Nobelpreis für LiteraturDramatiker Jon Fosse gibt «dem Unsagbaren eine Stimme»
Die Schwedische Akademie ehrt den 64-jährigen Norweger «für seine innovativen Stücke und Prosa». Der Preis ist mit rund 900’000 Franken dotiert; die Vergabe findet am 10. Dezember statt.
Der wichtigste Literaturpreis der Erde wurde dieses Jahr dem Norweger Jon Fosse zugesprochen. Wie die Schwedische Akademie in Stockholm am Donnerstag mitteilte, wird der 64-jährige Dramatiker «für seine innovativen Stücke und Prosa» geehrt, die «dem Unsagbaren eine Stimme geben». Fosses Theaterstücke wie das Drama «Heiss» über eine Dreiecksbeziehung gehören zu den meistgespielten zeitgenössischen Stücken in Europa.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fosses mehr als 50 Werke wurden bereits in etwa 40 Sprachen übersetzt. Der Autor arbeitet auch als Übersetzer und übertrug unter anderem Werke von Franz Kafka, James Joyce und Samuel Beckett ins Norwegische.
Fosse wurde 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund geboren. Erstudierte Vergleichende Literaturwissenschaft und war Dozent an der Akademie für kreatives Schreiben in Hordaland. Seit Anfang der neunziger Jahre ist er freier Schriftsteller. Fosse erhielt den Ibsen-Preis sowie 2000 den österreichischen Theaterpreis «Nestroy» und wurde in Frankreich als «Chevalier de l'Ordre National du Merite» geehrt. Er lebt in Bergen.
Dotiert ist die Auszeichnung in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 910’000 Franken), das sind eine Million Kronen mehr als im Vorjahr.
Der Literaturnobelpreis wird traditionell als vierter der Nobelpreise bekanntgegeben. Von Montag bis Mittwoch waren bereits die Preisträgerinnen und Preisträger in den wissenschaftlichen Kategorien Medizin, Physik und Chemie gekürt worden. Am Freitag folgt im alljährlichen Nobelpreis-Reigen der Friedensnobelpreis, der als einziger nicht in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo verkündet wird.
Am Montag steht dann zum Abschluss die Bekanntgabe in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften an. Feierlich überreicht werden die Preise dann traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter und Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833-1896).
Die Schwedische Akademie ist seit der ersten Vergabe 1901 für die Auswahl der Literaturnobelpreisträger zuständig. Mehr als fünf Jahre nach einem handfesten Skandal um das damalige Akademiemitglied Katarina Frostenson und ihren wegen Vergewaltigung verurteilten Mann Jean-Claude Arnault sind die Wogen bei der Akademie mittlerweile wieder weitgehend geglättet. Seitdem wurden jeweils abwechselnd Frauen und Männer mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet: Den für 2018 nachgeholten Preis erhielt die Polin Olga Tokarczuk parallel mit dem für 2019 ausgezeichneten – und nicht unumstrittenen – Handke.
2020 und 2021 folgten dann mit der US-Poetin Louise Glück und dem tansanischen Schriftsteller Abdulrazak Gurnah zwei überraschende Preisträger, ehe sich die Akademie 2022 auf die Weltliteratin Annie Ernaux verständigte – eine Wahl, die viel Zustimmung in der literarischen Fachwelt erhielt.
Die Französin bekam den Nobelpreis «für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Beschränkungen der persönlichen Erinnerung aufdeckt», wie es von der Akademie damals hiess.
Der Dramatiker Jon Fosse in Zürich
Es war eine Setzung: Zur Eröffnung seiner Intendanz am Schauspielhaus Zürich im Herbst 2000 programmierte Christoph Marthaler in der neu erfundenen Schiffbau-Box die deutschsprachige Erstaufführung von Jon Fosses «Die Nacht singt ihre Lieder» (Regie: Falk Richter). Hilflos wühlen dort junge Leute in einer sinnentleerten Wohlfahrtsstaat-Tristesse, hängen auf der Couch herum oder in Gedankenschleifen fest. Und das Publikum verfolgte gefesselt und betroffen diesen leisen Rapport einer seinerzeit ubiquitären Dekadenz. Diese Transposition des Beckettschen Sounds in die Jahrtausendwende (Beckett hat Fosse extrem beeinflusst, wie er sagt).
Es überraschte keinen, dass beispielsweise Thomas Ostermeier, (Co-)Leiter an der Berliner Schaubühne, damals bekannte, am liebsten würde er in der gesamten Spielzeit nur Stücke von Jon Fosse inszenieren. Die intime Schiffbaubox in Zürich wiederum entpuppte sich als idealer Schau-Platz für die Hack-Stücke des Norwegers, in denen Blicke und Sätze ins Leere gehen, Wörter ins Nichts tropfen wie «Nein» – «Aber er» – «Ja» – «Aha». Wie im noch recht konkret verorteten «Der Sohn», 2003 in Zürich zu sehen. Oder im abstrakteren, geradezu transzendentalen «Ich bin der Wind», in Zürich 2009 inszeniert vom damaligen Intendanten Matthias Hartmann.
Als ich Fosse damals zur Offenheit der Besetzung in dem formal radikal verdichteten Zweistimmenstück befragte, lächelte er kurz und sagte: «Das ist wie bei Ibsen, den ich sehr bewundere: Meine Stücke sind auch unkaputtbar.» Wo Ibsen jedoch hart und brutal, dämonisch und schmerzhaft sei, klinge es bei ihm liebender, trauriger. Allerdings sei er jetzt an einem toten Punkt angelangt, er warte auf die richtigen Wörter für ein neues Schaffen. 2013 zeigte Werner Düggelin dann auf der Pfauenbühne Jon Fosses Stück «Schönes»: am Bühnenhorizont nichts als weisse Unendlichkeit. Trost haben Fosses betäubte und gebrochene Gestalten nicht gefunden. Aber wir, immer wieder, in ihnen. (Alexandra Kedves)
DPA/ked
Fehler gefunden?Jetzt melden.