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Staatsausgaben in der Krise
Ökonomen warnen: Jetzt bloss nicht anfangen zu sparen!

Sie hält Schuldengrenzen nicht für sinnvoll: OECD-Chefökonomin Laurence Boone.
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Noch vor wenigen Jahren hat die Organisation der reichsten Länder (OECD) vor zu hohen Staatsschulden gewarnt. Obwohl die Staatsverschuldung im Zuge der Corona-Krise weltweit deutlich gestiegen ist, kommen jetzt von der OECD ganz andere Töne: Letzte Woche hat die Chefökonomin der Organisation, Laurence Boone, die Länder in einem Interview mit der «Financial Times» eindringlich dazu aufgerufen, jetzt beim Einsatz von Staatsgeldern auf keinen Fall auf die Bremse zu treten und die Erholung der Wirtschaft und der Beschäftigung weiter zu stützen.

Die Sparpolitik vieler Länder «auf beiden Seiten des Atlantiks» nach der Finanzkrise bezeichnet die OECD-Chefökonomin heute als Fehler: «Die erste Lektion daraus lautet, dass Regierungen bis zu zwei Jahre nach dem Krisentiefpunkt nicht auf die Bremse treten sollten», sagte sie. Generellen Schuldengrenzen, wie sie etwa für die Euroländer mit einer Maximalverschuldung von 60 Prozent – gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) – gelten, erteilte sie deshalb eine Absage.

«Die erste Lektion lautet, dass Regierungen bis zu zwei Jahre nach dem Krisentiefpunkt nicht auf die Bremse treten sollten.»

Laurence Boone, OECD-Chefökonomin

Ein Problem sei die Verschuldung derzeit ohnehin nicht, weil Investoren sich darum reissen würden, dem Staat Geld auszuleihen. Davon zeugten die rekordtiefen Zinsen für Staatsanleihen. Die bisher grosse Rolle, die die Notenbanken in der Geldversorgung der Wirtschaft wahrnehmen, ist für Boone ein Grund mehr, warum die Regierungen mit ihren Budgets weiter eine grosse Rolle spielen sollen. Denn gewählte Regierungen seien demokratisch viel besser für Ausgaben legitimiert als die Technokraten in den Notenbanken.

Und während die Geldschwemme der Notenbanken die Kapitalmärkte und die Ungleichheit befeuere und kaum mehr der Realwirtschaft nütze, könnten Staatsausgaben gezielter zum Wohl der Gesamtwirtschaft eingesetzt werden.

Warnung vor alten Fehlern

Mit dieser Warnung steht Boone nicht alleine da. Besonders in den USA ist die Sorge gross, dass der neue Präsident Joseph Biden sich von seiner Zeit als Vizepräsident unter Barack Obama inspirieren lässt. Viele Ökonomen sind der Ansicht, dass die Obama-Regierung zu wenig getan hat, um die wirtschaftlichen Folgeschäden der Finanzkrise zu bereinigen.

Diese Ansicht vertritt etwa Bradford DeLong. Der Wirtschaftsprofessor von der Universität von Berkeley in Kalifornien war in den 90er-Jahren Mitarbeiter der Regierung unter Bill Clinton. In mehreren Beiträgen schreibt er, dass viele der 74 Millionen Trump-Wähler dem US-Präsidenten ihre Stimme gegeben hätten, weil in Trumps Amtszeit bis vor der Covid-Krise die Löhne so stark angestiegen seien wie seit der Amtszeit von Bill Clinton nicht mehr.

Für die schlechte Lage zuvor macht DeLong den Sparkurs von Barack Obama und seinem Vize Joe Biden verantwortlich: «Im Jahr 2010, als die Obama-Administration ihren Schwenk zur Sparsamkeit begann, hatte die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung eine geringere Bedeutung als Ausgabenkürzungen», schreibt er.

Schon vor Jahren hat DeLong zusammen mit dem einstigen Finanzminister unter Clinton, Larry Summers, eine viel beachtete Studie zum Thema verfasst. Die Hauptaussage: Wenn Staatsausgaben helfen, eine schwere Krise zu meistern, führen die dadurch steigenden Einkommen auch zu einer besser tragbaren Verschuldungslage. Das gilt besonders bei extrem tiefen Zinsen.

Was jetzt gilt, gilt nicht ewig

Zum Thema geäussert hat sich auch Kenneth Rogoff. Er zählt zu den bekanntesten Kritikern einer hohen Staatsverschuldung. Zusammen mit Carmen Reinhart – zurzeit Chefökonomin der Weltbank – hat der einstige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds und heutige Professor an der Harvard-Universität das Standardwerk «Dieses Mal ist alles anders – acht Jahrhunderte Finanzkrisen» verfasst. Der Titel ist eine Anspielung auf falsche Rechtfertigungen für eine gefährliche Schuldenzunahme.

Experte in Sachen Staatsverschuldung: Harvard-Professor Kenneth Rogoff.

Im Moment empfiehlt selbst Rogoff den Staaten, die Ausgaben nicht zu stark zu kürzen. «Natürlich ist jetzt in dieser Ausnahmekrise nicht der Moment, auf die hohe Staatsverschuldung zu achten», erklärte er in einem Interview mit dem deutschen «Handelsblatt».

Die Aussagen der Ökonomen bedeuten, dass sich die Schweiz noch sehr viel weniger als andere Sorgen machen muss wegen ihrer Ausgaben zur Bewältigung der aktuellen Krise. Ihre Staatsverschuldung ist laut Schätzung des Internationalen Währungsfonds für das Jahr 2020 gemessen an der Wirtschaftsleistung mit 49 Prozent weniger als halb so hoch wie jene der USA, wo sie sich bereits auf 131 Prozent beläuft. Das Budgetdefizit für 2020 beläuft sich nach dieser Schätzung auf 4,2 Prozent – in den USA auf beinahe 19 Prozent.

Was jetzt und in nächster Zeit richtig ist, gilt aber nicht für immer. Kenneth Rogoff machte deutlich, dass sich die Politik in Zukunft wieder ändern müsse. «Wir können nicht ewig 10-Prozent-Defizite im Budget fahren wie derzeit in den USA.» Und vor allem Europa werde es nicht gelingen, aus den Schulden herauszuwachsen, denn diese belasteten das künftige Wachstum.