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Meinung

Lesende fragen Peter Schneider
Importieren wir Antisemitismus?

Anti-Israel und Pro-Palästina Demo, Start Helvet20.10.2023iaplatz
Zürich, 20.10.2023
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Vorurteile gegen Israel oder gegen Menschen mit jüdischen Wurzeln werden oft von Menschen muslimischen Glaubens verbreitet, ohne dass diese Menschen jemals einen Juden oder eine Jüdin getroffen haben. Wir können es uns nicht leisten, mit der Einwanderung mehr Antisemitismus zu importieren. Weiten wir unsere Toleranz nicht zu grosszügig auf die Intoleranten hier aus? Und wo ziehen Sie als Linker die Grenze? K. E.

Liebe Frau E.

DIE Grenze? Was ich aufzeichnen könnte an Grenzen und Überlappungen, würde keine Landkarte ergeben, sondern einen komplizierten Schnittmusterbogen, aus dem man dann doch nichts Vernünftiges zusammennähen könnte.

Im Augenblick steht der arabische Antisemitismus im Vordergrund: Aber auch der ist nicht kompakt, sondern sehr heterogen. Ägypten und Saudiarabien sind so wenig propalästinensisch wie philosemitisch. Diesen Antisemitismus «importieren» wir nicht einfach, wenn wir Kriegsflüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Auch ist Antisemitismus kein spezifisches linkes oder wokes Programm, wenngleich es natürlich linken Antisemitismus nicht erst seit neuem gibt.

Er sei, so soll der deutsche Politiker August Bebel (1840-1913) gesagt haben, der Sozialismus der dummen Kerls. Im Moment habe ich den Eindruck, als wittere man hinter allem – also auch beim Antisemitismus – das Werk einer fünften woken Kolonne. Dabei sind die Queerfeministen und -feministinnen, die das Massaker der Hamas als Befreiungskampf feiern, in etwa so repräsentativ wie die «Jews for Jesus» für das Judentum.

Wenn an Demos antijüdische Slogans gegrölt werden, finde ich Wasserwerfer durchaus nützlich.

Beim Antisemitismus gibt es kein Innen und kein Aussen, er ist auch nicht ein Vorurteil gegen Juden, von denen manche noch keinem begegnet sind. Die Chance für Nichtjuden im Berlin oder Frankfurt der 1920er- und 1930er-Jahre, Juden auch näher zu kennen, war ziemlich gross: Diese Tatsache hat die Juden nicht vor der Verfolgung und der Ermordung geschützt.

Wenn an Demos antijüdische Slogans gegrölt werden, finde ich Wasserwerfer durchaus nützlich. Schädlich ist aber der Glaube, damit habe man nun die eine Grenze markiert. Ich glaube nicht, dass es einen Antisemitismus gibt, sondern viele, die eine Art von solider historischer Matrix bilden. Eine Art von Antisemitismus, der sogar ohne Antisemiten und Antisemitinnen auskommt.

Ist es antisemitisch, wenn man, während die Toten des Terroranschlags der Hamas nicht begraben sind, die israelische Armee an die Einhaltung des Völkerrechts gemahnt? Was immer das ist – es ist gelinde gesagt: seltsam.

Wenn ich – als linker Demokrat – Netanyahu und seinem rechtsradikalen Kabinett von Herzen wünsche, alle Zähne mögen ihnen ausfallen bis auf je einen für Zahnschmerzen, macht mich das dann anschlussfähig für einen Diskurs, der den Terror der Hamas relativierend einordnet und Ja-aber-mässig «versteht»? Nein.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.