Friedensnobelpreis für Ressa und MuratowDetektivin für die Unterdrückten und Russlands letzte unabhängige Stimme
Die Journalistin Maria Ressa wird für ihren Kampf gegen die totalitären Methoden des philippinischen Machthabers ausgezeichnet. Sie teilt sich den Preis mit Dmitri Muratow, dem wohl mutigsten Publizisten Russlands.
«Ich bin unter Schock», waren ihre ersten Worte, als sie erfuhr, dass sie in diesem Jahr den Friedensnobelpreis erhält. Aber dann hatte sich Maria Ressa auch schnell wieder gefasst und sagte: «Wir werden weiter tun, was wir tun.» Mit ihrer investigativen Plattform «Rappler» deckt sie seit Jahren auf, wie der philippinische Staatschef Rodrigo Duterte seine Macht missbraucht und dafür auch geschickt die Möglichkeiten der sozialen Medien kapert.
Ressa ist eine Frau, die das Kunststück vollbringt, unter gewaltigem Druck und Stress immer noch grosse Zuversicht zu versprühen. Seit Jahren kämpft sie als investigative Journalistin gegen staatlich sanktioniertes Unrecht in ihrer Heimat. Sie stemmt sich gegen die Versuche der Mächtigen, das Internet und die sozialen Medien zu manipulieren und die freie Presse zu gängeln. Sie prangert an, dass Diktatoren vielerorts auf der Welt ganze Troll-Armeen in Stellung bringen, um ihre Gegner zu erdrücken.
Anonyme Morddrohungen
Die 58-Jährige ist auch immer eine tapfere Gegnerin des blutigen Anti-Drogen-Krieges gewesen, den Staatschef Duterte in seinem Land nach seinem Wahlsieg angestossen hat. Sein brutaler Feldzug hat Schätzungen zufolge Zehntausende Tote gefordert.
«Der Regierung wird nicht glücklich sein», sagt sie nach der Preisverkündung. Ihre Gegner in den Philippinen haben in den vergangenen Jahren viele Hebel in Bewegung gesetzt, um Ressa und ihre Mitstreiter auszubremsen und einzuschüchtern. Zum Schweigen gebracht haben sie die Journalistin damit nicht. Sie wurde zeitweilig verhaftet und mit Strafverfahren wegen angeblicher Verleumdung überzogen; man hat sie mit anonymen Morddrohungen über das Internet überschwemmt; manche kündigten an, sie zu vergewaltigen und zu foltern; andere beschimpften sie als Hure und Hündin. All diesen Schmutz hat sie ertragen - und weitergemacht. Das verschafft ihr nicht nur in ihrem eigenen Land, sondern weltweit Respekt.
Ihre Furchtlosigkeit, gekoppelt mit einem detektivischen Instinkt, erlaubt ihr nicht locker zu lassen, wenn sie auf brisante Spuren stösst. Und die gibt es quasi überall in den Philippinen, wo Menschen von Todesschwadronen gejagt werden oder bei offiziellen Polizeirazzien unter äusserst dubiosen Umständen sterben, wo Sicherheitskräfte vertuschen, anstatt aufzuklären, wo sich Journalisten täglich in Lebensgefahr begeben, wenn sie versuchen, Korruption und Missbrauch aufdecken.
Nach ersten Erfahrungen als Reporterin kam Ressa zum Sender CNN, wo sie viele Jahre lang Karriere machte. Sie arbeitete als Bürochefin in Manila und Jakarta.
Maria Ressa lebte nicht immer in den Philippinen. Ihre Eltern verliessen die Heimat in der Zeit der Marcos-Diktatur und zogen in die USA, damals war sie noch ein junges Mädchen. Später studierte sie in Princeton Molekularbiologie und Theater. Nach Manila kehrte sie zurück, als das Volk gegen den Diktator aufbegehrte, das Erlebnis der «People Power» hat sie geprägt.
Nach ersten Erfahrungen als Reporterin kam Ressa zum Sender CNN, wo sie viele Jahre lang Karriere machte. Sie arbeitete als Bürochefin in Manila und Jakarta und recherchierte zeitweise viel zu Terrornetzwerken von al-Qaida. Später, als Duterte seinen Siegeszug antrat, gründete sie ihre Plattform «Rappler» und konzentrierte sich darauf, Manipulationen und Machenschaften im Umkreis Dutertes aufzudecken.
Wie Maria Ressa fordert auch der Russe Dmitri Muratow die Mächtigen heraus. Am Freitag ist erst nicht ans Telefon gegangen, als der Anruf aus Norwegen kam. Der Journalist hielt ihn für Spam, für einen der in Russland so häufigen Werbeanrufe. Als ihn dann doch die Nachricht erreichte, dass er den Friedensnobelpreis gewonnen hat, widmete Muratow ihn sogleich seinen ermordeten Kollegen und Kolleginnen bei der «Nowaja Gaseta», darunter Anna Politkowskaja, Juri Schtschekotschichin, Igor Domnikow – «diese Leute haben heute den Nobelpreis bekommen», schrieb er in einer ersten Reaktion.
Sechs Redaktionsmitglieder ermordet
Die «Nowaja Gaseta»ist seine Zeitung, Dmitri Muratow hat sie 1993 gemeinsam mit Kollegen gegründet. Dass sie über die Jahrzehnte stets unabhängig geblieben ist, grenzt in Russland an ein kleines Wunder. Fast alle einst kritischen Medien sind inzwischen durch kremlnahe Herausgeber und Chefredaktoren ihrer Unabhängigkeit beraubt worden. Oder sie mussten aufgeben, weil sie sich unter dem ständig wachsenden Druck nicht mehr finanzieren konnten. Die «Nowaja Gaseta» gilt vielen Lesern daher längst als die einzige unabhängige Zeitung mit landesweitem Einfluss in Russland. Sie ist bekannt für ihre Recherchen über Menschenrechtsverletzungen und Folter, über Korruption, Geldwäsche und Wahlbetrug. Ihre Journalisten waren von Anfang an nicht nur grossem politischen Druck ausgesetzt, sondern oft auch mit Gewalt, körperlichen Angriffen, Vergiftungsversuchen konfrontiert. Sechs Redaktionsmitglieder wurden seit Gründung der Zeitung ermordet.
Der Zeitpunkt für Muratows Auszeichnung ist daher sicher kein Zufall: Das norwegische Nobelkomitee verkündete sie, nur einen Tag nachdem sich der Mord an Anna Politkowskaja zum 15. Mal gejährt hatte. Ein Todeskommando aus Tschetschenien hatte die Journalistin 2006 im Lift ihres Wohnhauses erschossen. Politkowskaja hatte Artikel und Bücher über den Tschetschenienkrieg veröffentlicht, die besonders grausame Menschenrechtsverletzungen anprangerten. Ihre Kollegen bei der «Nowaja Gaseta» versuchten jahrelang vergeblich, die Auftraggeber für den Mord zu finden. Nun verjährt die Tat – es sei denn, ein russisches Gericht verlängert die Frist.
Gorbatschow spendete Computer
Auch die anderen Redaktoren, die Muratow nennt, waren für ihre journalistische Arbeit bekannt: Igor Domnikow, der ebenfalls kritisch über den Tschetschenienkrieg berichtet hatte, wurde 2000 von einem Unbekannten erschlagen. Juri Schtschekotschichin starb 2003 plötzlich mit Vergiftungssymptomen. Er hatte zuvor über den russischen Geheimdienst FSB recherchiert. Die Liste geht weiter.
Chefredaktor Muratow hat häufig kämpfen müssen für das Bestehen seiner Redaktion, die Freiheit seiner Kollegen. Er selbst hat bereits während seines Philologiestudiums in Moskau für lokale Zeitungen und später für die landesweite «Komsomolskaja Prawda» geschrieben. Als er vor 28 Jahren die «Nowaja Gaseta» mitgründete, half ausgerechnet ein weiterer Friedensnobelpreisträger aus: Der frühere Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, spendete der jungen Zeitung damals ihre ersten Computer. Er soll dafür das Preisgeld aus Oslo verwendet haben.
Wird Putin gratulieren?
Heute ist die Situation für unabhängige Journalisten noch schwieriger als damals. Kritische Medien werden zu «ausländischen Agenten» erklärt, was ihre Arbeit oft unmöglich macht. «Wir werden versuchen, Menschen zu helfen, die jetzt als Agenten gelten, die jetzt gemobbt, aus dem Land ausgewiesen werden», sagte Muratow am Freitag dem Telegram-Kanal Podjom.
Muratow ist 59 Jahre alt, 2017 wollte er sich nach 22 Jahren als Chefredaktor eigentlich langfristig zurückziehen. Doch schon 2019 holte ihn seine Redaktion per Abstimmung zurück. Der Kreml gratulierte dem Friedensnobelpreisträger mit distanzierter Gelassenheit: Muratow «arbeitet konsequent im Einklang mit seinen Idealen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. «Er ist talentvoll, er ist tapfer.» Und Peskow sagte noch: Ob Präsident Wladimir Putin dem Preisträger auch persönlich gratulieren werde, könne er nicht sagen.
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