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Meinung

Lesende fragen Peter Schneider
Müssten alle Schulklassen ein KZ besuchen?

The gate with "Arbeit macht frei" (Work sets you free) written across it is pictured at the Auschwitz-Birkenau former German Nazi concentration and extermination camp during events marking the 79th anniversary of the liberation of Auschwitz-Birkenau camp in Oswiecim, Poland on January 27, 2024. (Photo by BARTOSZ SIEDLIK / AFP)
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Gerade angesichts des aufkeimenden Antisemitismus und der Tatsache, dass es kaum noch Überlebende der Schoah gibt, die der jungen Generation von den Gräueltaten berichten könnten, scheint mir Geschichtsunterricht – gegen das Vergessen! – wichtiger denn je. Vielleicht wäre es notwendig, dass alle Schulklassen ab der Sekundarstufe einmal ein Konzentrationslager besuchen. Was meinen Sie? P. W.

Liebe Frau W.

Ihre Absichten sind ehrenvoll, aber ich teile die Voraussetzungen Ihrer Frage nicht. Selbstverständlich kann man mit einer Schulklasse ein Konzentrationslager besuchen. Aber was lernt man dort? Man sieht die Reste einer Architektur, die für die Vernichtung von Menschen gebaut wurde. Man sieht die Krematorien, eventuell die Reste der Gaskammern, Schuhe und Koffer der Ermordeten …

Für manche Menschen (wie mich), ist das mehr, als ich ertragen kann; andere können vielleicht die Details der Tatorte mit einer gewissen Distanz zur Kenntnis nehmen (so wie Forensiker und Forensikerinnen). Man kann auch zwischen beiden Haltungen ganz kurzfristig schwanken. Aber warum sollte der Besuch von Gaskammern und der Mordmaschinerie junge Leute mitleidig stimmen, die bei einer Demo «Juden ins Gas» schreien?

Sie sehen dort lediglich etwas, was in ihren Augen inzwischen leider nicht mehr in Betrieb ist. Auschwitz ist eine Stätte des Schreckens; für manche aber eben auch ein Ort einer vergangenen Wunscherfüllung ihres eliminatorischen Antisemitismus; für Dr. Mengele war es ein Arbeitsplatz. Was es niemals war oder sein wird: ein Ort der Läuterung.

«Erinnerung» können ohnehin nur die Beteiligten haben

Was nun die ohnehin wenigen und bald nicht mehr existierenden Überlebenden angeht: Es ist, als ob jenen Juden, die die Gräuel überlebt haben, die besondere zusätzliche Last des stellvertretenden Erinnerns aufgebürdet würde – immer verbunden mit der Drohung, man würde sonst vergessen, was geschehen ist.

«Erinnerung» im eigentlichen Sinn können ohnehin nur die Beteiligten haben: die Überlebenden einerseits, die Mörder und Gehilfinnen andererseits.

Kurz nach der Befreiung mancher Konzentrationslager haben die Alliierten die Bevölkerung der Umgebung gezwungen, die Konzentrationslager zu besuchen und die Leichen zu sehen, also direkt an der Erinnerung dessen, was nun zur Geschichte geworden ist, teilzunehmen und zu sehen, was sie nicht wissen wollten.

Diese Erfahrung lässt sich nicht wiederholen. Zur Geschichte gehört es, dass man nicht nur glaubt, was man selbst gesehen oder gehört hat. Holocaustleugner und -leugnerinnen gibt es nicht deswegen, weil den Schulen die Augenzeugen ausgehen oder die Klassenfahrt nach Auschwitz nicht obligatorisch ist. Holocaustleugner sind Leute, die gern wiederholen möchten, was angeblich nie geschehen ist.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.