Analyse zum Wechsel Was den Job des neuen Nestlé-Chefs so anspruchsvoll macht
Mit Laurent Freixe wird ein Konzernkenner CEO. Sein Auftrag: die Marktführerschaft zurückholen und das Kerngeschäft des grössten Lebensmittelherstellers der Welt stärken.
Nach acht Jahren muss Mark Schneider den Posten als Chef von Nestlé räumen. Er wird das Unternehmen verlassen. Sein Nachfolger Laurent Freixe übernimmt offiziell am 1. September, nimmt aber bereits ab heute Freitag Platz im Chefsessel, schreibt das Unternehmen am Donnerstagabend nach Börsenschluss in einer Mitteilung.
Der Wechsel überrascht. Ein Grund könnte der seit gut zwei Jahren schwächelnde Börsenkurs von Nestlé gewesen sein. Seit 2022 gerät dieser immer stärker unter Druck. Wenig Begeisterung riefen zuletzt die Halbjahreszahlen hervor, bei denen das Wachstum unter den Erwartungen der Anlegerinnen und Anleger lag. Seit Anfang 2022 fiel der Aktienkurs um mehr als 30 Prozent: Wurde die Nestlé-Aktie Ende 2021 noch für über 127 Franken gehandelt, sind es jetzt nur noch knapp 90 Franken.
Ein Wechsel an der Spitze von Nestlé sei nach einem zunehmend schwierigen Jahr keine völlige Überraschung, wird David Hayes, Analyst bei der US-Investmentbank Jefferies, in der «Financial Times» zitiert. Bei der Ernennung Schneiders vor acht Jahren sei auch Freixe bereits Anwärter auf den Chefposten gewesen. «Damals wurde mit Schneider ein Aussenseiter bevorzugt, um die Dinge aufzurütteln», sagt Hayes. Die Ernennung von Freixe scheine ein Zeichen dafür zu sein, dass der Vorstand die Nestlé-Kultur umgestalten wolle.
Anders als bei Mark Schneider, der vom deutschen Gesundheitskonzern Fresenius geholt wurde, setzt Nestlé nun wieder voll auf eine interne Lösung. Mit 38 Jahren im Unternehmen, 16 davon als Mitglied der Geschäftsleitung, bringt der 62-jährige Laurent Freixe viel Erfahrung mit. Über die Jahre arbeitete er sich immer weiter die Karriereleiter hinauf, war unter anderem Europa- und Amerikachef und leitete zuletzt das für Nestlé sehr wichtige Lateinamerika-Geschäft.
Er bringt das Wissen und Verständnis über die vielen Einzelmärkte Nestlés mit, kennt aber auch die Komplexität des Konzerns und die wichtigsten Produkte. «Ich kenne Laurent seit vielen Jahren und schätze ihn sehr als eine begabte Führungspersönlichkeit mit strategischem Scharfsinn, weitreichender Erfahrung und Expertise in unseren Märkten sowie einem tiefgehenden Verständnis für Märkte und Konsumenten. Er hat bewiesen, dass er in der Lage ist, unter schwierigen Marktbedingungen Ergebnisse zu liefern», wird Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke in der Mitteilung zitiert.
Freixe kenne Nestlé wie seine Westentasche, kenne die Kultur des Konzerns und dessen Werte, betonte Bulcke an einem Analystencall am Freitag. Nach einigen Fehltritten soll der Konzern nun zurück zum Kerngeschäft und zu alter Stärke geführt werden.
Mark Schneider unterliefen Fehler mit der IT
Ein Fehler, der unter Schneiders Führung passierte, war die missglückte Integration eines IT-Systems. Ende letzten Jahres warnte das Unternehmen deswegen vor Umsatzeinbussen. Denn die verpfuschte Integration führte zu Verzögerungen in den Lieferketten für Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel.
In diesem Jahr wurde Nestlé dann von französischen Aufsichtsbehörden untersucht, weil illegale Reinigungstechniken für abgefülltes Mineralwasser verwendet wurden.
Den Franzosen Freixe erwarten Herausforderungen, die nicht nur hausgemacht sind: Nestlé ächzt unter der Inflation, die der Konzern an Konsumentinnen und Konsumenten durch Preiserhöhungen weitergibt. In der Folge davon muss Nestlé Umsatzeinbussen hinnehmen.
Aufgrund der hohen Preise kauft die Kundschaft weniger und verschmäht vermehrt die teuren Markenprodukte, um den Geldbeutel zu schonen. Eigenmarken, wie in der Schweiz etwa jene der Migros, legen zu. Es liegt nun an Freixe, die Käuferschaft nach einer Zeit hoher Inflation und knapper Kassen wieder zu den Premiummarken zu locken.
Das Motto, unter dem der Chefwechsel steht, ist «forward to basics», was übersetzt so viel heisst wie «vorwärts zurück zum Kerngeschäft». Erfolg sei nur durch das Verständnis der Marken und der Bedürfnisse der Konsumenten zu erlangen. Neu-CEO Freixe muss sich also zukünftig mehr auf das Kerngeschäft, die grossen Nestlé-Marken wie Nescafé konzentrieren.
Wechsel löst Minus im Aktienkurs aus
Wie Freixe das erreichen will, wird sich weisen. Im Analystencall sprach er von mehr Produktivität und Kosteneffizienz. Nestlé müsse wieder näher an die Konsumentinnen und Konsumenten und sie davon überzeugen, seine Produkte zu kaufen.
«Laurent ist genau die Führungskraft, die Nestlé jetzt braucht», wird Paul Bulcke in der Nestlé-Mitteilung zitiert. Im Umkehrschluss heisst das: Mark Schneider war es nicht.
An der Börse eröffnete Nestlé am Freitag mit 3,98 Prozent im Minus. Der überraschende Chefwechsel wurde nicht so gut angenommen, wie es sich der Verwaltungsrat des Konzerns erhoffte.
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