatte ich die Welt so still erlebt, den Himmel so makellos. Keine Kondensstreifen, kein Baulärm, kaum Verkehr. Unvorstellbar, an einem solchen Tag über die düsteren Seiten der Menschen zu schreiben.

Ich hatte also einen zweiten Liebesroman begonnen. Unmöglich, mich dagegen zu wehren. Wenn eine Geschichte in mir wächst, kann ich sie nicht zurückhalten. Natürlich legte ich meinen angefangenen Kriminalroman nicht einfach weg. Ich muss Verträge und Abgabetermine einhalten. Abgesehen davon gehört es zum Schreibprozess, dass mich eine Geschichte zeitweise mehr, zeitweise weniger packt. Würde ich jeder neuen Idee nachgeben, stünden keine Bücher von mir in den Buchhandlungen. Doch während ich vormittags mit meinem Ermittler weiterhin Verbrecher jagte, gab ich dem Liebesroman den nötigen Raum, um sich zu entfalten. Ich verbrachte die Schreibpausen im Wald, wo ich meine neue Hauptfigur kennen lernte. Ich versetzte mich in sie, betrachtete die Welt durch ihre Augen. Schnupperte an Fichtenzweigen, lauschte dem Rascheln der Blätter im Wind, legte mich ins Moos. Zu Hause widmete ich mich dann wieder der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und dem Nachweis von Benzoylecgonin im Kapillarblut.

Warum will ich immer mehr?

Ich fühlte mich, als sei ich in zwei Leben unterwegs. Drei, eigentlich, wenn ich mein eigenes mitzählte. Verstärkt wurde das Gefühl durch die Tatsache, dass meine Liebesromane unter dem Pseudonym Julia Parin erscheinen. Nicht, weil ich mich hinter einem anderen Namen verstecken möchte, sondern, weil mein Publikum gewisse Erwartungen mit meinem Namen verknüpft. Wer Petra Ivanov auf einem Buchcover sieht, rechnet mit einem Kriminalroman, vielleicht noch mit einem Jugendbuch. Handelt es sich dann um einen Wölkchen-Roman, ist die Enttäuschung vorprogrammiert. Und umgekehrt würde eine Person, die gerne Liebesromane liest, vermutlich kein Buch von «Petra Ivanov» aufschlagen. Egal, ob hellgrüne Blätter und ein blauer Himmel das Cover zieren.

Aber zurück zu meinen unterschiedlichen Leben. Warum reizt es mich, in mehreren Leben unterwegs zu sein? Reicht eines denn nicht? Bin ich zu gierig? Ist immer mehr zu wollen ein Phänomen unserer Zeit, oder gehört es von Natur aus zum Menschsein? Was, wenn dieser Hunger nach Erlebnissen, Erfahrungen und Emotionen nicht gestillt würde? Wäre ich unzufrieden?

Fragen über Fragen, auf die ich keine Antworten habe. Ich weiss nur, dass ich schon immer alles ausprobieren wollte. Deshalb spiele ich ein bisschen Flöte, ein bisschen Trompete und ein bisschen Saxofon. Ich habe ein paar Monate lang Rumänisch gelernt, und sobald ich wusste, wie sich die Sprache auf der Zunge anfühlt, begann ich einen Spanischkurs. Auch meine Ausbildungen wechselte ich häufig. Das mag unstetig klingen, ich nenne es lieber vielseitig interessiert. Manchmal ist es ein Fluch, manchmal ein Segen. Aber ganz sicher führt es dazu, dass ich noch viele unterschiedliche Bücher schreiben werde.