Ende der «Zuckerl-Koalition»Regierung unter Herbert Kickl wird wahrscheinlicher
Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit SPÖ und Neos über eine Dreierkoalition will es die konservative ÖVP nun mit der in Teilen rechtsextremen FPÖ versuchen. Ein Fall, der selbst für Österreich neu ist.
- FPÖ-Chef Herbert Kickl könnte bald die Regierung in Österreich führen.
- Durch den Rückzug von Nehammer eskalierte die politische Krise in Österreich.
- ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker unterstützt die Gespräche zwischen Van der Bellen und Kickl.
Wer von aussen auf Österreich blickt, wundert sich wahrscheinlich, warum sehr oft Folgendes passiert: In der Wiener Hofburg öffnet sich die Tür zu einem Raum mit roten Seidentapeten, goldenen Verzierungen und einer riesigen goldenen Standuhr. In diese Kulisse, die an einen Sissi-Film erinnert, tritt dann Bundespräsident Alexander Van der Bellen und wendet sich an die «Österreicherinnen und Österreicher und alle, die hier leben». In einer Ansprache erklärt er dann mit der gelassenen Freundlichkeit eines pensionierten Gymnasiallehrers, dem die Jugend noch immer am Herzen liegt, was gerade in der österreichischen Politik passiert.
Wer von innen auf Österreich blickt, merkt irgendwann, dass diese vielen Ansprachen von Alexander Van der Bellen zu den wenigen Dingen im Land gehören, die sich nicht ändern. Die so etwas wie Beständigkeit in den politischen Wirren vermitteln. Sonntagnachmittag war es wieder mal so weit. Van der Bellen betrat den Prunkraum und sagte in seinem ruhigen Tonfall, dass es «immer wieder neue Situationen gibt». Man denke, man kenne die Lage, und dann sei da wieder etwas ganz anders.
Die neue Situation ist Stand jetzt eine veritable Staatskrise. Am Freitag hatten die liberalen Neos verkündet, sich aus den Koalitionsverhandlungen mit der konservativen ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ zurückzuziehen und damit eine Kettenreaktion ausgelöst. Die führte erst dazu, dass Bundeskanzler Karl Nehammer seinen Rückzug vom Parteivorsitz der ÖVP und aus dem Kanzleramt ankündigte. Und endete Sonntagnachmittag damit, dass es vielleicht bald eine Regierung unter der Führung der rechten bis rechtsextremen FPÖ geben könnte.
Van der Bellen will Kickl am Montagvormittag treffen
Die FPÖ hatte im September die Wahl gewonnen, war aber von Van der Bellen nicht mit der Regierung beauftragt worden. Dies habe sich «nach den leeren Kilometern» der gescheiterten Verhandlungen für eine Dreierkoalition verändert, sagte Van der Bellen. Er will am Montagvormittag FPÖ-Chef Herbert Kickl zu einem Gespräch treffen. Eine Regierung mit oder unter Herbert Kickl, der sich gerne als «Volkskanzler» sieht, wird damit zumindest nicht unwahrscheinlicher.
Der Nachricht, die wie eine Kugelbombe in die österreichische politische Landschaft einschlug, war ein ereignisreiches Wochenende vorausgegangen. Nach Nehammers Rückzug war in der ÖVP fieberhaft nach einem neuen Chef gesucht worden. Der muss folgendes Manöver zustande bekommen: Die ÖVP, die bislang kategorisch ausgeschlossen hatte, eine Regierung mit der FPÖ einzugehen, nicht nur genau dazu zu bringen, sondern dabei wahrscheinlich auch noch die Rolle des Juniorpartners einzunehmen.
Das ist selbst für Österreich, das schon einige Koalitionen zwischen Konservativen und Rechtspopulisten gesehen hat, neu. Die Zahl der Bewerber für diesen Job war dann auch äussert überschaubar. Einer nach dem anderen sagte im Laufe der Samstagnacht ab, österreichischen Medienberichten zufolge hätten sich Teile der ÖVP sogar eine Rückkehr von Sebastian Kurz vorstellen können. Der Ex-Bundeskanzler, der wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste und seit Februar auch eine nicht rechtskräftige achtmonatige Haftstrafe wegen Falschaussage in seinem Curriculum hat, soll aber ebenfalls dankend abgelehnt haben.
Am Ende traf es die Person, die sich am wenigsten weigern konnte, den ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Der ist schon qua Stellenprofil dazu verpflichtet, in Krisen den Kopf hinzuhalten und will das nun auch tun. Sonntagnachmittag sagte er in einer Pressekonferenz erst, dass es ihm eine grosse Ehre und Freude sei, zum neuen geschäftsführenden Obmann auserkoren worden zu sein, eine Aufgabe, die er «mit grosser Demut» erfüllen werde. Und dass er die Entscheidung des Bundespräsidenten, mit Kickl Gespräche zu führen, «ausdrücklich» begrüsse. Er erwarte, dass die stimmenstärkste Partei, also die FPÖ, den Auftrag zur Regierungsbildung bekomme.
Die Situation sei «nun anders», sagt der designierte ÖVP-Chef
Stocker, 1960 geboren und von Beruf Rechtsanwalt, kommt aus der niederösterreichischen Lokalpolitik und ist seit 2022 Generalsekretär der Volkspartei. Als solcher fiel er immer wieder mit heftiger Kritik an Herbert Kickl auf. Er nannte den FPÖ-Chef ein «Hochrisiko mit radikalen Ideen» und eine Gefahr «nicht für die Sicherheit, sondern auch für die Demokratie in diesem Land». Der nachvollziehbaren Frage, warum er das nun plötzlich anders sehe, kam er zuvor: Er sagte, dass seine Entscheidung «wohl manche überraschen» werde, zumal seine kritischen und harten Worte über Kickl nicht zuletzt dazu geführt hätten, dass die ÖVP Verhandlungen mit Neos und SPÖ aufnahm. Aber die Situation sei «nun anders». Das Land brauche eine «stabile Regierung», und man wolle sich der Verantwortung nicht entziehen.
Wie stabil eine Regierung unter der FPÖ wäre, ist allerdings eine andere Frage. Wer immer auch in Österreich regiert, sieht sich nicht nur einer katastrophalen Haushaltslage entgegen, die dringendes Sparen erfordert. Sondern auch einer Rezession und nicht zuletzt der Frage, wie man sich im Europa der Krisen und Kriege aussenpolitisch positioniert. Herbert Kickl hat dazu schon einiges durchblicken lassen. Er steht der EU höchst kritisch gegenüber, hat angedeutet, dass auch ein «Öxit» nichts sei, «was man auf alle Zeiten ausschliessen kann». Er ist für Friedensverhandlungen mit Russland; als er noch Innenminister einer ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz war, sollen aus dem ihm unterstellten Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Informationen nach Russland abgeflossen sein. Deshalb kommentierte der deutsche CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter einmal über die FPÖ unter Kickl, sie wirke «wie ein trojanisches Pferd Russlands in Europa».
Kickl selbst schrieb am Sonntag auf Facebook, dass die FPÖ «der einzig stabile Faktor der österreichischen Innenpolitik war und ist». Bis zum Gespräch mit dem Bundespräsidenten am Montag will er sich aber nicht äussern.
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