Pariser NachtlebenDie Autos sind still. Doch nun stört der Lärm der Menschen
Die grüne Stadtpolitik der letzten 25 Jahre zeitigt eine paradoxe und laute Folge auf den Terrassen der Bars und Bistrots.
Lärm ist nicht einfach Lärm, diese Prämisse muss sein. Oder etwa schon? Wenn der Abend über Paris kommt und der Alltag sanft wegdämmert, füllen sich die Terrassen der Bars und Restaurants, der Brasserien und Bistrots, diese herausgeklappten Bühnen. Und zwar alle, immer, laut und fröhlich.
Sie füllen sich auch im Winter, bei Temperaturen, bei denen sie im Süden die Tische und Stühle aneinanderketten und zu Türmen aufbauen. In Paris ist es nie zu kalt fürs Draussensein, auch wenn es fast unerträglich kalt ist. Das liegt auch daran, dass viele Pariser in ihrer dichten, teuren Stadt auf knappem Raum wohnen: Das Leben breitet sich eben draussen aus, gerne in Gesellschaft. Die Happy Hour? Dauert nicht selten von 17 bis 24 Uhr, so steht es auf den Schiefertafeln. Die «Pinte de blonde», das grosse helle Bier, kostet dann auch mal nur 3,50 Euro.
Eine verstörende Erkenntnis für Pariser
Neulich ergab eine Umfrage unter Parisern, dass 96 Prozent die vielen «terrasses» der Stadt regelmässig besuchten, mehr als die Hälfte mindestens einmal pro Woche. Das ist etwa zweimal mehr als der nationale Durchschnitt. Man ist stolz auf die Tradition und amüsiert sich über die amerikanischen und asiatischen Touristen, die vor den alten Literatencafés «Flore» und «Deux Magots» hinter roten Kordeln Schlange stehen, als erwartete sie ausgerechnet dort das wahrhaftige Pariser Lebensgefühl. Und nicht zum Beispiel im Café Populaire im elften Arrondissement.
Nun berichtet «Le Monde», dass der Lärm, der von den Terrassen kommt, im Ohr der Anwohner mittlerweile den Krach und den Ärger ersetzt hat, den früher die Autos verursacht hatten. Die Zeitung zitiert aus einer Studie. Und das ist schon eine bedenkenswerte, auch etwas verstörende Erkenntnis.
Man muss dazu wissen, dass die Franzosen, wenn sie Lärm meinen, «pollution sonore» sagen, also: Soundverpestung. Als würde das Geräusch, das vom Menschen kommt, zumal dem fröhlichen, die Umwelt ähnlich belasten wie das von Motoren. Oder mehr: Mit seinen Schwankungen stört es den Schlaf gar noch akuter als das monotone Dröhnen eines Benziners. Findet wenigstens die Vereinigung «Droit au sommeil», Recht auf Schlaf.
Der postgrüne Effekt
Und so wohnt man in Paris nach einem Vierteljahrhundert grüner Stadtpolitik einem paradoxen Effekt bei, einem postgrünen gewissermassen. Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die im kommenden Jahr aufhört, und ihr Vorgänger Bertrand Delanoë haben Paris seit 2001 nach und nach in eine Velostadt verwandelt und haben dafür den motorisierten Individualverkehr radikal eingeschränkt. Da gleichzeitig die Anzahl elektrischer Autos zugenommen hat, ist die Lärmbelastung durch Motoren im Pariser Zentrum markant zurückgegangen.
«Le Monde» schreibt, man brauche kein Messgerät, um sich dessen gewahr zu werden, so offensichtlich sei der Wandel. Auch die Luft ist jetzt viel besser, ein Glück sondergleichen. Dadurch sind die Terrassen der Cafés noch schöner und grösser geworden und mit ihnen die Lust der Pariser auf Draussenzeit. Die letzte Métro? Mit dem Velo hat sie ihre Zentralität verloren, die Nächte sind länger.
Und so lärmt das Leben, wie es das noch nie tat. Zumindest hört man es jetzt, das Leben, gesungen und besungen, manchmal auch gegrölt.
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