Badmintonspieler Tobias KünziGuatemala, Iran, Uganda – nur mit dieser Weltreise schaffte er es nach Paris
Der Aargauer ist ein ganz typischer Olympiateilnehmer: Seine Sportart steht nur alle vier Jahre im Fokus. Und: Er ist Profisportler fast ohne Preisgeld. Wie macht er das?
Die Halle im Norden der Stadt ist brandneu, und ihr Name – verheisst er irgendwie, dass in diesen Tagen hier die Andacht stattfindet? Porte de la Chapelle, die Tür der Kapelle, die Tür zu Grossem? Tobias Künzi, der 26-jährige Badmintonspieler, hat im vergangenen Jahr keinen Aufwand gescheut, dabei zu sein, wenn hier auf der prestigeträchtigsten Bühne überhaupt gespielt wird.
Der Aargauer war der letzte Schweizer Athlet der 128-köpfigen Delegation, der für diese Spiele selektioniert wurde. Weil eine andere Nation ihren Einzelplatz nicht nutzen wollte, hat ihn Künzi bekommen. Dank einer markanten Leistungssteigerung in den vergangenen Monaten hat er sich in diese Position gebracht. Nun ist er seit längerem im Begeisterungsmodus: «Es ist grossartig, mein Traum hat sich erfüllt, wie viele Schweizer dürfen so etwas?», fragt er und fügt an: «Es ist die Bestätigung für alles, was ich in den letzten sechs Jahren investierte.» Es war viel. Seine Olympiaqualifikationstour geriet zur veritablen Weltreise, davon aber später mehr.
Künzi ist in mehrfacher Hinsicht ein typischer Olympiateilnehmer: Er ist Spitzenspieler einer Sportart, die wie viele andere der 32 olympischen nur alle vier Jahre und für ein paar Tage in den Fokus eines Weltpublikums rückt. Grosse Arenen vermag Badminton nur im Fernen Osten zu füllen. Und: Künzi gehört zur grossen Mehrheit von Athletinnen und Athleten an diesen Spielen, die Profisportler mit entsprechendem Aufwand, aber Amateure in finanzieller Hinsicht sind. Die am Existenzminimum leben würden, hätten sie – wie in der Schweiz – nicht die Unterstützung verschiedener Förderinstitutionen.
Erst der dritte Schweizer Badmintonspieler an Olympia
Künzi studiert an der Uni Bern Sozialwissenschaften, hat dieses Studium derzeit aber zugunsten seiner Karriere praktisch ganz zurückgestellt. Denn: Seine Vorgehensweise in der Qualifikation war zwar clever, aber auch sehr zeit- und kostenintensiv. Er sagt: «Ich bin nach Südamerika gereist, habe in Peru, Mexiko und Guatemala an Turnieren teilgenommen.» Er kämpfte aber auch in Aserbaidschan, im Iran und in Bahrain um Punkte. Und nach einigen Turnieren in Europa trat er noch in Afrika an und schaffte es in Kampala (Uganda) in den Viertelfinal.
Das alles für den grossen Traum. «Ich versuchte so, in ein bisschen schwächer besetzte Turnierfelder zu kommen, um einfacher Punkte zu gewinnen», erklärt er. Sein Plan ist aufgegangen. Die Reise nun an die Spiele war im Vergleich zu allem anderen vorher ein Katzensprung. Künzi ist nach Thomas Wapp (1996) und Christian Bösiger (2008) erst der dritte Schweizer Badmintonspieler, der es auf die höchste Stufe schaffte. Dass auch seine Ostschweizer Kollegin Jenjira Stadelmann in Paris spielen wird, freut ihn enorm. Er sagt: «Es hat es sehr vereinfacht, dass sie auf diesen Reisen meist auch dabei war.»
Künzi trainiert seit sechs Jahren zweimal täglich am nationalen Leistungszentrum in Bern, kommt in der Woche inklusive Krafttraining auf zehn Einheiten. Er hat ein sehr gutes Auge, ist flink, ist reaktionsschnell – muss er sein. Denn Badminton ist die schnellste Sportart der Welt. Der mit echten Federn ausgestattete Ball erreicht Geschwindigkeiten von über 400 Stundenkilometern. Der indische Spieler Satwiksairaj Rankireddy hat ihn in einem Test sogar mit 565 Stundenkilometern geschmettert – und es ins «Guinnessbuch der Rekorde» geschafft.
«Für mich geht es ums Gesamtpaket»
Künzi, der die Meisterschaft mit dem Team Argovia bestreitet, sagt: «Dass ich derzeit nicht studiere, ist nicht eine Zeitfrage, war aber im letzten Jahr eine Frage des Fokus.» Dank der Unterstützung des Verbandes, persönlicher kleinerer Sponsoren, der Sporthilfe und Geld aus einem weiteren Sportfonds kann er sich das Leben eines Berufssportlers leisten. «Auch wenn nur spärlich Preisgelder fliessen», sagt er.
Am Sonntag steht Künzi zum ersten Mal im Einsatz, am Dienstag dann nochmals, in Dreiergruppen werden die Achtelfinalisten ermittelt. Sein erster Gegner ist Li Shi Feng, der Chinese ist die Nummer 6 der Welt und damit ein Brocken. Das weiss Künzi, sein Ziel ist deshalb ein Sieg in der zweiten Partie gegen den Nigerianer Juwon Opeyori. «Für mich geht es hier ums Gesamtpaket: Eröffnungsfeier, olympisches Dorf, Athleten anderer Sportarten kennen lernen», sagt er. Dafür muss er nun nicht mehr um die ganze Welt reisen.
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