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Julia Nawalnaja
«Ich habe keine Angst» – Nawalnys Witwe sagt Putin in emotionalem Video den Kampf an

Screenshot aus der Videobotschaft von Julia Nawalnaja / Yulia  Navalnaya
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Von dem Tod ihres Mannes erfuhr Julia Nawalnaja auf der Sicherheitskonferenz in München. Sie hatte die Wahl: Noch am Freitag nach Hause fliegen zu ihren Kindern. Oder den Moment nutzen, in dem ihr die Weltöffentlichkeit zuhört. Sie entschied sich für Letzteres. «Mein Mann hätte dasselbe getan», sagte sie dann im Saal vor einem ergriffenen Publikum. Die Nachricht über den Tod von Alexei Nawalny, dem bekanntesten Putin-Gegner, war da gerade ein paar Stunden alt.

Am Montag darauf wird Julia Nawalnaja konkreter. «Ich werde Alexei Nawalnys Arbeit fortsetzen. Ich werde für unser Land weiterkämpfen. Und ich rufe euch alle auf, mir beizustehen.» Sie wünsche sich ein freies Russland, ein Land, wie es sich Alexei Nawalny vorgestellt habe. Damit das unvorstellbare Opfer ihres Mannes nicht umsonst gewesen sei, fordere sie alle auf, «keine Angst zu haben». So, wie es ihr Mann immer getan hatte. Ihre Botschaft ist klar: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Nawalnaja hat sich dazu entschieden, das Erbe ihres Mannes anzutreten. Schon am Montag ist sie im EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten erschienen, um den russischen Freiheitskämpfern eine starke Botschaft der Unterstützung zu senden. Das deutete darauf hin, dass sie von nun an die in Russland zerschlagene und ins Exil getriebene Opposition anführen will. Die 47-Jährige wird seit Jahren als mögliche politische Figur gehandelt. Bis zum Tod Nawalnys wies sie diese Spekulationen stets zurück, mit dem Argument, sie sei vor allem Mutter und Ehefrau.

Hausfrau und politische Beraterin

Die gebürtige Moskauerin und studierte Ökonomin lernte Nawalny 1998 kennen, bei einem Urlaub in der Türkei. Damals war Nawalny der breiten russischen Bevölkerung noch nicht gut bekannt. Und Wladimir Putin noch nicht an der Macht. Im Westen herrschte der Glaube vor, Russland verwandle sich in eine lupenreine Demokratie, als die beiden im Jahr 2000 heirateten und kurz darauf ihre Tochter Darja zur Welt kam. 2008 folgte der Sohn Sachar.

In diesen Jahren begann sich Nawalny verstärkt der Politik zuzuwenden, während Putin allmählich rechtsstaatliche Prinzipien abbaute. Nawalnaja steckte ihre Karrierepläne zurück und blieb in ihrer Rolle als Hausfrau, aber wie Nawalny trat auch sie in die liberale «Jabloko»-Partei ein und unterstützte die politische Arbeit ihres Mannes – nur eben mehr im Hintergrund.

Mit zunehmender Popularität des Kremlkritikers wurde auch seine Familie bekannter. Nawalnaja und ihre Kinder nutzten die sozialen Medien, um ihren Alltag in Szene zu setzen. Sie porträtierten sich als eine friedliche und glückliche Familie, im Gegensatz zu Putin, dessen Privatleben in Russland einem Staatsgeheimnis gleichkommt. So wurde Nawalnaja zu einer Person des öffentlichen Lebens. Zu einer Frau, die mit ihrem Mann Demonstrationen anführte, ohne ihm dabei Konkurrenz zu machen.

Ein Brief für Putin

In dieser Rolle blieb sie, bis Putin im Sommer 2020 ihren Geliebten vergiften wollte. Während Nawalny im Koma lag, in einer Klinik im sibirischen Omsk, kämpfte seine Frau unermüdlich um sein Leben. Sie trat vor die Medien und schrieb einen offenen Brief an Putin (ohne höfliche Anrede). Darin forderte sie ihn auf, Nawalny nach Deutschland ausfliegen zu lassen. Später behauptete Putin, er habe nach diesem Brief eine Überweisung angeordnet.

In Berlin kümmerten sich die Ärzte um den vergifteten Oppositionellen. Seine Frau blieb am Krankenbett, bis er wieder zu sich kam. «Du hast mich gerettet», wird Nawalny später in einem öffentlichen Liebesbrief schreiben. Die Mediziner verhalfen ihm zu einem zweiten Leben, und Nawalny wollte es nutzen, um nach Russland zurückzukehren und seinen Kampf fortzuführen. Nawalnaja folgte ihm.

epa08943749 A frame grab of Alexei and Yulia Navalnaya taken from a video posted on the Instagram account @navalny shows Russian opposition Leader Alexei Navalny before his flight at the Berlin Brandenburg International Airport BER in Schoenefeld, Germany, 17 January 2021 Russian opposition leader Alexei Navalny plans to return to Russia on a scheduled flight to Moscow later in the afternoon on 17 January. He was treated at the Charite hospital in Berlin since 22 August 2020 for being poisoned with a nerve agent from the Novichok group and was discharged from acute inpatient care on 22 September 2020.  EPA/ALEXEI NAVALNY INSTAGRAM

Der letzte Kuss und Nawalnys Wunsch

Die beiden mussten wissen, was sie in Moskau erwartet. Noch im Flugzeug soll Nawalnaja zu ihrem Mann gesagt haben: «Bring uns Wodka, wir fliegen nach Hause.» Die berühmte Zeile stammt aus dem russischen Kultfilm «Brat 2» und symbolisiert für Russen das Ende eines Prozesses, egal wie dieser herauskommt.

Nach der Landung hielten zahlreiche Kameras fest, wie Nawalnaja ihren Mann auf die Wange küsst und dann «Tschüss» sagt. Das war der Abschiedskuss. Danach hat sie ihren Ehemann nie wieder in Freiheit gesehen, jetzt ist er tot.

Nawalnaja weiss, was sie tut, wenn sie nun an die Öffentlichkeit drängt. «Ich habe keine Angst», sagt sie mit Blick auch auf eine Aussage ihres Mannes, der die Menschen in Russland immer wieder zum Widerstand aufgerufen hatte. Noch ist offen, wie sie die Opposition anführen soll. Bleibt sie im Westen? Oder wagt sie die Reise in Putins Reich?

Nawalny galt als charismatisch, humorvoll in seiner politischen Arbeit, Nawalnaja wird ihren eigenen Weg suchen. Doch es könnte ihr schwerfallen, nicht nur als Witwe eines herausragenden Politikers wahrgenommen zu werden, sondern als unabhängige Persönlichkeit. «Kann sie aus dem Schatten Nawalnys treten?», schreibt die russische Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja auf Telegram.

Es bestehe das Risiko, dass Nawalnaja im Exil keine bedeutende Oppositionsfigur werde, so wie im Fall der weissrussischen Swetlana Tichanowskaja. Bei den Präsidentschaftswahlen in Belarus 2020 konnte sie gegen den amtierenden Staatschef Alexander Lukaschenko Erfolge erzielen, «allerdings erhielt sie im Land keine ernsthafte Unterstützung».

Auch verbreite der Kreml bereits gezielt das Narrativ, Nawalnaja sei prowestlich, eine Verräterin, die für den Feind arbeite. Das sei Gift für ihre politischen Ambitionen. Denn: «Viele Russen beschuldigen den Westen, Putin zum Krieg gezwungen zu haben.» 

Das muss jedoch nicht zwingend heissen, dass Nawalnaja in der Bedeutungslosigkeit untergeht. Vieles hängt davon ab, wie sie sich nun inszeniert. Sie will die Hoffnung verkörpern, das machte sie am Montag klar – und sie wird den Kampf fortführen. So wie es sich Nawalny wohl gewünscht hätte.