Mining in der TiefseePeking will rasch Rohstoffe im Meer abbauen, 32 Länder fordern Einschränkungen
Mehrere Länder preschen beim Abbau wertvoller Rohstoffen auf dem Meeresgrund vor. Doch wegen ökologischer Risiken gibt es international Bedenken.
Das Gerät, das Wissenschaftler einer Shanghaier Universität im Juli vorstellten, sieht aus wie ein gefrässiger Riesenkäfer. Sechs Meter lang, drei Meter breit und 14 Tonnen schwer ist die Pioneer II, ein Prototyp für den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee.
Aufnahmen zeigen, wie sich die Maschine ohne menschliche Steuerung in 4000 Meter Tiefe über den Meeresboden wälzt, bis 6000 Meter soll das Gerät tauchen können und dort wie eine «Tunnelbohrmaschine» arbeiten. In China nennen die Staatsmedien diese Zahlen stolz, zudem sei die Maschine ganz ohne ausländische Hilfe entwickelt worden.
Doch was in China Begeisterung auslöst, wird andernorts mit grosser Sorge beobachtet. Die meisten Manganknollen, die Metalle wie Nickel, Kupfer und Kobalt enthalten, liegen in internationalen Gewässern, die mehr als die Hälfte der Weltmeere umfassen. Zuständig für diese riesigen ozeanischen Areale ist die Internationale Meeresbodenbehörde (Isa), eine UNO-Organisation mit Sitz in Jamaika.
32 Länder fordern Verbot oder Moratorium
Ende Juni wollten sich die Delegierten eigentlich endlich auf ein Regelwerk für den Bergbau auf dem Meeresgrund einigen, denn die Zeit drängt: Mehrere Länder, darunter China, Saudiarabien und Indien, fordern, endlich mit dem grossflächigen Rohstoffabbau auf dem Meeresgrund beginnen zu dürfen. Gibt es nicht bald eine Einigung, besteht die Gefahr, dass manche Länder weiter vorpreschen – mit unabsehbaren Folgen für die Umwelt. Das norwegische Parlament etwa hat Anfang dieses Jahres dafür gestimmt, ein riesiges Gebiet im Nordatlantik für den kommerziellen Abbau von Meeresbodenmineralien zu öffnen.
32 Länder fordern aktuell entweder ein generelles Verbot oder ein Moratorium, bis nachgewiesen ist, dass der Abbau von Meeresbodenmineralien die Meeresumwelt nicht schädigt und ausserdem ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse über das Leben in der Tiefsee vorliegen.
Das EU-Parlament und die Europäische Kommission plädieren ebenfalls für ein Verbot oder zumindest eine Grundsatzregelung zum Schutz der Meeresflora und -fauna. Die EU-Investitionsbank hat angekündigt, kategorisch nicht in Meeresbodenmineralien zu investieren. Zu gross ist die Angst, mit rabiaten Abbaumethoden das empfindsame Gleichgewicht der Tiefsee zu stören. Bislang hat sich zumindest Norwegen von all diesen Protesten völlig unbeeindruckt gezeigt. Und die Isa war bis vor kurzem auch nicht gerade bekannt dafür, die Meeresböden vor dem Zugriff der Wirtschaft zu schützen.
Andererseits gelang es Michael Lodge, seit 2016 Generalsekretär der Isa, auf der Jahresversammlung Anfang August nicht, sich eine dritte vierjährige Amtszeit zu sichern. Lodge gilt als begeisterter Befürworter des Tiefseebergbaus, der auch mal in PR-Videos von Rohstoffkonzernen auftauchte. Er soll vor der diesjährigen Wahl Abgeordnete bestochen und seiner Konkurrentin, der Brasilianerin Leticia Carvalho, einen Job angeboten haben unter der Bedingung, dass sie ihre Kandidatur zurückzieht.
Doch Carvalho gewann die Wahl am 2. August mit grosser Mehrheit. Die Ozeanografin plädiert für ein behutsameres Vorgehen und will keine Bergbauanträge genehmigen, bevor nicht sicher ist, welche Folgen das für die Umwelt hat.
Bisher stellte die Isa 31 Explorationsgenehmigungen für den Pazifik, den Atlantik und den Indischen Ozean aus, vor allem an China, Indien, Japan, Russland und Südkorea. Weitere sollten eigentlich dieses Jahr folgen. Leticia Carvalho will nun aber durchsetzen, dass jetzt erst mal gründlicher debattiert wird, bevor neue Explorationsrechte vergeben werden. Ob ihr das gelingt?
China hat schon fünf Lizenzen
In China hatte der Personalwechsel bisher keine spürbaren Konsequenzen. Peking ist davon überzeugt, die Regeln in seinem Interesse gestalten zu können, Chinas Aussenminister Wang Yi spricht in den Verhandlungen von einer «kritischen Phase». Mit einem 2020 eröffneten Ausbildungszentrum für die Tiefsee in Qingdao, Hafenstadt und Stützpunkt der chinesischen U-Boot-Flotte, wirbt das Land um Experten aus dem globalen Süden.
Das Land besitzt mit fünf Lizenzen nicht nur die meisten Explorationsgenehmigungen. Es gehört auch zu den aktivsten Mitgliedern der Isa, ist ihr grösster Geldgeber und hat wichtige Posten innerhalb der Organisation besetzt.
Chinas Interesse am Abbau in der Tiefe hat unter Xi Jinping an neuer Stärke gewonnen. Der Parteichef fordert, das Land zu einer «maritimen Supermacht» auszubauen. Derweil wirbt Peking unter der sperrig klingenden Idee einer «maritimen Schicksalsgemeinschaft» dafür, den Schutz der Meere gegen die Chancen auf Entwicklung aufzuwiegen.
China beherrscht bereits den Markt für seltene Erden
Im Zuge seiner «umfassenden» nationalen Sicherheitsstrategie hat Xi Jinping seit seinem Amtsantritt 2012 die Sicherheitsinteressen des Landes auf Bereiche wie den Weltraum, die Polarregionen und die Tiefsee ausgeweitet. Eine Folge davon ist eine stärkere Kontrolle der Partei über die fast ausschliesslich staatliche Tiefseebergbau-Industrie und Forschung.
Die Manganknollen, um die es beim Abbau bisher vor allem geht, bestehen aus Mangan- und Eisenverbindungen, die in vielen Zukunftstechnologien stecken und für Chinas Wirtschaft wichtig sind. Darunter sind E-Auto-Motoren, Smartphones, aber auch modernen Waffensysteme.
Bereits heute beherrscht China den globalen Markt für seltene Erden, wobei es bei Metallen wie Kobalt von Importen aus dem Ausland abhängig ist. Ein Zugang zu den von Xi Jinping als «Schätze der Tiefsee» bezeichneten Rohstoffen könnte Pekings letzte Abhängigkeiten beenden. China betrachtet die westlichen Staaten als zunehmend feindselig. Xi Jinping befürchtet, durch Importe wichtiger Materialien im Konfliktfall verletzlich zu sein; eine Übermacht bei der Produktion erlaubt dem Land hingegen, den Zugang für andere Staaten zu beschränken. China hat bereits erste Ausfuhrkontrollen verhängt.
China beginnt erst
Zum Wettlauf um die Tiefsee gehören aus Pekinger Sicht auch militärstrategische Überlegungen. Ein Mitarbeiter der Chinesischen Akademie der Militärwissenschaften kommentierte im vergangenen Jahr: «Wenn wir erst einmal die Tiefsee kontrollieren, können wir nicht nur unsere eigene Sicherheit gewährleisten, sondern auch Angriffswaffen einsetzen, um wichtige Ziele wie grosse Schiffsverbände und Marinestützpunkte des Gegners anzugreifen.»
In Shanghai sprachen die chinesischen Forscher im Juli von einem «Durchbruch» für die chinesische Tiefsee-Erkundung. Ihr Prototyp sammelte etwa 200 Kilogramm verschiedener Rohstoffproben am Meeresgrund. Für China erst der Anfang.
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