Boxen als Kunstprojekt«Checkt ihrs?» Eine Boxlektion mit Brian Keller
Der bekannte Ex-Häftling lädt in Zürich zum Kampftraining. Was das soll, wer mit Brian boxt – und wie er selbst zurück ins Leben findet.
- Ein Kunstprojekt organisiert Boxtrainings mit Ex-Häftling Brian Keller in Zürich.
- Die Teilnehmenden sollen Keller kennen lernen, und dieser soll zeigen können, was er gelernt hat.
- Vorträge gehen der Frage nach, wie eine bessere Justiz aussehen könnte.
- Die Stadt Zürich unterstützt das Projekt finanziell, Keller macht aber ehrenamtlich mit.
Draussen ist ein kalter Samstagabend, fröstelnd eilt das Partyvolk durch die Strassen. Drinnen, im schwarz gestrichenen Veranstaltungsraum im Kulturzentrum Zentralwäscherei, hat sich ein gutes Dutzend Leute in Shorts und T-Shirts versammelt.
Künstlicher Nebel wabert durch den Raum, in einer Ecke baumelt ein Boxsack. Auf zwei Bildschirmen laufen in Endlosschleife Filmschnipsel über Brian Keller.
Es steht ein ungewöhnlicher Event bevor: ein Boxtraining mit dem bekannten Ex-Häftling. Organisiert vom Kunstkollektiv #bigdreams, das seit mehreren Jahren mit Keller zusammenarbeitet. Zum ersten Mal auf sich aufmerksam gemacht hat #bigdreams im Jahr 2021 mit einem Brian-Bausatz und einer Nachbildung seiner Zelle in Originalgrösse.
Es sind vorwiegend junge Männer gekommen, die meisten wohl in einem ähnlichen Alter wie der 29-jährige Keller. Manche boxen offenkundig auch, sie wickeln sich fachmännisch Stoffstreifen um die Hände. Andere stehen unschlüssig herum, wissen nicht so recht, wohin mit sich.
Und dann sind da Lorena und Tabatha. Die beiden 18-jährigen Frauen haben noch nie geboxt und wussten bisher kaum etwas über den Fall Brian. Auf den Event sind sie zufällig aufmerksam geworden. «Als ich dann mehr über seine Geschichte gelesen habe, habe ich mich schon kurz gefragt, ob das hier eine gute Idee ist», sagt Lorena, «aber wir lassen uns nun einfach darauf ein.» Der Umgang der Justiz mit Brian sei auf jeden Fall ein wichtiges Thema.
Genau darum soll es bei dem Event gehen, sagen die Macher. Wie ein Mensch, der über drei Jahre in Einzelhaft gesessen habe, wieder in die Gesellschaft finde. Ziel sei es, dass Interessierte Brian Keller in seiner Lebenswelt begegnen könnten, erklärt Dramaturg Daniel Riniker: «Hier kann er zeigen, was er gelernt hat.» Boxen als Kompetenz statt als Stigma.
Die Frage ist eben auch: Was hat das mit uns zu tun?
Der Anlass ist aber auch eine Flucht nach vorn. Eigentlich hatte das Kollektiv seine Arbeit im November 2023 abschliessen wollen, als Keller nach acht Jahren auf freien Fuss gesetzt wurde. «Doch dann verwickelte sich Brian in neue Konflikte, und als er wieder verhaftet wurde, fragten wir uns: Waren wir naiv?», sagt Riniker.
Nach intensiven Diskussionen habe das Kollektiv dann realisiert, dass es nicht nur darum gehen könne, auf diesen einen Fall aufmerksam zu machen. Die Frage sei auch: «Was hat das mit uns als Gesellschaft zu tun? Die Justiz, das sind wir.» Deshalb sei es wichtig, mit Keller zu reden, ihm zu begegnen.
Bevor es so weit ist, gibt es eine Videoinstallation zu sehen. Aufnahmen aus der Pöschwies, verstörende Bilder von Aufsehern in Schutzmontur. Sie tragen den Gefangenen Keller, an Händen und Füssen gefesselt, das T-Shirt über Kopf und Gesicht gezogen, durch die Gänge der Justizvollzugsanstalt.
Dazwischen geschnitten ist die Sequenz einer Überwachungskamera. Sie zeigt, wie Keller seinen Tiktok-Kontrahenten Skorp niederschlägt – es war diese Tat, die ihn wieder in Haft brachte.
Geduldig erklärt Keller Hand- und Fussstellung
Dann steht Brian Keller da, tänzelt über ein Springseil und lacht in die Runde. «Fangen wir an?» Nach einer Aufwärmrunde geht es los, Keller erklärt die Grundstellung beim Boxen: «Checkt ihrs?»
Er zeigt ein paar Kombinationen aus Schlägen und Deckung vor, sein Publikum müht sich, die Bewegungen nachzuahmen. Gar nicht so einfach.
Keller schaut zu, korrigiert, geduldig erklärt er einem Teilnehmer die korrekte Bein- und Handhaltung. «Versucht, euch einen Gegner vorzustellen», rät er, «dann geht es besser.»
Mit dabei ist auch Malte, der früher hobbymässig Capoeira machte, eine brasilianische Kampfkunst. Der 39-jährige Lehrer an einer Sonderschule kennt Kellers Geschichte, hat das Interview nach seiner Freilassung gesehen: «Da klang er eigentlich ganz vernünftig.» Nun nutzt er die Gelegenheit, ihn zu treffen. Und bekommt eine Art Gratislektion. Als es daran geht, zu zweit mit Boxhandschuhen ein paar Moves zu üben, nimmt Brian Malte unter seine Fittiche. Der findet: «Brian macht das gut.» Und lachend schiebt er nach: «Am Montag erzähle ich das meinen Schülern.»
Vier Trainings gibt Keller im Rahmen der Veranstaltung, rundherum hat #bigdreams eine Reihe von Gesprächen und Vorträgen organisiert. Auch Brian selbst gibt in «Ringtalks» Auskunft. «Nach dem gemeinsamen Schwitzen ist man viel offener», ist Riniker überzeugt.
Einmal haben die Teilnehmenden mit Keller diskutiert, wie der Sport helfen kann, Dampf abzulassen. An diesem Abend spricht Keller über seine Haft und die Zeit danach. Er habe zu Beginn Mühe gehabt mit der neuen Freiheit: «So traurig es klingt, aber ich hatte mich ans Gefängnis gewöhnt.» Draussen gehe das Leben weiter, drinnen bleibe alles stehen: «Die Zeit läuft, und sie läuft doch nicht.»
Irritation über die Finanzierung
Mitfinanziert wird das Projekt durch einen Beitrag der Stadt Zürich in der Höhe von 25’000 Franken. In den sozialen Medien sorgte das teilweise für Irritationen, das Gerücht ging um, das Geld gehe an Keller. Sowohl Riniker als auch ein Sprecher der Stadt weisen das zurück. Keller mache ehrenamtlich mit. «Der Beitrag der Stadt reicht nicht einmal, um die Kosten zu decken», sagt Riniker.
Keller selbst, der Profiboxer werden will und am 26. April seinen ersten Kampf bestreitet, schüttelt über die Gerüchte nur den Kopf: «Bekäme ich so viel Geld, würde ich nur noch Trainings geben.»
«Gefängnisse machen niemanden besser»
Der Abend endet mit einem Vortrag von Rehzi Malzahn, einer deutschen Publizistin und Mediatorin in Strafsachen. Das Publikum ist nun teilweise ein anderes, älteres. Malzahn propagiert eine straffreie Gesellschaft. Anstelle von Gefängnissen solle eine restaurative Justiz treten, wie sie manche indigenen Gemeinschaften pflegten.
Ziel müsse es sein, Unrecht wiedergutzumachen: «Wenn wir die tatausführende Person bestrafen, bringt das der verletzten Person nichts.» Stattdessen müsse die Frage im Zentrum stehen, was den Beteiligten helfe, wie das Unrecht wiedergutgemacht werden könne und was es brauche, damit keine weitere Straftat passiere.
Kann das gelingen? Malzahn ist überzeugt. Christian Labhart weniger. Labhart ist Filmemacher, auch er hat sich mit dem Fall Brian beschäftigt, Ende Februar kommt sein Dokumentarfilm «Suspekt» über Kellers Verteidiger Bernard Rambert ins Kino. «Eine straffreie Gesellschaft ist wohl eine Utopie», sagt Labhart, «aber es braucht solche Utopien.» Im Kleinen sei die restaurative Justiz durchaus umsetzbar.
Brian selbst mag sich nicht festlegen, ob solche Forderungen sinnvoll sind. Er wisse nur eines: «So, wie die Gefängnisse heute sind, machen sie niemanden zu einem besseren Menschen.»
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