Proteste in MinskNach Intervention von Cassis: Schweizer in Weissrussland wieder frei
Tausende Festgenommene wurden bereits freigelassen, sie berichten von Misshandlungen im Gefängnis. Staatschef Lukaschenko ist «noch am Leben und nicht im Ausland», wie er am Freitag sagte.
Der im Umfeld der Proteste in der weissrussischen Hauptstadt Minsk verhaftete Schweizer ist wieder auf freiem Fuss. Wie Aussenminister Ignazio Cassis am Freitag auf Twitter mitteilte, erfolgte die Freilassung nach einem Gespräch mit dem weissrussischen Amtskollegen.
«Erfreuliche Nachricht aus Belarus», schrieb Cassis im Tweet. Der inhaftierte Schweizer sei frei. «Ich bin erleichtert.» Die Freilassung sei nach seinem Telefongespräch mit Uladzimir Makej, dem Aussenminister Weissrusslands erfolgt. Der Mann sei wohlauf und stehe im Kontakt mit dem Botschafter der Schweiz in Minsk, teilte das Aussendepartement EDA am Freitag mit.
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Das EDA hatte sich seit Tagen um die Freilassung des 21-jährigen Wallisers Tanguy Darbellay bemüht. Der junge Ringer war am Montag in Minsk im Rahmen der Proteste gegen Wahlfälschung bei der Präsidentschaftswahlen vom Sonntag verhaftet worden.
Tanguy war laut Angaben seines Vaters gegenüber der Walliser Zeitung «Le Nouvelliste» von einem ersten Polizisten überprüft worden, der ihn gehen liess. Ein weiterer habe ihn durchsucht und ein dritter habe ihn festgenommen, als er auf dem Heimweg war, wurde der Vater von der Zeitung zitiert.
Das Aussenministerium von Belarus erwähnte das Telefongespräch in einer Medienmitteilung ebenfalls, ohne jedoch den verhafteten Schweizer zu erwähnen. Im Zentrum des Gesprächs mit Cassis seien die Präsidentschaftswahlen und die aktuelle Lage im Land gestanden, hiess es.
Menschenketten in Minsk
In Belarus wurden am Freitag auch viele andere Gefangene freigelassen, gleichzeitig haben im Land neue Proteste gegen Gewalt und Willkür unter Präsident Alexander Lukaschenko begonnen.
Hunderte Ärzte und Frauen bildeten am Freitagmorgen in der Hauptstadt Minsk Menschenketten, um gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen friedliche Kundgebungen zu demonstrieren. Die Proteste richten sich gegen den 65-jährigen Lukaschenko.
«Sie haben mit schrecklicher Brutalität zugeschlagen»
Vor dem Gefängnis Okrestina in der Hauptstadt Minsk nahmen Familien und Freunde zutiefst erleichtert ihre Angehörigen in Empfang, es gab grosse Freude und Tränen, wie in oppositionsnahen Kanälen des Nachrichtendienstes Telegram in der Nacht zum Freitag zu sehen war.
Viele berichteten von schweren Misshandlungen im Gefängnis. In Videos schilderten Frauen und Männer, dass sie kaum ernährt und in engsten Zellen stehend zusammengepfercht worden seien. In Zellen mit vier Betten seien 35 Frauen gewesen, sagte eine Freigelassene dem Portal tut.by. «Sie haben mit schrecklicher Brutalität zugeschlagen», sagte sie. «Überall war viel Blut.» Viele Bürger zeigten – nur in Unterwäsche bekleidet – ihre mit Platzwunden und grossen blauen Flecken von Schlägen übersäten Körper. Mehrere Entlassene mussten sofort ins Krankenhaus gebracht werden, wie Medien in der belarussischen Hauptstadt Minsk berichteten.
Bis zum Morgen, 6 Uhr (5 Uhr MESZ), solle ein Grossteil der bei Protesten in den vergangenen Tagen Festgenommenen wieder in Freiheit kommen, teilten die Behörden mit.
Innenminister übernimmt Verantwortung
Die Rede war von mehr als 1000 Gefangenen. Es handele sich um Menschen, die am Rande nicht genehmigter Proteste ohne Grund festgenommen worden seien, hiess es. Die Gesamtzahl hatte bei rund 7000 gelegen. Es war das erste Mal seit Tagen, dass der Machtapparat unter Lukaschenko, der als letzter «Diktator Europas» gilt, einlenkte. Tausende hatten auch am Donnerstag seinen Rücktritt gefordert.
Staatsmedien berichteten, dass Lukaschenko am Donnerstagabend selbst angewiesen habe, sich um die Lage der Gefangenen zu kümmern. Er reagiere damit auf die Proteste von Arbeitskollektiven in den Staatsbetrieben der Ex-Sowjetrepublik. Innenminister Juri Karajew entschuldigte sich im Staatsfernsehen bei den Bürgern für die Festnahme vieler Unschuldiger. Bei Polizeieinsätzen gegen Massenproteste komme es auch zu versehentlichen Festnahmen, sagte er. «Als Kommandierender möchte ich die Verantwortung übernehmen und mich ehrlich auf menschliche Weise entschuldigen bei diesen Menschen», sagte er.
Unterdessen beraten die Aussenminister der EU-Staaten erstmals in grosser Runde über mögliche Reaktionen gegen Belarus. Wenn es den erforderlichen Konsens gibt, ist denkbar, dass die Wiedereinführung von 2016 aufgehobenen Sanktionen auf den Weg gebracht wird. So könnten etwa EU-Einreiseverbote und Vermögenssperren gegen die belarussische Führung erlassen und Finanzhilfen im Rahmen der Nachbarschaftspolitik gekürzt werden.
Lukaschenko: «Bin noch am Leben»
Der Staatschef hatte sich nach 26 Jahren an der Macht nach der Wahl am Sonntag mit rund 80 Prozent der Stimmen zum sechsten Mal in Folge zum Sieger ausrufen lassen.
Ein grosser Teil der Bevölkerung hält dagegen die 37 Jahre alte Lukaschenko-Gegnerin Swetlana Tichanowskaja für die eigentliche Gewinnerin der Abstimmung. Sie ist aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder in das benachbarte EU-Land Litauen geflüchtet.
Auch Arbeiter in Staatsbetrieben traten am Morgen erneut in den Streik gegen den Machtapparat. Der Druck auf Lukaschenko ist damit nach Meinung von Beobachtern erneut gewachsen. Der Staatschef wollte sich noch am Freitag in einer Rede an die Nation zur Lage äussern, wie eine Sprecherin der Präsidialverwaltung sagte.
Auf einer Regierungssitzung in Minsk äusserte er sich bereits ein erstes Mal zur Situation. «Fürs Erste, ich bin noch am Leben und nicht im Ausland», sagte Lukaschenko zu Spekulationen in einigen belarussischen Medien, er habe das Land bereits verlassen. Dabei warnte er vor den Folgen von Streiks in den Staatsbetrieben.
Im Zuge der Corona-Pandemie beginne die Weltwirtschaft, sich wieder zu erholen, sagte Lukaschenko. «Alle kämpfen auf diesen Märkten. Wenn wir aufhören zu arbeiten, werden wir die Produktion nie wiederherstellen können. Niemals», meinte er. «Den Menschen muss gesagt werden, dass dies die einzige Chance ist, ein Unternehmen zu retten.» Dann könnten auch die Familien ernährt werden.
Nach Einschätzung von Beobachtern könnte ein flächendeckender Streik in den Betrieben Lukaschenko zu Fall bringen.
SDA
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