Schweizer Badminton-Ass Jenjira StadelmannSie ist 16, als sie in Thailand plötzlich alles aufgibt
Schweizer Badminton-Ass Jenjira Stadelmann
Eigentlich will sie Tierärztin werden. Dann lockt der Schweizer Schnee. Und nun ist Jenny Stadelmann die Schweizer Badminton-Hoffnung für Olympia.
«Willst du dauerhaft in Trogen trainieren?» Es ist eine Frage, die sich hierzulande für junge Badminton-Talente durchaus stellen kann. Die Sportschule Appenzellerland geniesst einen ausgezeichneten Ruf, grosse Fortschritte sind hier möglich. Und doch kann Jenjira Stadelmann im Sommer 2016 nicht schon in der ersten Minute Ja sagen, denn für sie wäre eine solche Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen verbunden.
Sie ist damals 16, lebt in Chiang Mai in Thailand, als Tochter eines Schweizers und einer Thailänderin. In der Schweiz ist sie in jener Zeit nur, weil sie ihren Vater mit einem speziellen Wunsch konfrontiert hatte: «Papi, ich war noch nie in der Schweiz. Ich will Schnee sehen und die Berge.» Weil der Vater in der vierten und letzten Ferienwoche arbeiten muss, schickt er die Tochter in ein Trainingslager. Dort glänzt sie. Hanspeter Kolb, der Präsident des BV St. Gallen-Appenzell, wird von seinem Trainer auf das «aussergewöhnliche Talent»aufmerksam gemacht. Kolb wird hellhörig, auch, weil das Mädchen ebenso einen Schweizer Pass hat. «Hampi» ist anschliessend mit seinem Netzwerk und Rat und Tat die zentrale Figur für sie.
Eigentlich wollte sie unbedingt Tierärztin werden
Stadelmann wächst in Chiang Mai polysportiv auf, zeigt in mehreren Disziplinen Talent. Zuerst spielt sie wie ihr älterer Bruder Fussball, dann trainiert sie ein Jahr lang Leichtathletik als Sprinterin, das wird ihr aber zu «langweilig». Direkt neben der Anlage stehen Tennisplätze, aber ihr Vater sei nicht so angetan gewesen von diesem Sport, sagt Stadelmann: «Die Sonneneinstrahlung ist in Thailand sehr stark, und das ist nicht so gut für die Haut.» Bald sucht die Familie eine Alternative mit folgenden Kriterien: ähnlich wie Tennis, aber indoor. Die ideale Lösung ist Badminton. Ein Sport, in Thailand so populär wie hierzulande Fussball.
Klein Jenny spielt bald erfolgreich nationale Turniere, rasch wird ein Grossclub in Bangkok auf sie aufmerksam. Dort fehlt es an nichts, aber nach sechs Monaten wird sie zur Pause gezwungen – die Wirbelsäule ist verschoben, die Schmerzen werden immer stärker. Sie entschliesst sich zum Rückzug ins heimische Umfeld, und mit Therapien, Massagen und sechs Monaten Pause können die Probleme behoben werden. Der Traum vom Leben als Badmintonprofi scheint aber ausgeträumt: «Ich wollte unbedingt Tierärztin werden und daneben ein paar Turniere spielen.»
Und nun also diese Frage, die alle Pläne ins Wanken bringt. Sie stösst bei Jenny Stadelmann auf offene Ohren. Gleich aus drei Gründen: Sie hat mit Badminton auf hohem Niveau noch nicht abgeschlossen, die Konkurrenz in der Schweiz ist ungleich kleiner als in der Heimat und die Möglichkeit, neben dem Training noch zu studieren, viel grösser. Thailand hingegen kennt kein duales System. Die Frage habe sie aber arg beschäftigt: «Ich war erst 16, musste mein ganzes Umfeld aufgeben, meine Familie, meine Freunde. Ich musste mich innerhalb von zwei Wochen entscheiden.» Trotz der Ungewissheit wagt sie den grossen Schritt.
Sie ist schüchtern und hat Angst, Fehler zu machen
Der Anfang ist schwierig. Die Kultur ist ganz anders, das Hauptproblem aber die Sprache: Weil auch ihr Vater Thailändisch spricht, wird zu Hause immer diese Sprache gesprochen, Stadelmann muss in der Schweiz bei null starten. Das sei ein riesiges Problem gewesen, sagt sie im Rückblick: «Ich bin auch noch etwas schüchtern. Ich getraute mich nicht, zu reden, hatte immer Angst, dass ich Fehler machen würde.»
Sie ist aber ehrgeizig, nimmt Privatstunden, besucht auch die Migros-Klubschule, die Konversationen im Badminton-Umfeld beschleunigen die Fortschritte. Heute spricht sie schon sehr gut, steht vor dem B2-Diplom, auch wenn sie sich seit Corona neue Kenntnisse vorwiegend durch Bücher und Filme aneignet. Sie ist aber vollkommen in der Schweiz angekommen: Sie hat auch die Ausbildung zur Fitness- und Bewegungstrainerin absolviert, ebenso in diesem Jahr die Spitzensport-RS. Ihren Lebensmittelpunkt hat sie in Bern.
Obwohl sie immer freundlich und gut gelaunt ist, wird sie auch auf dem Court anfänglich nicht mit offenen Armen empfangen. Eine neue Konkurrentin, die sehr gut spielt und offensichtlich nicht in der Schweiz aufgewachsen ist – das löst schon auf U-19-Stufe teilweise Missgunst aus. «Das habe ich schon gehört und gespürt», sagt Stadelmann, «aber ich kann ja nicht beeinflussen, was andere denken.»
«Sie hat den Sprung von der extrem talentierten jungen Spielerin zur kompletten Sportlerin geschafft.»
Unbekannt ist sie längst nicht mehr, mit ihren Leistungen hat sie sich Respekt erarbeitet. Seit 2018 ist sie Mitglied des Elitenationalkaders, trainiert täglich mit dem Team in Herrenschwanden. Sie ist aktuelle Schweizer Meisterin, nach dem Rücktritt von Sabrina Jaquet ist die Athletin mit dem hervorragenden Spielverständnis auch die Hoffnung Nummer eins beim Verband hinsichtlich der Olympischen Spiele von Paris. Thomas Heiniger, Sportdirektor bei Swiss Badminton, lobt ihre Entwicklung: «Sie hat den Sprung von der extrem talentierten jungen Spielerin zur kompletten Sportlerin geschafft. Sie ist physisch stärker geworden, stabiler, wenn sie gesund ist, kann sie mit den Besten der Welt mithalten.»
Am Mittwoch ist die jetzt 22-Jährige nach Spanien gereist, in Huelva absolviert sie ihre erste Elite-WM zusammen mit Aline Müller im Doppel. Nach einem Startsieg gegen die Irinnen am Montag wird die Aufgabe gegen die Koreanerinnen, die zuletzt die World Tour Finals auf Bali gewannen, am Mittwoch wohl fast unlösbar. «Wir wollen so viele Erfahrungen sammeln wie möglich und dieses Turnier geniessen», umriss Stadelmann vor dem Startspiel die Zielsetzung. Diesen Genussmoment hat sie sich nach all den Entbehrungen auf jeden Fall verdient.
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