Eklat im TurnverbandNationaltrainer schimpft – und der Verband weiss von nichts
Der Nationaltrainer der Kunstturner muss Ende Jahr gehen. Er geht in die Offensive und greift seine Vorgesetzten an. Selbst die fristlose Kündigung wäre ihm egal.
Dass ein Nationaltrainer von sich aus die Presse zusammentrommelt, ist ungewöhnlich. Aber Bernhard Fluck hat auch Ungewöhnliches zu sagen. Deshalb achtete der Chef der Schweizer Kunstturner ganz genau, dass er alle wichtigen Medien eingeladen und niemanden vergessen hat für diesen Nachmittag im Zürcher Hauptbahnhof. Und auch: dass beim Schweizerischen Turnverband keiner Bescheid weiss.
Die Kernbotschaft ist schnell erzählt: Fluck wird den STV Ende Jahr verlassen und seine erfolgreiche Mannschaft weder an der Heim-EM im kommenden Frühling in Basel noch an den Olympischen Spielen im August 2021 betreuen. Doch er tut dies nicht freiwillig: Der Verband verzichtet darauf, den bis Ende 2020 laufenden Vertrag zu verlängern. Obschon es einst anders besprochen gewesen sei und Fluck Ende Mai das Pensionsalter erreicht. Und: Obschon er nach der Verschiebung der Sommerspiele angeboten hatte, die Mannschaft bis nach Tokio zu betreuen. Stattdessen soll im Januar ein neues Trainerteam beginnen.
«Mich plagen schaflose Nächte»
Seit dem 19. Juni weiss Fluck, dass der STV nicht länger mit ihm plant, doch bisher wurde der Entscheid nicht kommuniziert – weder intern, noch gegen aussen. Der Verband erklärt dies damit, dass der Vertrag mit dem neuen Cheftrainer noch nicht unterschrieben ist.
Für Fluck dagegen war die Situation unangenehm: «Mich plagen seither schlaflose Nächte, ich habe Kopfschmerzen, und ich frage mich in der Trainingshalle die ganze Zeit: ‹Was mache ich eigentlich noch hier?›»
Dass sein Vorpreschen nun in eine fristlose Kündigung münden könnte, ist Fluck bewusst. «Aber ich habe ja nichts mehr zu verlieren», sagt er. Am vergangenen Freitag informierte er seine Trainerkollegen, am Montag die versammelte Riege und am Dienstag über Whatsapp seine zwei besten Turner, Pablo Brägger und Oliver Hegi. Seit ein paar Wochen trainieren die beiden aus beruflichen Gründen nicht mehr in Magglingen.
Fluck ist seit elfeinhalb Jahren Nationaltrainer, davor hatte er acht Jahre als Nachwuchschef für den STV gearbeitet. Er kennt die meisten Turner des Nationalkaders von klein auf und sagt: «Ich sehe sie täglich und erkenne sie am Deo. Ich weiss, was gut für jeden Einzelnen ist.» Nun aber hätten Vorgesetzte über seine Absetzung entschieden, die «100 Kilometer entfernt sind». Explizit meint er damit STV-Geschäftsführer Ruedi Hediger und Felix Stingelin, den Chef Leistungssport. Fluck sagt: «Ich finde ihr Vorgehen respektlos und fühle mich von ihnen ausgenutzt.»
Vor allem jedoch mache er sich Sorgen um seine Turner. «Dass man acht Monate vor einem Höhepunkt wie Olympischen Spielen die Trainer auswechselt, ist für mich schwierig zu verstehen», sagt Fluck. Neben ihm verlässt auch sein Assistent Laurent Tricoire den STV, er wechselt nach Belgien. So bleibt vom langjährigen Trainertrio nur Laurent Guelzec übrig. Der Franzose soll ein Favorit auf Flucks Nachfolge sein.
Acht EM-Medaillen gewonnen
Unter der Leitung des 64-jährigen Zürchers und seiner Assistenten ist das Schweizer Nationalkader zur Erfolgsgeschichte geworden. Nach Rio 2016 qualifizierte es sich auch für Tokio mit der gesamten Mannschaft, viermal in Serie hat es zudem an den Weltmeisterschaften den Teamfinal erreicht. Brägger (2017) und Hegi (2018) wurden Europameister am Reck. Insgesamt gewannen die Schweizer Männer seit 2013 acht EM-Medaillen.
Eine gewaltige Delle erlitt die Beziehung zwischen Fluck und seinen Vorgesetzten schon vor vier Jahren. Für die Olympischen Spiele in Rio verfügte der STV, dass die Equipe der Männer nur zwei Betreuer-Akkreditierungen erhält und überliess Fluck die Entscheidung, welchen seiner zwei Assistenten er zu Hause lässt. Es war dann Fluck selbst, der verzichtete – während der Leistungssportchef akkreditiert nach Brasilien flog. «Er sagte einmal, man müsse die persönlichen Interessen hinten anstellen», sagt Fluck. «Für ihn selbst galt das aber nicht.» Stingelin war bis Dienstagabend nicht zu erreichen.
Die Irritationen wegen Rio waren so gross, dass der STV einige Wochen nach den Spielen eine Mediation ansetzte, geleitet von einem externen Berater. Allzu viel brachte es nicht. Wie Fluck sagt, sei auch für Tokio 2020 geplant gewesen, dem dreiköpfigen Team nur zwei Akkreditierungen zu geben.
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