Faszinierender TrainerMit 56 Jahren erstmals Chef von Profis – der Assistent aus der Schweiz schreibt ein schwedisches Märchen
Niklas Gällstedt war jahrelang Assistenzcoach. Er schwor sich, nie mehr beim Heimatclub zu arbeiten – nun dominiert er mit Brynäs das schwedische Eishockey.

- Niklas Gällstedt wurde 2023 Trainer von Brynäs IF in Schweden.
- Es war mit 56 Jahren seine erste Station als Headcoach eines Profiteams.
- Zuvor hatte er viele Jahre in der Schweiz gearbeitet.
- In seiner Heimatstadt Gävle erlebt er nun noch nie Dagewesenes.
Tochter Emma und Ehefrau Anna waren dagegen. Sohn Andreas war dafür. Und Niklas Gällstedt selbst war eigentlich dafür – und doch hin- und hergerissen. Es tönte perfekt: die Rückkehr nach Gävle, wo er als Spieler des lokalen Clubs Brynäs seinen ersten Titel gewonnen hatte. Die Stadt, in der er Anna kennen gelernt hatte. Und der Ort, der für den aus Södertälje stammenden Gällstedt zur neuen Heimat wurde, in der er nach der Karriere jahrelang als Nachwuchstrainer tätig war.
Mit 56 würde er erstmals Cheftrainer eines Profiteams werden. Ausgerechnet bei «seinem» Brynäs IF. Zwar «bloss» in der zweithöchsten Liga, aber mit dem klaren Ziel sofortiger Wiederaufstieg. Seine beiden Assistenten wären zwei alte Freunde aus früheren Jahren in Gävle. In einem Traditionsclub mit 13 Meistertiteln, in einer Stadt, die Gällstedt so beschreibt: «Gävle ist Hockeykultur. Gävle ist Eishockey.»
Was gab es da zu zögern?
Der CEO von Ikea überzeugte Gällstedt
Es gab ein Problem: «Ich hatte mir und meiner Familie geschworen, nie als Trainer in meine Heimatstadt zurückzukehren.» Das lag nicht daran, dass Brynäs ihm 2015 abgesagt hatte, als ein Trainer für die 1. Mannschaft gesucht wurde und Gällstedt Interesse signalisierte. Er hegt keinen Groll. Erst so landete er schliesslich in der Schweiz, wo er bis 2023 in Kloten, Rapperswil-Jona und Zug als Assistenzcoach wirkte.
Doch eine hockeyverrückte Stadt hat auch ihre Tücken. Vor allem, wenn die Erfolge lange zurückliegen und alle in der Vergangenheit schwelgen. Seit den 70er-Jahren war Brynäs nur noch dreimal Champion, zuletzt 2012. Danach begann der Niedergang, der seinen Tiefpunkt 2023 im Abstieg fand. Vor Gällstedt hatten sich bei Brynäs in sieben Jahren acht Trainer versucht, viele wurden gleich wieder entlassen.

Und fast alle Leute in Gävle haben ihre Meinung zum Club und tun diese auch kund, wie Gällstedt sagt. Eine viel gehörte sei die, dass man endlich keine ehemaligen Spieler mehr als Trainer oder Funktionäre zurückholen solle. Der Respekt bei Gällstedt war gross, nicht zu Unrecht. Lokalhelden haben es bei einem Ende mit Misserfolg besonders schwer. Oder wie es Ambris Luca Cereda einst beschrieb: Er hoffe, nach seiner Karriere weiter im Tal leben zu können, ohne dass ihm die Leute Tomaten nachwerfen würden.
«Deine Liebsten können nichts unternehmen dagegen, was alles über ihren Ehemann oder ihren Vater gesagt und geschrieben wird», sagt Gällstedt. «Ich fragte mich: Will ich meine Familie wirklich in diese Position bringen?» Er hatte Ideen für Regeln wie diese: Alle sollen so wenig wie möglich über Brynäs lesen. Er wusste aber auch: «In Zeiten von Social Media kriegst du sowieso fast alles mit.»
Welche Bedeutung Eishockey in Gävle hat, zeigt auch, dass es der Clubpräsident war, der ihn zu überzeugen versuchte. Kein Normalo: Hakan Svedman war zuvor CEO von Ikea und wechselte die Branche, weil ihn die Misere seines Herzensclubs schmerzte und er helfen wollte. Dieses Gespräch, in dem Svedman kaum über Eishockey gesprochen habe, überzeugte Gällstedt. Nach weiteren Diskussionen mit seiner Familie entschieden sie sich doch: Niklas Gällstedt wird neuer Trainer von Brynäs.

Und was danach geschah, ist einmalig. Er, der zuvor nur auf Juniorenstufe Cheftrainer war, erlebt bei den Profis einen Einstand wie in einem kitschigen Hollywood-Film. Brynäs gelang der sofortige Wiederaufstieg. Und nach 43 von 52 Spielen in der Qualifikation, ist das Team souveräner Leader der SHL, der höchsten Liga. Die Mannschaft hat erst zweimal zwei Spiele hintereinander verloren. Brynäs habe jetzt schon mehr Punkte, als je ein Aufsteiger geholt habe, erzählt Gällstedt. «Es wäre eine Riesensache, wenn wir bis am Ende zuoberst blieben.»
Die Erinnerungen an die Schweiz und ihre Trainer
Er hat seine Cheftrainer nicht vergessen, unter denen er seit 2015 gearbeitet hat. Dan Tangnes in Zug, dessen Trainings und analytische Fähigkeiten ihn beeindruckt haben. Jeff Tomlinson, der in Rapperswil zu seinem guten Freund wurde, weil er mit seiner menschlichen Art dafür gesorgt habe, dass die ganze Trainercrew das Maximum aus ihren Fähigkeiten holte.
Und bei einem einjährigen Abstecher nach Wolfsburg traf er auf den früheren ZSC-Meistercoach Hans Kossmann. Dessen offene Art imponierte ihm, er lernte aber auch die kanadische Schule kennen. «In Kloten galt dasselbe für Pekka Tirkkonen und den finnischen Stil», sagt Gällstedt. «Ich konnte von allen etwas mitnehmen, was sehr wichtig war für mich.»

Brynäs schreibt nicht nur dank Gällstedt schöne Geschichten, für andere sorgen seit dieser Saison drei weitere Rückkehrer: Jakob Silfverberg, der die NHL nach knapp 900 Partien hinter sich liess, um für Brynäs spielen zu können. Oskar Lindblom, der in Philadelphia mit 23 eine seltene Art von Knochenkrebs besiegte, die NHL-Karriere danach aber nie mehr richtig in Schwung bringen konnte und nun ebenfalls zurückgekehrt ist. Oder Christian Djoos, der geniale Offensivverteidiger, der 2022 mit Gällstedt in Zug Meister wurde und im Final gegen den ZSC brillierte. Sie alle sind ehemalige Brynäs-Junioren oder sogar Kinder von Gävle.
«Wir haben eine gute Mannschaft, und alle haben Spass», sagt Gällstedt. Er findet zwar, dass der Abstieg dem Club gutgetan habe, weil nur so ein nötiger Neustart möglich gewesen sei. Er weiss aber auch: «Ich erlebe etwas Besonderes, das sehr schnell wieder vorbei sein kann.» Entsprechend geniesst Gällstedt die Zeit. Die Stimmung in der Stadt sei unglaublich: «Alle reden positiv über uns. Unsere Halle war zuletzt immer voll.» Auch wichtig: Er kann problemlos durch die Stadt gehen. Es kommen keine Tomaten geflogen.
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