Papablog: ErziehungsgrundsätzeDu sollst nicht lügen
Von Happy Meals zu grossen Verbrechen: Wie kleine Lügen Ostern ruinieren können und warum der Osterhase nicht der einzige Schwindler ist.
Grosse Verbrechen beginnen im Kleinen. Da bezahlt man einmal das Happy Meal mit der Firmenkreditkarte und zack, zwei Jahre später hat man 3 Millionen hinterzogen und 87 Puffbesuche über Spesen abgerechnet. Oder man fährt kurz 10 km/h zu schnell, schnuppert dabei Formel-1-Luft und dann wird einem auch schon bei 230 km/h innerorts der Benz unter dem Füdli zwangsversteigert.
So ist es auch mit dem Lügen. Heute sagen wir unseren Kindern, dass der Osterhase echt ist, und in zwanzig Jahren erleichtern sie mit dem Enkeltrick unschuldige Pensionäre um die 13. AHV-Rente, copypasten ihre Doktorarbeit aus dem Darknet oder werden Politikerinnen.
Ich habe als Kind gelernt, dass man nicht lügen darf, und mich fundamentalistisch daran gehalten. Nur um nach und nach herauszufinden, dass meine Mutter es nicht so genau nahm und mir immer wieder Erfundenes auftischte: «Nein Markus, in der Suppe ist kein Fleisch», sagte sie. Doch auf der Tüte im Abfallkübel stand in Schnörkelschrift: «Feine Ostersuppe mit Hasenspeck».
Der Osterhase ist auch nur ein Mensch
Lange bevor ich mich fortpflanzte, beschloss ich daher zwei Dinge: Keine Tütensuppen zu Ostern und ich lüge meine Kinder nicht an. Auch nicht «ganz wenig» – ich verkaufe ihnen keine Märchen als Realität. Osterhase, Samichlaus und Christkind gibt es nicht. Genauso wenig wie den perfekten Vater.
«Die armen Kinder», höre ich die Nostalgischen unter Ihnen krächzen: «Sie werden der Magie der Kindheit beraubt!» So ein Quatsch. Die beiden putzen am 5. Dezember ihre Stiefel und freuen sich, dass der Samichlaus sie mit Industriezucker befüllt. Sie besitzen Bilderbücher über den Osterhasen und suchten letzten Sonntag ganz normal seine Eier. Wer hätte gedacht, dass Kinder sich auch über Figuren und Geschichten freuen, um deren lediglich fiktive Existenz sie Bescheid wissen? Fast wie wir Erwachsenen, wenn wir ins Kino gehen oder netflixen.
Ich bin froh, bleiben mir dereinst schwierige Gespräche erspart: «Weisst du, wir haben dir doch immer gesagt, der Osterhase sei echt. Das stimmt gar nicht. Wie soll der das logistisch überhaupt machen? Bitzli naiv, dass du das geglaubt hast. Anyway, in Zukunft glaubst du uns bitte auch alles, gell? Sonst sind wir sehr, sehr traurig.»
Die Wahrheit – ein geschenkter Erziehungserfolg
Erziehung ist geprägt von schwierigen Abwägungen: «Soll ich eine Stunde über den Nährwert von gedämpften Pastinaken dozieren oder das Kind sich seinen dritten Schoggihasen reinstopfen lassen?» Oft gibt es gute Argumente für beide Alternativen: Familienfrieden versus Haarausfall wegen Mangelernährung.
Doch bei der Wahrheit, da bin ich ein Fundamentalist geblieben. Die Tütensuppe hat mich bestärkt. Nicht im Vertrauensverhältnis zu meiner Mutter, aber in der Überzeugung, dass Ehrlichkeit ein hohes Gut ist. Und ein Quick Win, wie wir Betriebswirte sagen. Die Wahrheit kostet nichts und bringt einen hohen Ertrag. Der Vertrauens-Return on Erziehungs-Investment ist riesig.
Nun werden einige von Ihnen schon schäumend in die Kommentarmaske klicken. Für Sie habe ich ein Zückerchen – die Schadenfreude sei Ihnen gegönnt: An Ostern malte Beebers (4) ein Bild und überreichte es mir mit den Worten: «Schau, ich habe gezeichnet, wie der Osterhase zu uns kommt.» Verwundert und auch etwas enttäuscht musterte ich das Blatt. «Wo denn?» – «Da!» – «Das ist kein Hase.» – «Papa, du sagst doch immer, der Osterhase sei in Wirklichkeit ein Mensch.»
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