Kolumne des Ombudsmanns«Ohne Vertrauen keine Demokratie»
Die Medien wurden für ihre Berichterstattung während Corona als «Lügenpresse» beschimpft. Dabei ist es gerade die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, sich für die Wahrheit einzusetzen.
An heftigen Äusserungen des Misstrauens, die den Medien in Sachen Corona-Berichterstattung entgegenbranden, hat es 2021 nicht gemangelt. «Lügenpresse» oder «Lückenpresse» gehören noch zu den netteren Beschimpfungen, mit denen eine Minderheit der Leserschaft die Journalistenzunft bedachte.
Umso erstaunlicher, dass am 10. Dezember eine Journalistin und ein Journalist in Oslo den diesjährigen Friedensnobelpreis entgegennehmen durften. Die Preisträgerin und der Preisträger stammen beide aus Staaten, in denen die Unterdrückung auch der Presse kein Hirngespinst, sondern traurige Realität ist.
Mit der Filipina Maria Ressa und dem Russen Dmitri Muratow zeichnete das Preiskomitee zwei Medienschaffende für «ihre Bemühungen um die Meinungsfreiheit» aus. Letztmals war 1936 ein Journalist, der Deutsche Carl von Ossietzky, mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden. Ossietzky, der in der Zeitschrift «Die Weltbühne» illegale Zustände in der Weimarer Republik und unter den Nationalsozialisten anprangerte, starb zwei Jahre später 49-jährig an den Folgen von Misshandlungen, die er als politischer Häftling erlitten hatte.
«Wir sind die Voraussetzung für Fortschritt. Wir sind das Gegengift gegen Tyrannei.»
Er wünsche sich, dass Journalisten alt sterben, sagte Dmitri Muratow bei der Preisverleihung in Oslo. Der Russe hat als Chefredaktor der dreimal wöchentlich erscheinenden Moskauer Zeitung «Nowaja Gaseta» erlebt, wie sechs seiner Kolleginnen und Kollegen ermordet wurden, nur weil sie ihre Arbeit machten.
Muratow erinnerte daran, dass jüngst mehr als 100 Medienschaffende, Menschenrechtler, Medien und NGOs in Russland als «ausländische Agenten», d. h. als «Feinde des Volkes» eingestuft worden seien. Doch Journalisten, so der 60-Jährige, hätten die klare Aufgabe, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden: «Wir sind die Voraussetzung für Fortschritt. Wir sind das Gegengift gegen Tyrannei.»
Maria Ressa, einst CNN-Korrespondentin und heute Chefredaktorin der investigativen Plattform «Rappler», kritisierte in Oslo nicht nur die philippinische Regierung unter Präsident Rodrigo Duterte, sondern auch amerikanische Internetkonzerne wie Facebook oder Twitter. Diese kontrollierten das globale Informationsökosystem und seien gegenüber Fakten und Medienschaffenden voreingenommen: «Sie spalten uns absichtlich und radikalisieren uns.»
Soziale Netzwerke, so die 58-Jährige, seien Komplizen bei der Unterwanderung und Unterdrückung der Demokratie: «Ohne Wahrheit gibt es kein Vertrauen. Ohne Vertrauen gibt es keine gemeinsame Wirklichkeit, keine Demokratie und wird es unmöglich, die existenziellen Probleme unserer Welt zu bewältigen: Klima, Coronavirus, der Kampf für Wahrheit.» Ihre Frage an das Publikum: «Was würden Sie für die Wahrheit zu opfern?»
Die Philippinen sind laut Reporter ohne Grenzen einer der gefährlichsten Orte für Journalistinnen und Journalisten. Seit den Achtzigerjahren sind dort nahezu 200 Medienschaffende ermordet worden. Auf der Rangliste der Pressefreit stehen Maria Ressas Philippinen unter 180 Ländern auf Platz 138 und Dmitri Muratows Russland auf Platz 150. Die Schweiz, Heimat der Freiheitstrychler, steht auf Platz 10.
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