Die Nobelpreis-Akademie im freien Zerfall
Die ehrwürdige Institution, die den Literaturnobelpreis vergibt, wird von einem Skandal erschüttert. Er betrifft auch die Zukunft des Preises.
Achtzehn Mitglieder hat die Schwedische Akademie, das Gremium, das unter anderem den Nobelpreis für Literatur vergibt, die berühmteste und höchstdotierte Auszeichnung für einen Schriftsteller. Zwölf Mitglieder braucht sie, um Beschlüsse fassen zu können, die Grundlagen ihrer Arbeit berühren. Am vergangenen Wochenende brach die Akademie auseinander, und auch wenn das Quorum noch nicht unterschritten ist, so erscheint es doch im Augenblick völlig ungewiss, wie sie überhaupt fortbestehen soll. Unmittelbar betroffen davon ist auch die Zukunft des Nobelpreises.
Auslöser des Konflikts war eine Sitzung der Akademie am vergangenen Donnerstag, in der über den Ausschluss der Lyrikerin Katarina Frostenson aus der Akademie entschieden werden sollte – also über eine beispiellose Massnahme, der allerdings ein beispielloses Fehlverhalten vorausgegangen zu sein scheint.
Denn nicht nur, dass Katarina Frostenson ihrem Mann, dem Fotografen Jean-Claude Arnault, allen Schweigepflichten zum Trotz die Namen zukünftiger Nobelpreisträger verraten haben soll. Vielmehr erwies sich auch, dass die Dichterin Teilhaberin eines privaten Kunstclubs war, der von ihrem Mann kommerziell betrieben wurde, der aber regelmässig Zuwendungen von der Akademie erhielt und auch darüber hinaus, in Gestalt von Engagements und Auftritten, von der Akademie unterstützt wurde – Katarina Frostenson scheint also über Zuwendungen an sich selbst entschieden zu haben.
Zu wenig Stimmen
In diesem Kunstclub muss es zudem zu so schwerwiegenden rechtlichen Verfehlungen gekommen sein – von der Steuerhinterziehung bis zum illegalen Ausschank von Alkohol –, dass ein von der Akademie zurate gezogenes Anwaltsbüro empfahl, den Club vor Gericht zu bringen.
Bekannt geworden waren entsprechende Vorwürfe im vergangenen Herbst, als 18 Schriftstellerinnen und ehemalige Mitarbeiterinnen des Vereins im Zuge der #MeToo-Bewegung darlegten, wie sich Jean-Claude Arnault, oft mit dem Verweis auf seine Nähe zur Akademie, sexuell übergriffig verhalten hatte. Katarina Frostenson verhielt sich offenbar ihrem Mann gegenüber stets loyal, und sie tut es immer noch. Beide sind seit der Publikation der Vorwürfe aus der Öffentlichkeit verschwunden, die Lyrikerin nimmt auch nicht mehr an den Sitzungen der Akademie teil.
Die Literaturwissenschaftlerin Sara Danius, die Ständige Sekretärin der Akademie, hatte, so schwedische Zeitungen, für einen Ausschluss Katarina Frostensons plädiert. Bei der anonymen Abstimmung am vergangenen Donnerstag wurden für einen solchen radikalen Schnitt nicht genug Stimmen erzielt. Drei Mitglieder der Akademie – die Schriftsteller Klas Östergren und Kjell Espmark sowie der Historiker Peter Englund – gaben daraufhin bekannt, dass sie sich mit sofortiger Wirkung und bis auf weiteres aus der Akademie zurückziehen.
Weil zwei Mitgliedschaften schon seit längerer Zeit ruhen, sank die Zahl der potenziell aktiven Mitglieder damit auf dreizehn. Am Wochenende gab nun auch die Schriftstellerin Sara Stridsberg bekannt, einen Austritt zu erwägen, während Sara Danius offenbar nur aus Pflichtgefühl Ständige Sekretärin bleiben will. Sie mache weiter, solange sie dazu in der Lage sei, erklärte sie.
Ihr Kollege Per Wästberg versicherte, ebenfalls für einen Ausschluss Katarina Frostensons gestimmt zu haben, Sara Danius aber innerhalb der Akademie unterstützen zu wollen. Die Ständige Sekretärin befindet sich in einer prekären Situation. Seit Anfang 2015 im Amt, hatte sie sich stets um Klarheit in den Angelegenheiten der Akademie bemüht. Sie war es gewesen, die nach Beginn der Skandale im vergangenen Herbst ein Anwaltsbüro beauftragt hatte, den Vorwürfen auf persönliche Vorteilsnahme nachzugehen – wobei es offenbar schon bald nicht mehr allein um das anstössige Sexualleben eines Angeheirateten (die Vorwürfe erwiesen sich meist als nicht justiziabel, ein Verfahren ist noch offen) ging, sondern etwa auch um die Geschäfte des Clubs und die Immobilien von Akademiemitgliedern.
Abtrünnige und Verbliebene
Da Sara Danius nun keinen Rückhalt mehr von den ausgestiegenen Mitgliedern erhalten kann, sieht sie sich einer Mehrheit gegenüber, die offenbar auf die hergebrachte Weise weitermachen will. Zu dieser Majorität gehört vor allem der Literaturkritiker und Essayist Horace Engdahl, selbst lange Zeit Ständiger Sekretär, der von allen Anschuldigungen gegen seinen erklärten Freund Jean-Claude Arnault nie etwas wissen wollte und darauf beharrte, die Statuten der Akademie erlaubten keinen Rücktritt – mit der Folge, dass auch Mitglieder, die sich aus allen Funktionen zurückziehen, bis zu ihrem Tod dem Gremium angehören müssten.
Am Samstag widersprach Sara Danius in der Zeitung «Svenska Dagbladet» dieser Einschätzung: Der Fall eines freiwilligen Rücktritts sei in den Statuten gar nicht vorgesehen, weshalb man eine solche Möglichkeit formell regeln sollte. Ausserdem habe sie die Absicht, die Verhältnisse innerhalb der Akademie «transparenter» zu machen – womit sie vermutlich den Klientelismus meinte, der sich in diesen Kreisen durchgesetzt haben muss.
Ihre Position innerhalb der Akademie erscheint indessen umso schwächer, als sich durch die Rückzüge nicht nur die numerischen Proportionen, sondern auch die sachlichen verändert haben: Die Abtrünnigen, Sara Stridsberg inbegriffen, sind Schriftsteller und Intellektuelle von internationalem Ruf, die Mehrheit der Verbliebenen sind Professoren und Funktionäre von eher regionaler Bedeutung. In den nächsten Tagen wird Sara Danius nun vor dem schwedischen König, dem Herrn und «hohen Beschützer» der Akademie, erscheinen müssen. Er wird ihr sagen, was sie selber weiss: dass die gegenwärtige Situation nicht zu halten ist.
Denn nicht nur, dass Beschlüsse einer auseinandergebrochenen Akademie wenig gelten dürften: Ein Gremium, das in seinen Kreisen private Vorteilsnahmen in erheblichem Mass zulässt, wirkt auch in Fragen des intellektuellen oder literarischen Urteils nicht mehr souverän. Wenn die Mitglieder der Akademie sich gegenseitig nicht mehr für redlich halten, kann der Nobelpreis von solchen Zweifeln nicht unberührt bleiben.
Spekuliert wird nun in Schweden vor allem über das Verhalten von Katarina Frostenson. Würde sie von ihrem Amt zurücktreten, wäre dem Konflikt für den Augenblick die Spitze genommen. Die drei Abtrünnigen würden vielleicht zurückkehren. Eine allfällige Neuordnung der Akademie und ihrer Geschäfte könnte dann womöglich in etwas geregelteren Formen durchgesetzt werden können.