Schweizer Kriegsmaterialexporte«Ein bisschen dreist»: Mehr Spielraum für Waffenexporte, aber nicht in die Ukraine
Das Parlament lockert zwar die Regeln für einige Kriegsmaterialexporte. Für die Ukraine muss aber weiter nach Lösungen gesucht werden – die Voraussetzungen dafür sind schwierig.
Gerhard Pfister war dagegen: gegen den Vorstoss, der dem Bundesrat bei Waffenexporten mehr Spielraum geben will. Seine Fraktion werde entscheiden müssen, was ihr wichtiger sei – das wirtschaftliche oder das demokratiepolitische Argument, sagte der Mitte-Präsident bereits im Herbst. Für ihn sei das demokratiepolitische Argument wichtiger.
Dieses lautet: Vor zwei Jahren stand eine Volksinitiative zu den Waffenexporten zur Debatte. Das Parlament beschloss einen Gegenvorschlag. Darin gewährte es dem Bundesrat keinerlei Ausnahmen. Daraufhin zogen die Initianten ihr Volksbegehren zurück. Nur zwei Jahre später will das Parlament nun eine Ausnahmeklausel ins Gesetz schreiben. Die Initianten, die über 130’000 Unterschriften gesammelt hatten, sehen sich ausgetrickst.
Doch die Mitte folgt ihrem Präsidenten nicht: Sie gewichtet das wirtschaftliche Argument stärker und stimmt für die Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes – zusammen mit der SVP und der FDP. Mit 117 zu 74 Stimmen hat der Nationalrat am Dienstag den Vorstoss angenommen, zu dem der Ständerat schon früher Ja gesagt hatte. Pfister nahm an der Abstimmung nicht teil.
Erlaubnis auch für Bürgerkriegsländer möglich
Nun soll der Bundesrat für sich selbst eine Ausnahmeklausel ausarbeiten. Die Gegner sprechen von einem «Freipass»: Der Bundesrat soll – wenn ausserordentliche Umstände vorliegen – zur Wahrung der aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz Waffenexporte bewilligen dürfen. Und zwar auch dann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind. Damit würde unter anderem die Ausfuhr von Schweizer Waffen in Länder ermöglicht, die in einen internen Konflikt verwickelt sind oder die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen.
Das Parlament hat erst den Auftrag erteilt, später wird es noch über die Gesetzesänderung befinden. Die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) kündigte aber bereits ein Referendum an.
Die Befürworter wollen mit der Änderung die Rüstungsindustrie stärken. Ihr Argument: Mit den heutigen restriktiven Exportregeln gebe es zu wenig Rüstungsexporte, was diesen Industriezweig gefährde. Die Schweizer Armee sei aber darauf angewiesen. Zudem habe sich die geopolitische Lage in den vergangenen zwei Jahren verändert.
Auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin sprach sich für den Vorstoss aus. Dieser würde dem Bundesrat eine gewisse Flexibilität ermöglichen, sagte er. Das Neutralitätsrecht würde weiterhin eingehalten. Als möglichen Anwendungsfall nannte Parmelin die Lieferung von Waffenkomponenten an die USA. Die Gegner warnten, es gehe in Wahrheit um den Export von Waffen in Länder wie Saudiarabien. Der Vorstoss sei «ein bisschen dreist», sagte GLP-Nationalrätin Melanie Mettler.
Suche nach Ukraine-Lösung
Fest steht, dass die Gesetzesänderung keine Waffenexporte in die Ukraine ermöglicht, auch keine Wiederausfuhren. Die Ukraine ist in einen internationalen Konflikt verwickelt. Bei der Wiederausfuhr käme weiterhin das Neutralitätsrecht gemäss Haager Abkommen zur Anwendung, sagt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Dabei war der Ukraine-Krieg der Auslöser für die Diskussion. SP, Mitte und FDP bekannten sich ursprünglich zu einem gemeinsamen Ziel: das Kriegsmaterialgesetz so zu ändern, dass die Ukraine profitiert. Das ist mit der nun beschlossenen Gesetzesänderung nicht der Fall. Hinter den Kulissen geht die Arbeit aber weiter.
Sicherheitspolitikerinnen und Sicherheitspolitiker versuchen, eine mehrheitsfähige Lösung zu finden. Sie soll es demokratischen Staaten wie etwa Deutschland erlauben, Schweizer Waffen an die Ukraine weiterzugeben. Heute ist dies verboten. Wer Kriegsmaterial von Schweizer Herstellern kauft, muss sich verpflichten, diese nicht an einen Staat weiterzugeben, der in einen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. Unabhängig davon, ob der Staat einen Verteidigungskrieg führt.
Schon im Juni sagten beide Räte Ja zu einem Vorstoss. Dieser verlangte, eine Gesetzesänderung zugunsten der Ukraine auszuarbeiten. Eine kleine Gruppe aus der Sicherheitspolitischen Kommission bekam die Aufgabe, eine Lösung zu finden. Mittlerweile sind noch sieben Varianten für eine Gesetzesänderung auf dem Tisch. Sie liegen dieser Redaktion vor. Die Verwaltung hat für jede einzelne Variante geprüft, ob sie mit dem Neutralitätsrecht vereinbar ist – und sagt bei allen: Ja. Gleichzeitig kommt sie zum Schluss, dass die Ukraine von sechs dieser Varianten profitieren könnte.
Trick: Die Schweiz entscheidet nicht
Ursprünglich war die Idee, dass der Bundesrat auch hier das letzte Wort bekäme. Diese Formulierung findet sich aber in keiner der Varianten mehr. Dem Vernehmen nach liegt das daran, dass die Regierung Exporte zugunsten einer Kriegspartei nicht aktiv bewilligen darf.
Der Trick lautet nun: Nicht die Schweiz entscheidet – sondern das Land, das die Schweizer Waffen weitergeben will. Ermöglicht werden soll dies nur einer Gruppe demokratischer Staaten. Bei einigen Varianten gibt es zusätzliche Kriterien, die eine Weitergabe erschweren sollen – diese dürfte die SP vorziehen. Der FDP wäre vermutlich eine Variante lieber, bei der die Rüstungsindustrie stärker profitiert.
Der Prozess dauert: Nach den Wahlen im Herbst ist die zuständige Kommission jetzt neu zusammengesetzt. Nun muss eine neue Gruppe bestimmt werden, die dann zuerst entscheidet, bevor die ganze Kommission an der Reihe ist. Das heisst: Ins Parlament kommt die Vorlage wohl frühestens im Juni. Und dies auch nur, wenn mindestens eine der Varianten eine Mehrheit findet.
Die Voraussetzungen dafür sind schwierig: Die SVP dürfte sämtliche Varianten ablehnen, von denen die Ukraine profitieren würde. Und die Grünen sträuben sich grundsätzlich gegen Lockerungen des Kriegsmaterialgesetzes. Gemeinsam haben diese beiden Fraktionen fast die Hälfte der Sitze in der Kommission. SP, Mitte und FDP müssten also geschlossen für eine der Varianten eintreten.
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