Kickls Aussicht aufs KanzleramtÖsterreichs Präsident Van der Bellen beauftragt FPÖ-Chef Kickl mit Regierungsbildung
Herbert Kickl wolle die Verantwortung übernehmen – das teilt der Präsident mit. Er habe mit ihm über die geopolitische Lage, aber auch über die Medienfreiheit gesprochen.
Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat der rechtspopulistischen FPÖ offiziell den Auftrag zur Bildung einer Regierung erteilt. Das teilte das Staatsoberhaupt bei einer Pressekonferenz in Wien mit. Parteichef Herbert Kickl solle Gespräche mit der konservativen ÖVP aufnehmen, sagte Van der Bellen. Damit könnte die FPÖ erstmals das Kanzleramt übernehmen.
Das Land brauche gerade in der aktuell wirtschaftlich äusserst schwierigen Lage eine arbeitsfähige Regierung. Diese müsse robust sein, sagte Van der Bellen. Er habe mit Kickl die neue Situation besprochen – so auch die geopolitische Lage im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ebenso sei es um die Medienfreiheit gegangen. Kickl wolle diese Verantwortung übernehmen, sagte Van der Bellen.
Der FPÖ-Chef habe ihm im Gespräch versichert, dass er sich die Aufgabe als Kanzler zutraue, sagte Van der Bellen weiter. «Der Respekt vor dem Wählervotum gebietet es, dass der Bundespräsident die Mehrheit achtet», auch wenn er selbst möglicherweise andere Wünsche und Vorstellungen habe. «Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht», sagte er.
Das rund einstündige Treffen von Van der Bellen und Kickl war begleitet von Protesten. Vor der Präsidialkanzlei waren Hunderte Demonstranten aufmarschiert, die vor einem gewaltigen Rechtsruck warnten.
Die FPÖ hatte die Parlamentswahl im September mit knapp 29 Prozent der Stimmen gewonnen. Zunächst wollte niemand mit den Rechtspopulisten regieren. Doch Gespräche über eine Regierung aus den Mitteparteien sind gescheitert. Die bisherige Kanzlerpartei ÖVP schwenkte danach um. Sie ist jetzt doch dazu bereit, mit der rechtspopulistischen FPÖ über eine Koalition zu verhandeln. Die konservative ÖVP und die rechte FPÖ hatten bereits in den 2000er-Jahren und zwischen 2017 und 2019 Koalitionen gebildet – allerdings unter ÖVP-Regierungschefs. Nun könnte erstmals die FPÖ das Kanzleramt übernehmen.
Bekannt für russlandfreundliche Haltung
Zuvor müssten sich die beiden Parteien jedoch auf ein Regierungsprogramm einigen. Bei Themen wie Migration und Steuern sind sie weitgehend einig. Doch zwischen der Moskau-freundlichen und EU-kritischen FPÖ und der ÖVP gibt es Differenzen in Sachen Aussen- und Sicherheitspolitik.
Der 56-jährige Kickl, der sich im Wahlkampf als «Volkskanzler» positioniert hatte, ist unter anderem bekannt für seine russlandfreundliche Haltung und eine äusserst strikte Migrationspolitik mit Abschiebungen im grossen Stil.
Sparmassnahmen oder Steuererhöhungen mit der FPÖ?
Für etwaige Koalitionsgespräche von FPÖ und ÖVP zeichne sich eine grosse Übereinstimmung in der Wirtschafts-, Asyl- und Bildungspolitik ab, sagte die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle am Sonntagabend in der ORF-Nachrichtensendung «ZiB2». Erhebliche Diskrepanzen seien dagegen bei der EU-, Aussen- und Sicherheitspolitik zu verorten, sagte sie.
Völlig offen seien auch gemeinsame Konzepte zur Bewältigung der tiefen Budgetkrise, sagte der Präsident des Fiskalrats, Christoph Badelt, im ORF. Es sei fraglich, ob ein neuer Kanzler von der FPÖ mit unpopulären Sparmassnahmen oder Steuererhöhungen starten wolle, so Badelt weiter. «Wir wissen alle nicht, wozu die FPÖ, wenn es wirklich ums Budgetkonsolidieren geht, eigentlich bereit wäre.» Österreich muss dringend sein Budget sanieren, um ein EU-Defizitverfahren zu vermeiden.
Auf Nehammer folgt als Parteichef Stocker
Nach dem Scheitern der Verhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos hatte Kanzler Karl Nehammer seinen Rücktritt angekündigt. Im Amt des Parteichefs folgte ihm interimistisch der bisherige ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Dieser gehörte wie Nehammer bisher zu den schärfsten Kritikern Kickls, dem er unter anderem Regierungsunfähigkeit unterstellte. Er hatte den FPÖ-Chef auch als «Sicherheitsrisiko» bezeichnet.
Zwischenzeitlich war auch ein Comeback von Ex-Kanzler Sebastian Kurz als Option für die ÖVP gehandelt worden. Am Sonntag wurde aber klar, dass der 38-Jährige, der inzwischen als Unternehmer erfolgreich ist, nicht als Nachfolger des aktuellen Kanzlers und ÖVP-Chefs Nehammer zur Verfügung steht, wie es aus seinem Umfeld hiess.
Bundespräsident verweist auf Stimmungswandel
Die Entwicklung zugunsten der FPÖ gilt auch als ein Schlag für den Bundespräsidenten, der eine Dreier-Koalition ohne die Rechtspopulisten präferiert hatte. Nun gehe es aber darum, dass Österreich eine handlungsfähige und stabile Regierung erhalte, so das Staatsoberhaupt.
Zunächst wird Nehammer laut Van der Bellen noch kurze Zeit als Kanzler im Amt bleiben. Im Laufe der Woche werde die Kanzler-Nachfolge geregelt. Der neue Regierungschef oder die neue Regierungschefin wird bis zur Vereidigung der nächsten Regierung das Land führen.
Van der Bellen hatte in seinen Erklärungen immer wieder betont, dass er «nach bestem Wissen und Gewissen» darauf achten werde, dass die Grundpfeiler der Demokratie – er nannte den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, freie, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft – weiter hochgehalten würden.
DPA/oli
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