Kommentar zum Urteil gegen Kara-MursaOppositionelle gelten jetzt in Russland offiziell als Verräter
Erstmals seit dem Zerfall der Sowjetunion wird ein russischer Oppositioneller wegen Hochverrats verurteilt. Der Prozess gegen Wladimir Kara-Mursa zeigt, was dem Land noch bevorsteht.
In Russland geschehen fast wöchentlich Dinge, die man als Zäsur bezeichnen könnte, so erbarmungslos geht das Regime gegen seine Kritiker vor. Das Urteil gegen Wladimir Kara-Mursa aber ist ein neuer Tiefpunkt: Zum ersten Mal seit dem Zerfall der Sowjetunion wurde ein Oppositioneller wegen Hochverrats verurteilt. Kara-Mursa muss für 25 Jahre ins Straflager, weil er den Krieg verurteilt, Wladimir Putin kritisiert und im Ausland jahrelang dafür geworben hat, Menschenrechtsverletzungen zu sanktionieren.
Das Urteil ist ein Signal an alle, die es trotz ihrer kritischen Haltung wagen, im Land zu bleiben: Oppositionelle gelten jetzt offiziell als Verräter. Wer sich gegen das Regime ausspricht, wer vielleicht noch Kontakte ins Ausland pflegt, verschwindet womöglich für Jahrzehnte im Lager.
Regimetreu und besonders befangen
Der Prozess gegen Kara-Mursa zeigt die Eiseskälte, mit der das Regime Kritiker aus dem Weg schafft. Dessen Verteidiger musste kurz vor dem Urteil fliehen, weil man auch ihm gedroht hatte. Und der Richter, der über Kara-Mursa urteilte, ist regimetreu und besonders befangen: Sein Name steht auf einer Sanktionsliste, für die sich Kara-Mursa vor mehr als zehn Jahren eingesetzt hat. Hinzu kommt, dass der Oppositionelle an den Folgen zweier Vergiftungen leidet, die er vor Jahren knapp überlebte. Russische Haftbedingungen bergen für ihn ein besonderes Gesundheitsrisiko. Doch wen die Behörden als Feind ausgemacht haben, dem wird kein Mitleid zuteil.
Kara-Mursa ist trotz des Risikos geblieben, wollte sich nicht einschüchtern lassen. In einem Land, in dem westliche Journalisten als Spione verhaftet werden, Verteidiger noch während des Prozesses fliehen müssen, Menschenrechtsorganisationen aufgelöst und Kinder ihren kriegskritischen Eltern weggenommen werden, ist das Urteil gegen Kara-Mursa mehr als eine weitere Zäsur. Es zeigt: Je länger Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine dauert, desto hoffnungsloser wird in Russland die Lage für alle, die dagegen sind.
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