Die XXXL-Sprintshow bei OlympiaMuss eine 10-Sekunden-Show fast 3 Minuten dauern?
Die schnellsten Sprinter der Welt werden inszeniert wie ein Konzert von Taylor Swift. Das irritiert – auch sie selbst. Und die schnellsten Frauen, die kein Brimborium erhielten.

Dann wird es dunkel im Stade de France. Zehntausende Lämpchen gehen an und flirren in der riesigen Arena. Auf der Rundbahn eine Lichtshow, und über dem Stadion kreist der Helikopter, der die Sicherheit garantieren soll. Es folgt an diesem Sonntagabend der Höhepunkt der olympischen Leichtathletik-Wettkämpfe. Wie immer ein Highlight der gesamten Spiele. Das, worauf alle gewartet haben: der Showdown der Männer über 100 m.
Ein Blitzgedanke und die Erinnerung an den Vorabend: War das vor dem Frauenfinal auch so gewesen? So feierlich und inszeniert wie ein Konzert von Taylor Swift? Ähm – nein. Der Helikopter ja. Doch dann: Startschuss, Zieleinlauf, eine Siegerin und fertig. SRF-Kommentatorin Ellen Sprunger, bis vor kurzem selbst Spitzenathletin, hat vier Worte übrig für die Diskrepanz zwischen Frau und Mann: «Das ist ein Fauxpas!», ein Fehler.
Was für die Männer danach folgt, ist kein Fehler, sondern eine Zumutung. Ein bis ins Detail geplanter Spannungsbogen, den jeder Veranstalter haben will, wenn die schnellsten Männer ins Stadion einlaufen. Das ewige Übel an diesem 100-m-Rennen: Es dauert nicht einmal zehn Sekunden, Start und vorbei. Gesehen haben wir am Sonntagabend aber eine Ultra-Stretch-Version. XXXL.
Noah Lyles und Kollegen wie Rennpferde in den Boxen
Jeder Einzelne der Finalisten trabt ein zu seiner Bahn, Thompson, Seville, Lyles und alle anderen, dann die Vorstellung jedes möglichen Olympiasiegers. Dann steht alles still. Musik hallt durchs Rund, die Sprinter warten wie die Rennpferde in ihren Boxen. Angespannt, ungeduldig, fokussiert.
Geschlagene 50 Sekunden verstreichen. Das Publikum wird unruhig, beginnt zu klatschen. Wieso geht es nicht weiter? Die Protagonisten versuchen, die Spannung zu behalten, Sprunger findet: «Dieses Prozedere ist überlang – aber es ist für alle gleich. Und als Athlet muss man auf alle Szenarien vorbereitet sein.» Schon, ja. Jetzt schweift die Kamera kurz noch einmal über die Stars. Wo sind wohl ihre Gedanken?

Weitere 2:20 Minuten verstreichen, hat Thompson, der noch nicht erfahrene Jamaikaner, hier seine fünf Tausendstel verloren, die ihm auf Sieger Noah Lyles fehlen werden? Hypothetisch.
Dann endlich ertönt das erlösende «Get set!». Auf in die Startblöcke! Gut drei Minuten haben sie nun ihre Kraft und Explosivität zügeln müssen. Drei Minuten wurden sie auf die Folter gespannt. Eine Show auf Kosten der Sprinter – und zugunsten der Zuschauer und TV-Anstalten. Im Stadion, am Fernseher, für den epischen Moment. Der im Krimi und mit dem Gold für den Favoriten endet.
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