Aussergewöhnlicher ChefDer Schweizer Nationaltrainer, der mit den Royals Tee trank
Rajiv Ouseph war schon im Buckingham Palace und hat mit Charles Small Talk gemacht. Jetzt soll er Schweizer Badmintonspieler an die Olympischen Spiele bringen.
Er war Badmintonprofi, der erfolgreichste seines Landes. Er trank deshalb im Buckingham Palace Tee mit Prince Andrew, damals noch unbescholten. Er kam deshalb zum 5-Minuten-Termin mit Charles, damals noch Prinz. Und er traf deshalb Charles und dessen Söhne William und Harry in der Wembley-Arena von London, damals Stadion der Olympischen Sommerspiele.
Auf der Liste von Rajiv Ouseph fehlt eigentlich nur die Queen.
Gewinnen britische Sportlerinnen und Sportler eine Medaille an Grossanlässen, gibts einen Termin im Königshaus. Ouseph war aufstrebender Athlet bei den Spielen 2012. Er gewann später EM-Gold und EM-Silber. Er spielte sich auf Rang 2 bei den Commonwealth Games und wurde die Weltnummer 10. Und so sind ihm nach der Karriere nicht nur die Erinnerungen an die grössten sportlichen Momente lieb, sondern auch die Erinnerungen an die Momente mit Charles, William, Harry.
Am besten gefallen hat ihm der Schwatz mit Harry am Rande von London 2012. Charles sei bei den kurzen Treffen zwar jeweils sehr gut informiert gewesen, aber doch eher reserviert. Im Gegensatz zu Harry. Der habe ein paar Witze gerissen und alle zum Lachen gebracht.
Ouseph, geboren 1986, ist indischer Abstammung. Seine Eltern kamen nach London, da waren sie Anfang 20. Dass es der Sohn in einer von vielen Asiaten und wenigen Dänen dominierten Sportart an die Weltspitze schaffte, hat in erster Linie mit der Familie zu tun. Der Vater, ein Ingenieur, spielte Badminton im Club, die älteren Schwestern spielten bald mit, und später wurde Ouseph so gut, dass er sich nach der Schule und mit 17 entschied, sich als Profi im Einzel zu versuchen.
Das war ungewöhnlich für einen Engländer, Badminton ist auf der Insel Randsportart. Die Familie half ihm finanziell durch die ersten Jahre, sein Vater sei sein grösster Förderer gewesen, sagt Ouseph. Doch bald hatte er sich so weit nach oben gespielt, dass er vom Sport gut leben konnte.
16 Jahre lang reiste er als Profi von Turnier zu Turnier, er spielte sich an den Olympischen Spielen in Rio bis in den Viertelfinal und wurde 2019 übergangslos vom Berufsspieler zum Berufstrainer beim britischen Verband.
Nun ist Ouseph seit einem Jahr Schweizer Nationaltrainer. Er habe nach fast 20 Jahren im gleichen Umfeld eine neue Herausforderung gebraucht, sagt er. Während der 37-Jährige versucht, sich als Coach in neuer Umgebung weiterzuentwickeln, ist seine Frau Kate mit den beiden Kindern in Leeds geblieben und arbeitet als Schulleiterin.
Sehr viele Schweizerinnen spielen Badminton, aber sehr wenige tun es im Verein
Ouseph hat sich vorgenommen, alle zwei Wochen ein paar Tage bei der Familie zu verbringen. Daneben hat er Arbeit genug. Laut der Studie «Sport Schweiz 2020» spielen rund 200’000 Schweizerinnen und Schweizer regelmässig mit Schläger und Shuttle, aber nur 9955 Personen machen aktiv in einem Verein mit. Im Turn- oder Fussballverband sind es rund 30-mal mehr.
Swiss Badminton versucht, die Zahl mit Aktivierungsprogrammen zu erhöhen. Und Ouseph hat den Auftrag, die stärksten Spielerinnen und Spieler ab 18, 19 Jahren im Leistungszentrum bei Bern so zu fördern, dass es für einen oder gar zwei Startplätze bei den Olympischen Spielen nächstes Jahr in Paris und in Los Angeles 2028 reicht.
Vier bis viereinhalb Stunden auf dem Court umfasst ein normaler Trainingstag in Bern, dazu kommen Einheiten im Kraftraum. Es sind im internationalen Vergleich Umfänge eher an der unteren Grenze, weil Badminton laut Ouseph für den ganzen Körper derart anspruchsvoll ist, dass es sehr viel physisches Training benötigt, um international nur schon in die Nähe der Spitze zu kommen.
Ouseph sagt: «Die besten Schweizerinnen und Schweizer haben nicht weniger Talent als ich damals.» Er wünscht sich, dass zukünftige Schweizer Talente schon früher intensiv gefördert werden, so wie er es bei sich ab 12 Jahren mit täglichen Einheiten erlebt hat.
Die Spielerin mit den besten Aussichten auf einen der je 38 Olympia-Startplätze im Einzel der Frauen und der Männer ist die mit 16 Jahren aus Thailand in die Schweiz gekommene Jenny Stadelmann. Ouseph hat erlebt, dass die 23-Jährige an guten Tagen europäische Extraklasse ist – Anfang Juli gewann sie EM-Bronze im Einzel. Er hat aber auch erlebt, dass ihr noch die Konstanz fehlt, um sich ständig auf hohem Niveau zu bewegen. An der WM in Kopenhagen verlor Stadelmann vergangene Woche wie der stärkste Schweizer Mann, Tobias Künzi, gleich in der ersten Runde.
In der ebenfalls von Asiatinnen dominierten Weltrangliste liegt Stadelmann auf Rang 58. Bei den Männern steht der 25-jährige Künzi auf Rang 109. In Paris könnten nach aktuellem Stand trotzdem beide dabei sein, weil die Startplätze pro Nation beschränkt sind.
Bereinigt liegt Stadelmann auf Rang 26, Künzi auf Position 35. Ouseph genügt das gleichwohl nicht. Er findet, dass seine Athletinnen und Athleten höhere Ambitionen haben müssen. Er ist auch überzeugt, dass es für Stadelmann einfacher ist, in der Weltrangliste aufzusteigen, als für Künzi im sehr kompetitiven Feld der Männer. Stadelmann habe vielleicht noch gar nicht realisiert, wie gut sie sei, sagt er.
Die Top 30 sind sein Ziel für sie. Damit wäre Stadelmann auch an den Spielen dabei. Einen Empfang beim Bundesrat wird es dafür kaum geben. Ouseph hat aber ohnehin einen anderen Wunsch. Wenn er schon einmal hier ist, würde er gern «His Royal Highness of Switzerland» live treffen, wie er ihn nennt: Roger Federer.
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