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Israel und palästinensische Gebiete
Eine neue Intifada droht 

Porträts von Palästinensern, die bei einem israelischen Militäreinsatz in Nablus umkamen.
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Am Mittwoch herrschte Krieg in der Kasbah, der Altstadt von Nablus im palästinensischen Westjordanland. Geschossen wurde aus allen Rohren, vier Stunden dauerten die Feuergefechte zwischen israelischen Truppen und palästinensischen Milizionären. Panzerabwehrraketen kamen zum Einsatz, Gewehre aller Art und Brandbomben. Szenen sind das, die man schon kennt – aktuell aus der erfolgreichen Netflix-Serie «Fauda» und in der Wirklichkeit aus den weit zurückliegenden Jahren der Intifada.

An Kriegszeiten erinnert auch die Zahl der Opfer: Der Einsatz in Nablus hat auf palästinensischer Seite mindestens elf Tote gefordert und mehr als 100 Verletzte. Drei Senioren jenseits der 60 sind unter den Toten, drei Journalisten unter den Verletzten. Ähnlich blutig mit zehn Toten war schon vor drei Wochen ein Einsatz im nicht weit entfernten Jenin verlaufen. Und aus dem Vorfall in der Nachbarstadt lässt sich auch ableiten, welche Folgen nun zu befürchten sind: Racheakte und Raketenbeschuss.



Die Raketen kamen gleich schon in der Nacht aus dem Gazastreifen und lösten Sirenenalarm aus in den israelischen Städten Ashqelon, Sderot und in anderen Gemeinden rund um die palästinensische Küstenenklave. Zur Vergeltung flog die israelische Luftwaffe umgehend Angriffe auf Stellungen der dort herrschenden Hamas. In Erwartung möglicher Terrorattacken sind Israels Sicherheitskräfte überall im Land in erhöhter Alarmbereitschaft und zeigen verstärkte Präsenz. Schliesslich waren am Tag nach dem Jenin-Einsatz in Jerusalem sieben Menschen vor einer Synagoge erschossen worden.

Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres sind dem Konflikt schon elf Menschen auf israelischer und 60 auf palästinensischer Seite zum Opfer gefallen. Nun naht der muslimische Fastenmonat Ramadan, der Ende März beginnt und oft schon zu einer Zeit des Kämpfens geworden ist. Das Drehbuch für eine weitere, verheerende Eskalation liegt also längst offen auf dem Tisch. Doch die Konfliktparteien zeigen keinerlei Anzeichen zur Abrüstung.

Die Regierung hätte wissen müssen, was so ein Einsatz bedeutet

Israels Sicherheitskräfte und die Verantwortlichen in der Regierung hätten vorab wissen können, was ein solcher Einsatz in Nablus bedeutet – zumal dann, wenn die Truppen nicht wie sonst meist üblich in der Nacht, sondern mit 100 Mann am helllichten Tag einrücken zur Verhaftung dreier gesuchter Terroristen. Es war kaum zu erwarten, dass sie sich ergeben. Es war vielmehr absehbar, dass in der Milizenhochburg die Massen mobilisiert werden gegen die Eindringlinge. Einer der von israelischen Truppen eingekreisten Gesuchten rief noch kurz vor seinem Tod live über die sozialen Medien dazu auf, sich dem Kampf anzuschliessen.

Aufrufe zur Deeskalation kommen derzeit allein von aussen: UNO-Generalsekretär António Guterres warnt, die Lage in den besetzten Palästinensergebieten sei «an dem gefährlichsten Punkt seit Jahren». Arabische Staaten wie Jordanien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudiarabien verurteilen die Gewalt.

«Äusserst beunruhigt» ist man auch in Washington angesichts der hohen Opferzahlen auf palästinensischer Seite. «Wir wünschen den Verletzten eine schnelle Genesung, und unser Mitgefühl gilt den Familien der Unbeteiligten, die getötet wurden.» Offenkundig sieht die US-Regierung durch den israelischen Militäreinsatz ihre intensiven Bemühungen der vergangenen Wochen gefährdet, die Lage zu beruhigen.

Jetzt kann die radikale Hamas ihren Widerstand inszenieren

Washingtons Ansatz ist es, die im Westjordanland herrschende Palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Mahmoud Abbas so zu stärken, dass ihre Sicherheitskräfte wieder die Kontrolle erlangen können über die von radikalen Kräften dominierten Städte wie Nablus und Jenin. Israelischen Medienberichten zufolge war dafür der Regierung in Jerusalem die Zusage abgerungen worden, der Autonomiebehörde mit wirtschaftlichen Erleichterungen zu helfen und mehr Zurückhaltung zu üben bei den Militäreinsätzen.

Der blutige Einsatz in Nablus könnte genau das Gegenteil bewirken: In den Augen vieler Palästinenser wirkt die Autonomiebehörde nun nicht nur schwach, sondern steht unter dem Verdacht der Kollaboration mit den Israelis. Profitieren dürfte davon die deutlich radikalere Hamas. Vom Gazastreifen aus kann sie sich mit Raketenfeuer als Widerstandskraft gegen Israel inszenieren. Zudem versucht sie seit langem schon, in dem von der innerpalästinensischen Konkurrenz regierten Westjordanland die Flammen höherschlagen zu lassen. Für die Palästinensergebiete birgt das düstere Aussichten: Es wächst die Gefahr einer neuen Intifada und/oder eines weiteren Kriegs um Gaza.