Cassis auf Europa-TourneeOperation Charmeoffensive
Aussenminister Ignazio Cassis plant, am 20. Juli nach Brüssel zu reisen – als Zwischenstation auf seiner Europa-Reise nach dem Scheitern des Rahmenabkommens.
Es ist nicht der einfachste Zeitpunkt für einen verspäteten Antrittsbesuch. Aber Brüssel ist für Ignazio Cassis ohnehin nur ein Nebenschauplatz, wenn der Schweizer Aussenminister am 20. Juli ins EU-Machtzentrum reisen will, das erste Mal seit seinem Start als Aussenminister vor bald vier Jahren. Zumindest, wenn man von dem Geheimtreffen am Brüsseler Flughafen Zaventem absieht, als es noch Hoffnung beim Rahmenabkommen gab.
Inzwischen haben sich die Hoffnungen zerschlagen, und in der EU-Schaltzentrale ist man derzeit nicht gerade gut auf die Schweiz zu sprechen. Der Ärger über den Schweizer Übungsabbruch ist nicht abgeklungen, im Gegenteil. Die EU-Kommission hat angekündigt, bis im Herbst über die nächsten Schritte zu entscheiden. Cassis komme zu spät oder zu früh, wundert man sich in EU-Kreisen.
Wachtablösung in der Schweizer Mission
Hinzu kommt, dass in der Ständigen Mission der Schweiz bei der Europäischen Union gerade eine Wachablösung stattfindet. Der bisherige Botschafter Urs Bucher ist auf dem Weg zu seinem nächsten Posten in Tel Aviv. Nachfolgerin Rita Adam soll zwar nächste Woche rechtzeitig aus Rom für den Cassis-Besuch eintreffen, wird ihr Akkreditierungsschreiben aber erst auf den 1. September bekommen.
Der Plan ist, dass Aussenminister Cassis am Dienstag bei der Schweizer Mission vorbeischaut und dann den EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell besucht. Man hat sich am Rande der Libyen-Konferenz in Berlin kurz gesprochen und offenbar ein baldiges Treffen in Brüssel ins Auge gefasst. Angedacht ist auch ein gemeinsamer Kaffee von Cassis mit EU-Kommissar Johannes Hahn, ein informeller Austausch.
Der Österreicher war einst in der heissen Phase beim Rahmenabkommen der Ansprechpartner für Cassis. Allerdings ist Haushaltskommissar Johannes Hahn seit dem Ende der Verhandlungen gar nicht mehr zuständig für das Dossier. Derzeit wollen beide Seiten die Termine noch nicht bestätigen. Der Terminkalender für den EU-Aussenbeauftragten Borrell werde immer erst am Freitag der Vorwoche bekannt gegeben, sagt der Sprecher des Chefdiplomaten.
Fokus auf den Mitgliedsstaaten
Ähnlich zurückhaltend ist man in Bern: Bundesrat Ignazio Cassis habe seit dem Abbruch der Verhandlungen um das Rahmenabkommen mehrere Kontakte mit Amtskollegen im EU-Raum gepflegt, heisst es beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten. In diesem Rahmen habe der Bundesrat auch die Europapolitik der Schweiz thematisiert, insbesondere die Gründe des Entscheides des Bundesrates vom 26. Mai und den Willen der Regierung, eine enge Zusammenarbeit weiterzuführen, die auch im Interesse der EU-Mitgliedsstaaten sei. Es gehe keinesfalls um Sondierungsgespräche für ein neues mögliches Abkommen mit der EU.
Der Fokus von Cassis’ Charmeoffensive liegt derzeit denn auch klar auf den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten. Dort will Ignazio Cassis gute Stimmung machen für die Schweiz. Aus der Sicht des Aussenministers gibt es da durchaus Defizite: «Ich merke, dass die EU-Mitglieder nicht genau wissen, was die EU-Kommission gemacht hat», sagte Cassis kürzlich gegenüber dem Schweizer Fernsehen SRF.
So hat der Schweizer Aussenminister in den letzten Wochen schon die Amtskollegen Österreichs, Frankreichs, Italiens und jene der drei baltischen Staaten getroffen. Zur Offensive gehören auch Interviews in grossen Zeitungen der Nachbarstaaten, in denen Cassis die Gründe für das Aus beim Rahmenabkommen zu erklären versucht. Mit «Es braucht Mut, Nein zu sagen» ist ein Gastbeitrag des Schweizer Aussenministers in der polnischen Tageszeitung «Rzeczpospolita» überschrieben. Das dürfte in Polen durchaus auf ein positives Echo stossen, wo die rechtsnationale Regierung mit Brüssel im Dauerstreit liegt.
Hauptstädte gegen Kommission
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Schweizer Bundesrat versucht, die Hauptstädte gegen die EU-Kommission zu mobilisieren, die in Bern gern als dogmatisch empfunden wird. Ob die Strategie diesmal aufgeht, ist offen. Die Chancen sind besser als auch schon. Schliesslich steht auch Brüssel vor einem Scherbenhaufen. Während der Verhandlungen haben die Mitgliedsstaaten die Kommission machen lassen. Jetzt müssen sie sich um ein Dossier kümmern, das in den meisten Hauptstädten bisher keine Priorität hat.
Sollte die Schweiz versuchen, EU-Staaten und Kommission auseinanderzudividieren, werde das kontraproduktiv sein, mahnt jedoch ein EU-Diplomat. Das hätten schon die Briten beim Brexit vergeblich versucht.
Nach der Sommerpause will die EU-Kommission darlegen, wie es weitergehen soll. Auf die Osteuropäer kann die Schweiz nicht setzen, solange die Kohäsionsmilliarde nicht freigegeben ist – dieser Entscheid liegt in Bern beim Parlament. In Berlin sieht man den Schweizer Übungsabbruch beim Rahmenabkommen derweil auch als Affront gegenüber Landsfrau Ursula von der Leyen.
Erschwerend kommt hinzu, dass im ersten Halbjahr 2022 Frankreich die Ratsgeschäfte übernimmt. Von der französischen Regierung ist nach dem Schweizer Kampfjet-Entscheid gegen die Rafale und für die F-35 jedenfalls kaum mehr viel Hilfe zu erwarten. Ignazio Cassis hat auf seiner sommerlichen Charmeoffensive quer durch Europa also noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
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