Hassan Nasrallah spricht zum NahostkonfliktHizbollah-Führer hält sich zurück – auf Weisung Teherans
Nach dem barbarischen Terror gegen Israel hat Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah einen Monat lang geschwiegen. Bis zu diesem Freitag. In seiner Rede in Beirut droht er viel – befiehlt aber keinen Angriff.
Schon am Donnerstag haben sie im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut die Plastikstühle aufgestellt, braune Reihen, ganz vorn ein grosser Monitor, am Hochhaus dahinter weht eine palästinensische Flagge. Hassan Nasrallah hat in seinem Leben Hunderte Reden gehalten, der Führer der Hizbollah-Terrormiliz äussert sich zu allem Möglichen, zur Zerstörung Israels, zu Erdgasvorkommen oder Ehen zwischen Minderjährigen. Nasrallah ist Theologe, Politiker und Terroristenführer, er hat ein breites Spektrum.
Die Rede am Freitag war die wohl wichtigste seines Lebens. Seit den Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober hatte er geschwiegen. Er liess seine Anhänger und Feinde rätseln, ob die Hizbollah eine zweite Front gegen Israel eröffnen wird und ihr Arsenal von bis zu 150’000 Raketen auch gegen den jüdischen Staat richtet – und damit die ganze Region in den Abgrund reisst. Was Nasrallah zu sagen hatte, wurde mit so viel Spannung und Angst erwartet wie weltweit wohl nur wenige Reden der jüngeren Vergangenheit.
Raketen als Vorprogramm für die Rede
In Tel Aviv sagte der Armee-Stabschef Herzi Halewi, man sei auf alles vorbereitet. «Wir sind bereit, auch in anderen Bereichen anzugreifen.» Und in Washington sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Nasrallah könne erzählen, was er wolle, solange er keinen neuen Krieg anfange. Dann verwies der Sprecher noch auf den Flugzeugträger, den die USA gerade ins Mittelmeer entsandt hatten. Am Donnerstag schickte die Hizbollah eine ganze Reihe Drohnen und Raketen über die Grenze nach Israel, wie als Vorprogramm für Nasrallahs Rede.
Der gab am Freitag erst einmal einen Überblick des Konfliktes, sprach von Konzentrationslagern in Gaza und vom Westen, der das Leid der Palästinenser schweigend hinnehme. Frauen und Kinder würden umgebracht, Schulen zerstört. «Die ganze Welt schaut weg.»
Kein Öl und Gas für Israel fordert Nasrallah
Der Widerstand der Palästinenser sei jedoch heroisch, glorreich und aufopferungsvoll. Es sei die Pflicht «aller noblen Menschen», Gaza zu unterstützen, zu demonstrieren und zu spenden. Arabische Staaten müssten ihre Botschafter aus Israel zurückrufen und kein Öl oder Gas mehr exportieren an die Feinde. Zwei Ziele gelte es zu verfolgen: das Ende des Krieges, den Sieg der Hamas.
Die Vernichtung Israels, die die Hizbollah eigentlich immer im Programm hat, erwähnte Nasrallah nicht. Er war sich wohl bewusst, dass viele seiner fanatischen Anhänger etwas anderes von ihm erwartet hätten, einen Befehl zum Angriff auf den Nachbarn im Süden. «Manche sagen, dass wir in den Krieg eingreifen sollen; das tun wir schon seit dem 8. Oktober.» Bereits jetzt seien 54 Märtyrer der Hizbollah in Kämpfen mit Israel umgekommen. «Manche sagen, dass das, was an der Grenze passiert, minimal ist», sagte der Hizbollah-Führer – um gleich zu versichern: «Es ist eine echte Schlacht, die nur an der Front gespürt werden kann.» Gemessen an den Erwartungen war die Rede eher ereignisarm. Was eine sehr gute Nachricht ist für die Region.
Vorausgegangen war ein diplomatischer Grenzverkehr: Vertreter der Hamas und des iranischen Regimes reisten nach Beirut. Teheran ist einer der Hauptfinanciers der Hizbollah, hat sie im libanesischen Bürgerkrieg 1982 mitgegründet. In den Jahren danach folgten weitere Terrorgruppen wie die Hamas, die Huthis in Jemen und Gruppen in Syrien und im Irak, die alle auf die Ausweitung des iranischen Einflusses und die Zerstörung Israels abzielen. «Achse des Widerstands» nennen sich die Gruppen, die nach Ansicht von Analysten in den vergangenen Jahren immer enger kooperiert haben. Aus ihrer Sicht müsste der 7. Oktober eigentlich der grösste Tag in der Geschichte der Achse sein. Ganz so wirkt es aber nicht, es lassen sich Risse beobachten.
«Ich möchte noch einmal betonen, dass wir keine Ausbreitung verfolgen.»
Die Hamas beschwerte sich in den Tagen vor der Rede über die mangelnde Unterstützung der Hizbollah für ihren Kampf. Auch die eigenen Leute mögen sich gewundert haben, warum Nazrallah jahrelang von der Zerstörung Israels redete, dann aber in Schweigen verfiel, als die Gelegenheit aus ihrer Sicht günstig erschien. Vertreter des Regimes in Teheran hatten in den vergangenen Tagen aber deutlich gemacht, dass sie keine unkontrollierte Ausweitung des Konfliktes wünschen. «Ich möchte noch einmal betonen, dass wir keine Ausbreitung verfolgen», sagte der iranische Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian.
Die Menschen in Libanon wollen keinen Krieg
Nasrallah scheint die Weisung zu befolgen. Auch wenn er in seiner Rede sagte, jede Gruppe des Widerstands treffe ihre eigenen Entscheidungen. Nasrallah wird auch gespürt haben, dass die Menschen in Libanon keinen Krieg wollen. Das Land steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, die Währung verfällt, es gibt keine reguläre Regierung und keinen Präsidenten.
Nasrallah wird nun wohl versuchen, Härte und Aggression gegenüber Israel zu demonstrieren, ohne zu eskalieren. Am Freitag sprach er von den grossen Auswirkungen des Terroranschlags und lobte die Taten der Hamas mit einer Aneinanderreihung von Adjektiven: kreativ, heroisch, massiv, glorreich, seismisch. Damit schraubte er die barbarischen Attacken rhetorisch so hoch, als wolle er damit andeuten, dass es erst mal vielleicht nicht noch weitere grosse Aktionen brauche. Ein paar Raketen, ein paar Drohnen auf die Stellungen des Feindes. Vielleicht etwas mehr als in den vergangenen Jahren, aber nicht zu viel.
Die Frage ist, wie lange das so bleibt. Der Iran hat wohl verlauten lassen, dass seine rote Linie dann überschritten ist, wenn Israel die Hamas zerstört – was genau Israels Ziel in Gaza ist. Monate oder Jahre könne das dauern, hat die israelische Führung gesagt. Es könnte also bald wieder eine Rede von Nasrallah geben. «Alle Szenarien sind möglich», sagte er unter dem Jubel seiner Anhänger.
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