Unheilige AllianzSVP und Linke verbünden sich – gegen Amherd und die Nato
Ein Armeeabschaffer und ein Waffenlobbyist überzeugen den Nationalrat, die militärische Kooperation mit der Nato stark einzuschränken. Die Folgen für die Armee seien gravierend, sagt die Verteidigungsministerin.
Es gibt nicht viele Themen, bei denen Fabian Molina und Jean-Luc Addor gleicher Meinung sind: hier der 33-jährige SP-Nationalrat aus Zürich, Mitglied der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA); dort der 60-jährige SVP-Nationalrat aus dem Walliser Weindorf Savièse, Präsident der Waffenlobby Pro Tell.
Doch an diesem Donnerstagabend kämpfen Molina und Addor im Nationalrat Seite an Seite. Gemeinsam überzeugen sie den Rat von einem Vorstoss, den Molina verfasst hat und den Addor und seine SVP geschlossen unterstützen. Das Duo Addor/Molina gewinnt haushoch mit 118 gegen 69 Stimmen: SVP, Grüne und das Gros der SP stimmen ihrem Vorstoss zu; FDP, Mitte, GLP und eine SP-Minderheit stimmen Nein, haben aber keine Chance.
Die Allianz der linken und rechten Polparteien will die Möglichkeiten der Kooperation mit der Nato stark einschränken. Ihr Vorstoss will es der Schweizer Armee per Bundesgesetz verbieten, an Nato-Übungen gemäss dem Artikel 5 des Nordatlantikvertrags teilzunehmen. Das sind Übungen, in denen die Nato den Bündnisfall bei einem externen Angriff trainiert.
Seit 1996 kooperiert die Schweiz mit der Nato
Die Schweizer Armee macht seit 1996 im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden punktuell bei Nato-Übungen mit, sie entsendet Offiziere an Nato-Institutionen oder beteiligt sich in Kosovo an der Nato-Friedensmission KFOR.
Nun, angesichts der massiv verschlechterten Sicherheitslage, möchte Verteidigungsministerin Viola Amherd (Mitte) die Kooperation ausweiten. Im Januar schrieben sie und der Gesamtbundesrat in einem Bericht ans Parlament: «Die Teilnahme an Übungen soll weiter ausgebaut werden», und zwar «über die gesamte Bandbreite der Fähigkeiten», zunächst mit Berufsformationen, «langfristig aber auch mit Milizformationen». Nur wenn sie dies trainiere, könne die Schweizer Armee im Ernstfall militärisch mit der Nato kooperieren, argumentiert Amherd.
Die zwei Worte «gesamte Bandbreite» haben die Koalition um Molina und Addor getriggert. Zwar hält der Bundesrat explizit fest, eine Teilnahme an Bündnisfall-Übungen sei derzeit «nicht vorgesehen». Doch das überzeugt Molina und Addor nicht.
Der Bundesrat fahre generell «einen Annäherungskurs zur Nato», sagt Molina. Das führe zu aussenpolitischen Problemen. Dank ihrer Neutralität und Bündnisfreiheit könne die Schweiz eine «Friedensmacht» sein und international vermitteln. Es mache keinen Sinn, den «militärischen Verteidigungsfall an der Ostgrenze zu simulieren», denn an einem solchen Einsatz würde sich die Schweiz wegen der Neutralität ohnehin nie beteiligen.
Auch Addor sagt, Amherd und der Bundesrat interpretierten «die Neutralität immer flexibler» und sie würden die Schweiz «immer näher an die Nato heranführen». Nun müsse man «eine rote Linie ziehen», um nicht eines Tages Schweizer Soldaten «zum Sterben nach Polen entsenden zu müssen».
SVP-Mann lobt Grüne
Dass er sich damit mit der Linken alliiert, stört Addor nicht. Vor allem bei den Grünen, stellt der SVP-Mann schon fast anerkennend fest, sehe er seit einiger Zeit «eine klassische Neutralitätskonzeption fast wie bei der SVP.» Molina wiederum betont, dass er zwar bei dieser Motion mit der SVP einig sei, sonst aber eine ganz andere Neutralitätskonzeption habe. Die SP sei für Multilateralismus und kollektive Sicherheit im Rahmen der UNO.
Molina und Addor argumentieren, dass die Armee die bisherige Kooperation mit der Nato weiterführen könne. Doch Amherd widerspricht deutlich. Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs enthielten fast alle Übungen der Nato «auch Bestandteile des Bündnisfalls». Selbst wenn die Schweiz an diesen Teilen der Nato-Übungen kein Interesse habe, dürfe sie künftig auch an den unproblematischen Übungsteilen nicht mehr teilnehmen – denn die Motion sei in diesem Punkt «sehr rigide formuliert», so Amherd.
Zentrumsparteien chancenlos
FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro stellt sich an Amherds Seite. Ob die Schweiz es wolle oder nicht: Sie stehe mitten in einem sich verschärfenden internationalen Konflikt. Es sei «unverantwortlich, sich nicht auf das Schlimmste vorzubereiten». Dazu gehörten auch Übungen mit der Nato. Eine Annahme der Motion, so de Quattro, wäre «ein ganz schlechtes Signal an den wichtigsten militärischen Partner».
Doch all das nützt im Nationalrat nichts. Nun muss Amherd auf den Ständerat hoffen. Anders als in der grossen Kammer haben SVP und Rot-Grün dort keine automatische Mehrheit.
Doch unabhängig davon, wie der Ständerat entscheiden wird: Die Koalition der SVP und der Linken gegen die Nato wird auch in anderen Dossiers zunehmend spürbar. So plädiert die SVP neuerdings wie die Linke dafür, dass die Schweiz den Kernwaffenverbotsvertrag TPNW ratifiziert – auch hier aus der Motivation heraus, maximale Distanz zur nuklear bewaffneten Nato zu halten.
Auch gegen den von Amherd angestrebten Beitritt zur sogenannten European Sky Shield Initiative, einem europäischen Programm zur Beschaffung von Luftabwehrsystemen, gab es in der Sicherheitspolitischen Kommission jüngst eine unübliche Koalition von SVP und Grünen – für eine Mehrheit in der Kommission fehlten nur zwei Stimmen.
Nach dem Sieg des Duos Addor/Molina im Nationalrat vom Donnerstagabend ist nun definitiv klar: Während sich die Sicherheitslage in Europa rapide verschlechtert, scheint im eidgenössischen Parlament der Widerstand gegen militärische Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn zu wachsen.
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