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Energie-Streit spitzt sich zu
Russland droht Europa mit weiteren Gas-Stopps


Hier wird russisches Gas zwischengespeichert: Gelände des Erdgasspeichers Rehden im deutschen Niedersachsen.
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Im Gasstreit zwischen Russland und dem Westen stellt der Staatskonzern Gazprom seine Lieferungen nach Polen und Bulgarien ein. «Der Hahn wurde zugedreht», sagte Polens Klimaministerin Anna Moskwa am Mittwoch im polnischen Radio. Durch die Jamal-Pipeline fliesse kein russisches Gas mehr. Gazprom bestätigte den Lieferstopp, weil die Unternehmen PGNiG und Bulgargaz nicht rechtzeitig in Rubel gezahlt hätten. Sofia und Warschau betonten dagegen, ihre Verpflichtungen erfüllt zu haben. Alle Zahlungen, die der Vertrag erforderlich mache, seien rechtzeitig getätigt worden, teilte die bulgarische Regierung mit.

Im Laufe des Mittwochs drohte Russland anderen Ländern mit ähnlichen Schritten, sollten die Zahlungen beim Staatskonzern Gazprom nicht in Rubel eingehen. Ein entsprechendes Dekret von Präsident Wladimir Putin werde umgesetzt, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Putin hatte im März angewiesen, dass «unfreundliche Staaten», darunter alle EU-Mitglieder, für russisches Gas nur noch in Rubel bezahlen. Zugleich wies Peskow Vorwürfe von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zurück, dass es sich dabei um ein «Erpressungsinstrument» handle. «Das ist keine Erpressung», sagte Peskow. Russland verlange lediglich, dass die Kunden Konten bei der Gazprombank eröffnen, um die Zahlungen abzuwickeln. Demnach können Kunden dort wie bisher weiter in Euro oder Dollar einzahlen, die Bank konvertiert den Betrag und überweist die Rubel an Gazprom. Es gebe keinerlei Mehrbelastungen, sagte Peskow, auch nicht durch Wechselkurse.

Zugleich machte der Vertraute Putins deutlich, dass Russland auf dem System bestehe und andernfalls die Lieferungen einstelle. Der Staatshaushalt sei auf etwaige Ausfälle eingestellt. «Natürlich, alles ist eingerechnet, alle Risiken sind prognostiziert, die entsprechenden Massnahmen ergriffen.»

Bulgarien braucht Hilfe

Nun geht die Angst um, ein Gas-Stopp könnte auch das wirtschaftliche Powerhouse Europas, Deutschland, treffen. «Wir sehen mit Sorge, dass es in europäischen Partnerländern zum Stopp der Lieferungen gekommen ist», lässt das deutschen Wirtschaftsministerium laut der Agentur DPA verlauten.

Trotzdem: Die Energieexpertin Claudia Kemfert rechnet nach dem russischen Gaslieferstopp nach Polen und Bulgarien nicht mit Versorgungsengpässen in Deutschland. Es sei derzeit nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen, da Deutschland und Europa «ausreichend mit Gas versorgt» seien, sagte die Leiterin der Abteilung Energie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Gas-Stopp für Deutschland jetzt wahrscheinlicher

Während Polen auf den Lieferstopp vorbereitet sei, werde Bulgarien nach Einschätzung der Energieexpertin Hilfe benötigen. Allerdings sei auch dort kurzfristig nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen, da die Gasspeicher ausreichend gefüllt seien. «Europa und auch Deutschland sollten sich nicht erpressen lassen, sondern auf Vertragseinhaltung bestehen, und die Gaslieferungen wie vereinbart bezahlen», mahnte Kemfert.

Ein Gas-Lieferstopp sei allerdings auch für Deutschland wahrscheinlicher geworden. Russland habe die nächste Eskalationsstufe eingeleitet, «um Europa in Angst und Panik zu versetzen, und um die restlichen Europäischen Staaten zu zwingen ihre Gasrechnung in Rubel zu begleichen», sagte Kemfert den Funke Zeitungen.

Verunsicherte Märkte

Deutschland müsse daher Vorkehrungen treffen, um seine Versorgungssicherheit zu gewährleisten, mahnte Kemfert. die Bundesrepublik müsse verstärkt aus anderen Ländern Gas beziehen, im Sommer die Gasspeicher füllen und sich für den Winter vorbereiten durch verstärkte Energieeinsparungen.

Die Finanzmärkte reagierten am Mittwoch auf die Entwicklungen verunsichert. Der europäischen Börsen verloren im frühen Handel etwas an Boden, um später wieder zuzulegen. Der Erdgaspreis schoss nach oben.

Wendepunkt in den Energiebeziehungen zu Russland

Nach Ansicht des Energieexperten Simone Tagliapietra vom Brüsseler Wirtschaftsinstitut Bruegel ist der Lieferstopp ein Wendepunkt in den Energiebeziehungen zu Russland. «Und sie könnte ein Vorgeschmack auf ähnliche Schritte gegen andere europäische Länder in den kommenden Wochen sein.» Die europäischen Regierungen müssten Notfallmassnahmen ergreifen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. «Jede Milliarde Kubikmeter Gas, die nicht verbraucht wird, ist jetzt wichtig.»


Von hier aus soll kein Gas mehr nach Polen und Bulgarien fliessen: Pipelines auf der Jamal-Halbinsel.

Gazprom warnte heute Polen und Bulgarien, russisches Gas anzuzapfen, das über ihr Gebiet an andere Länder geliefert wird. «Wenn sie unerlaubt russisches Gas aus den Transitmengen für Drittländer entnehmen, werden die Transitlieferungen in dieser Höhe gesenkt.»

Über die Jamal-Pipeline fliesst normalerweise Gas über Tausende Kilometer von Russland über Belarus nach Polen und bis ins brandenburgische Mallnow, wo das Gas übernommen und Richtung Westeuropa weitergeleitet wird. Allerdings hat die Bedeutung der Verbindung abgenommen. Nach Zahlen der Netzagentur floss durch Jamal in den vergangenen Wochen wenig oder kein Gas mehr nach Deutschland. Wichtigste Verbindung zwischen Russland und Deutschland ist die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, die Polen und Belarus umgeht.

Polen hält die Auswirkungen der russischen Entscheidung auf das eigene Land für gering. Regierungschef Mateusz Morawiecki betonte, die Gasspeicher in Polen seien zu 76 Prozent gefüllt. Polen sei bereit, «Gas aus allen möglichen anderen Richtungen zu beziehen».

Auch Bulgarien hat nach eigenen Angaben Schritte zur alternativen Gasversorgung unternommen. Vorerst sei keine Begrenzung des Verbrauchs notwendig. Das ärmste EU-Land Bulgarien ist seit 2007 Unionsmitglied, aber noch immer fast komplett von Gaslieferungen aus Russland abhängig. Ein Anschluss an das Netz des benachbarten Griechenlands soll im Juni fertig sein. Damit will Bulgarien Gas auch aus anderen Ländern beziehen.

Abhängigkeit von Russland verringern

Hintergrund des Gaskonfliktes mit Russland ist ein Streit über die Zahlungsmodalitäten. Kremlchef Wladimir Putin hatte im März gefordert, dass westliche Staaten mit Wirkung zum 1. April Konten bei der Gazprombank eröffnen müssen, um Lieferungen zu bezahlen. Andernfalls würden sie für «unfreundliche» Länder eingestellt.

Nach einem von Putin unterzeichneten Dekret können die Zahlungen weiter in Euro oder Dollar auf das russische Konto eingezahlt werden. Die Gazprombank konvertiert das Geld in Rubel und überweist den Betrag in der russischen Währung an Gazprom.

«Bei Gas sind wir mit Hochdruck daran, die hohe Abhängigkeit zu überwinden.»

Robert Habeck, deutscher Wirtschaftsminister

Für Deutschland wäre ein Stopp der russischen Gaslieferungen keine Katastrophe – obgleich jetzt der Fluss aus der Jamal-Pipeline versiegen könnte, durch die Gas von Russland über Polen in die Bundesrepublik transportiert wird. Doch diese Leitung ist nur eine von drei russischen Haupt-Gasleitungen in Richtung Deutschland. Und von diesen dreien ist sie die unbedeutendste, schon in den vergangenen Monaten waren die Gasflüsse durch diese Leitung immer wieder mal niedrig oder zeitweise gleich null.

Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte am Dienstag bei einem Besuch in Warschau, er gehe davon aus, dass Deutschland die Unabhängigkeit von Öllieferungen aus Russland innerhalb weniger Tage erreichen könne. Auch «bei Gas sind wir mit Hochdruck daran, die hohe Abhängigkeit, die Deutschland hier hatte und die ein Fehler war, zu überwinden», sagte der Wirtschaftsminister. Er kündigte eine enge Zusammenarbeit im Energiebereich mit Polen an.

Derweil füllen sich die deutschen Erdgasspeicher langsam wieder. Am Montag lag der Füllstand aller deutschen Speicher bei 33,4 Prozent, wie Behörden schreiben. Die Füllstände seien vergleichbar mit dem Jahr 2017 und mittlerweile deutlich höher als im Frühjahr 2015, 2018 sowie 2021.

Schweiz strebt Alternativen an

Nach Einführung der westlichen Sanktionen wegen des Ukraine-Krieges hatte Russland die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Gas-Rechnungen in Rubel zu bezahlen. Westliche Staaten wiesen die Forderung zurück und pochten auf die Einhaltung der Verträge mit Russland, die Zahlungen für die russischen Gaslieferungen ausschliesslich in Euro oder Dollar vorsehen.

Vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine versucht der Westen, seine Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu verringern. Ein sofortiges Öl- und Gasembargo lehnen Deutschland und andere Staaten aus Furcht vor schweren wirtschaftlichen Schäden ab. Experten gehen davon aus, dass die grösste Volkswirtschaft Europas in eine Rezession rutschen würde, wenn die russischen Gaslieferungen ausbleiben. Im vergangenen Jahr bezog Deutschland 55 Prozent seines Erdgases aus Russland.

Es ist eine Grundproblematik im Ukraine-Krieg: Europa – und somit auch die Schweiz – ist stark abhängig von russischem Gas. Entsprechend viele Implikationen löste das Thema aus – von der Pipeline Nord Stream 2 bis hin zu Fragen über genügend Erdgasvorräte, falls Russland wie aktuell den Gashahn abdreht. 

Die Schweiz bezieht die Hälfte ihres Erdgases aus Russland, primär zum Heizen. Grosse Teile der Bevölkerung würden nach eigenen Angaben eine Abkehr von Gas aus Moskau befürworten. Eine repräsentative Onlineumfrage von Tamedia und «20 Minuten» mit rund 12’000 ausgewerteten Teilnahmen zeigt: Zwei Drittel der Schweizerinnen und Schweizer befürworten einen Verzicht auf russisches Gas. Sie tun das im vollen Bewusstsein darüber, dass die Massnahme das Gas verteuern würde. 

Unterdessen will der bulgarische Regierungschef Kiril Petkow am Mittwoch nach Polen und in der Nacht zum Donnerstag nach Kiew reisen. Dort will Petkow sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski treffen, wie der Parlamentsabgeordnete Stanislaw Balabanow sagte, der zu der Regierungsdelegation gehört. Die Regierung in Sofia ist in der Frage von direkter Militärhilfe an die Ukraine gespalten. Das Land mit traditionell guten Beziehungen zu Russland ist deshalb einer der letzten Verweigerer von Waffenlieferungen nach Kiew in der EU.

AFP/cpm