Premiere am Opernhaus ZürichDas traurige Geheimnis der «lustigen Witwe»
Regisseur Barrie Kosky geht in seiner Neuinszenierung der Operette an die Grenzen des Klamauks. Und doch geht einem diese Zürcher «Witwe» nah.
«Weiber, Weiber, Weiber! Ja, das Studium der Weiber ist schwer …»: Herzhaft-inbrünstig bringt das Männerseptett den «Weibermarsch» über die Rampe. Und ein Grossteil des Premierenpublikums am Sonntag im Opernhaus Zürich klatscht fröhlich mit. Ein Hauch Schlagernacht in der Oper!
Regisseur Barrie Kosky ist sich in der Zürcher Neuproduktion des Operettenklassikers «Die lustige Witwe» für boulevardeske Töne nicht zu schade. Und das ist auch gut so.
Schliesslich wird der «Weibermarsch» in gekürzter, ironisch gebrochener Form sowie mit einer weiblichen Revanche präsentiert: «Zu Haus markiert ihr oft das Alter, doch auswärts seid ihr lose Falter …» Und es bleibt neben viel Klamauk auch Platz für ruhige Momente.
Aus der Erinnerung
Ja, diese «lustige Witwe» wirkt ziemlich nachdenklich. Den Ton setzt eine kurze von Kosky eingefügte Rahmenhandlung: Das Stück um die Millionenerbin Hanna Glawari, von deren Vermögen die Zukunft des fiktiven Balkanstaats Pontevedro abhängt, wird quasi aus der Erinnerung der Protagonistin erzählt. Am Anfang sieht man sie allein am Flügel, dazu erklingt eine historische Klavieraufnahme des Walzerduetts «Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen» – einst eingespielt vom Komponisten Franz Lehár selbst.
Die deutsche Sopranistin Marlis Petersen gibt die Glawari als Dame von Welt, die das Geschehene melancholisch Revue passieren lässt: Wie war das damals in der pontevedrinischen Botschaft in Paris? Wer war dieser Graf Danilo Danilowitsch, ihre Jugendliebe, der sie in der Botschaft endlich wieder begegnete?
Das Gefühl der Erhabenheit vermittelt Petersen im Lauf des Abends mit ihrem fesselnden, durchdringenden Vibrato. Ihr dramatischer Sopran kommt indes an seine Grenzen, wenn es im Lied «Vilja» darum geht, eine Melodie «sehr einfach» vorzutragen, wie der Komponist schreibt.
Bewegend-intim gerät die Wiederbegegnung mit ihrer Jugendliebe, stark interpretiert vom Bariton Michael Volle: Die beiden strahlen eine Vertrautheit aus, die sich in der Musik nachempfinden, aber in Worten kaum beschreiben lässt.
Regisseur Kosky, Dramaturg Fabio Dietsche und Bühnenbildner Klaus Grünberg konzentrieren sich darauf, diese fragilen Momente der Verbundenheit herauszuschälen aus all dem Pariser Lärm und Cancan-Trubel.
So stimmt der Bariton Volle, der sonst mit ansteckender Freude Trinklieder intoniert, im Walzerduett einen feinen Kammerton an. Und die Sopranistin findet hier zu einer Schlichtheit, die sie in «Vilja» missen lässt.
Tänzerinnen und Tänzer steuern märchenhaft-poetische Szenen bei, so sie denn nicht gerade dem Pariser Nachtleben frönen (Choreografie: Kim Duddy). Auch die slawischen Tänze im zweiten Akt verfehlen nicht ihre Wirkung, zumal der Klang mit dem Orchester im Graben, einer kleinen exotischen Banda auf der Bühne sowie dem von Ernst Raffelsberger einstudierten Chor im Hintergrund geschickt gestaffelt ist.
In der Rolle des buffonesken pontevedrinischen Botschafters blüht der Bassbariton Martin Winkler auf. Die Sprechrolle des Kanzlisten Njegus wird in Zürich von einer Frau, der Schauspielerin Barbara Grimm, mit der nötigen Duseligkeit wahrgenommen. Als flirtfreudige Botschaftsgattin Valencienne tritt Katharina Konradi mit glockenhellem Sopran in Erscheinung, während ihr französischer Liebhaber Camille de Rosillon, interpretiert vom Ensemblemitglied Andrew Owens, stimmlich etwas dünn daherkommt.
Am Pult steht der österreichische Gastdirigent Patrick Hahn (28). Die Philharmonia Zürich spielt unter seiner Leitung solide, aber nicht mit sonderlich viel Verve; insbesondere die Walzertakte wirken berechenbar. Noch scheint die Abstimmung von Gesangssolisten und Orchester einiges an Energie zu erfordern.
Bestechend ist der von Hahn arrangierte Schluss, bei dem die Erinnerungen der Witwe förmlich mit einer Melodie der Sologeige entschwinden. Die von Gianluca Falaschi eingekleidete Protagonistin erinnert hierbei an eine Diva aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, namentlich an den Operettenstar Fritzi Massary.
Die Sängerin und Schauspielerin sah sich 1932 mit dem Erstarken der Nationalsozialisten zur Flucht aus Deutschland gezwungen. Mit ihr verschwand auch eine der berühmtesten Stimmen der «Witwe» aus Europa.
Regisseur Barry Kosky hat sich während seiner Intendanz an der Komischen Oper Berlin einen Namen mit der Aufarbeitung deutsch-jüdischer Operettengeschichte gemacht. Mit seinem Zürcher Gastspiel setzt er sie nun eindrücklich fort – auch als Kontrapunkt zur problematischen Biografie des Komponisten, der sich seinerzeit mit der NS-Führung gut arrangiert hatte.
Nächste Aufführungen: 14., 16., 18, 20. und 25. Februar. opernhaus.ch.
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