Eskalation im Nahost-KonfliktPalästinenser stirbt am 87. Tag seines Hungerstreiks
Nach dem Tod eines prominenten Mitglieds des Islamischen Jihad in israelischer Haft ist die Wut gross auf palästinensischer Seite. Raketenabschüsse aus Gaza kündigen neue Gewaltwelle an.
Bewusstlos haben ihn die Wärter am Dienstagmorgen in seiner Zelle gefunden, im Spital konnten sie später nur noch seinen Tod feststellen. Der Palästinenser Khader Adnan, 45 Jahre alt und Mitglied des militanten Islamischen Jihad, ist am 87. Tag seines Hungerstreiks im Gefängnis der israelischen Stadt Ramle gestorben.
Viele Warnungen wegen der dramatischen Verschlechterung seines Gesundheitszustands waren zuvor verhallt. Nun ist die Wut gross auf palästinensischer Seite, wo Adnan oft als Held gefeiert worden war. Dass neue Gewalt droht, zeigte sich schon unmittelbar nach der Todesnachricht: Drei Raketen wurden aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Schäden wurden nicht gemeldet. (Lesen Sie zum Nahost-Konflikt auch die Analyse «Israels Feinde spüren seine Schwäche und nutzen sie aus».)
Anklage wegen Mitgliedschaft in Terrororganisation
Adnan, der in seinem Heimatdorf in der Nähe von Jenin im Westjordanland eine Bäckerei betrieb, war Anfang Februar verhaftet worden, wie so oft schon in den vergangenen mehr als 20 Jahren. Anders als sonst wurde er dieses Mal jedoch unter Anklage gestellt wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Zuvor hatte er meist in sogenannter Verwaltungshaft gesessen, die es erlaubt, Verdächtige ohne Angabe von Gründen allein mit Verweis auf eine Sicherheitsgefährdung für sechs Monate zu inhaftieren – mit unbegrenzter Verlängerungsoption.
Adnan hatte immer wieder mit Hungerstreiks gegen diese auch international oft kritisierte Massnahme protestiert, und er war damit nicht nur unter den Anhängern des vom Iran finanzierten Islamischen Jihad zu einer Symbolfigur geworden. Denn 2012 hatte er nach 66 Tagen Hungerstreik seine Freilassung aus der Verwaltungshaft erreicht. Damals hatten sich nicht nur Amnesty International und Human Rights Watch, sondern auch die EU-Aussenpolitikbeauftragte Catherine Ashton für ihn eingesetzt.
«Unser Volk mit all seinen Kräften und Fraktionen wird alle Formen des Widerstands eskalieren.»
Ein paar Jahre später gelang ihm das noch einmal, auch Hunderte andere Häftlinge setzen immer wieder auf den Hungerstreik. Als Antwort verabschiedete das israelische Parlament 2015 ein Gesetz, das die Zwangsernährung von Häftlingen erlaubt. Doch angewendet wurde es bislang nicht, weil die israelische Medizinervereinigung dies als «Folter» verurteilte und sich deshalb kein Arzt dazu bereit erklärte.
In Interviews bezeichnete Adnan den Hungerstreik als «Waffe des palästinensischen Volks». Als er im Februar verhaftet wurde, stellte er sogleich die Nahrungszufuhr ein und verweigerte auch die medizinische Behandlung und Tests im Gefängnisspital. «Wer freikommt, gewinnt», hatte er einmal gesagt, «und wer stirbt, wird immerhin Märtyrer.»
Ärzteorganisation hatte Alarm geschlagen
Diesen Status hat er nun erlangt. Der Islamische Jihad rief nach seinem Tod zu einem Generalstreik im Westjordanland und im Gazastreifen auf und drohte Israel mit Gewalt. «Der Feind wird den Preis für dieses Verbrechen zahlen», hiess es. Solidarisch zeigte sich auch die Hamas, die ankündigte: «Unser Volk mit all seinen Kräften und Fraktionen wird alle Formen des Widerstands eskalieren.» (Lesen Sie zum Thema auch die Artikel «Eine neue Intifada droht» und «Israel reagiert mit Luftangriffen auf Raketenbeschuss aus dem Libanon».)
Selbst die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde hat sich angeschlossen, obwohl sie Adnan selbst schon inhaftiert hatte, zuletzt 2021. Nun warf Regierungschef Mohammad Shtayyeh Israel eine «absichtliche Ermordung» vor und forderte eine internationale Untersuchung des Vorfalls.
Vorwürfe kommen aber auch aus Israel, wo der für die Gefängnisse zuständige Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir in den vergangenen Monaten immer wieder populistisch gefordert hatte, «die Sommercamp-Bedingungen für mörderische Terroristen zu beenden».
Noch zu Beginn dieser Woche hatte eine Vertreterin der israelischen NGO Ärzte für Menschenrechte Adnan in der Zelle besucht, anschliessend Alarm geschlagen und seine sofortige Verlegung in ein ziviles Spital verlangt. «Wenn er dort gewesen und überwacht worden wäre, hätte es eine bessere Chance gegeben, sein Leben zu retten», sagte Hadas Ziv von der Ärzteorganisation. «Aber unsere Regierung ist dafür taub.»
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