Dänen nach Eriksen-DramaNach dem Trauma kehrt die Lust zurück – die Lust aufs Feiern
Die dänische Mannschaft stand nach dem Kollaps ihres Schlüsselspielers unter Schock – und mit ihr das ganze Land. Der nächste EM-Match bringt etwas Normalität.
«Kann Dänemark wiederauferstehen?» Es ist die Frage aller Fragen, die Kopenhagens grosse Tageszeitung «Politiken» zuletzt als Rubrik über ihre Fussball-Berichterstattung stellte. Spätestens seit Dienstag scheint die Antwort im Land ein grosses kollektives: Ja! Wenn er es vorgemacht hat!
Er: Christian Eriksen, der Star des Teams, dessen Herz schon stillstand nach seinem Kollaps am Samstagabend, und der es doch ins Leben zurückschaffte. Der sogar, wie die Dänen Tage später erst staunend erfuhren, die letzten zehn Minuten des dann von seinem Team wie in Trance zu Ende gestolperten Spiels gegen Finnland vom Krankenbett aus verfolgte.
Vor allem aber schickte er ihnen am Dienstag per Instagram dieses Bild aus dem Krankenhaus: die Haare leicht zerzaust, der Bart gestutzt, die Augen noch schmal, im Hintergrund Kabel und Schläuche. Im Fokus aber ein Lächeln und ein Okay-Daumen, dazu die Botschaft: «Mir gehts gut, den Umständen entsprechend.» Und dieser Satz: «Jetzt werde ich die Jungs im dänischen Team anfeuern in den nächsten Spielen.»
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Und das wollen und können sie jetzt, und zwar «mit gutem Gewissen», wie Nationaltrainer Kasper Hjulmand hernach erleichtert sagte. Es fühlte sich ein wenig an, als habe Christian Eriksen mit seiner Fotobotschaft Spielern und Fans die Absolution erteilt. Für Tage waren die Dänen gemeinsam unter Schock gestanden, mit diesem einen Bild aber, so «Politiken», habe Eriksen «seinen Landsleuten das Joch von der Schulter genommen»: «Er hat damit die traumatisierte Mannschaft für den Fussball befreit. Und die Leute fürs Feiern.»
Jetzt wollen sie spielen. Am Donnerstagabend, gegen Belgien. Einige, wie Mittelfeldspieler Martin Braithwaite und Torhüter Kasper Schmeichel, haben schon öffentlich zu Protokoll gegeben, wie sehr sie brennen, wieder aufs Feld zu kommen. Andere Spieler haben offenbar noch mehr zu kämpfen mit dem Erlebten; Trainer Hjulmand machte klar, dass es keinem übelgenommen werde, wenn er nicht auflaufen wolle.
Noch immer betreuen vier Krisenpsychologen das Team. Bis zum Mittwochnachmittag war allerdings kein Ausfall bekannt geworden. Sein Team sei zweifellos Aussenseiter, sagte Trainer Hjulmand bei einer Pressekonferenz am Mittwoch, aber die «Weltklassemannschaft Belgien» sei «die beste Herausforderung, die wir im Moment bekommen können». Man werde «mit ganz Dänemark im Rücken» spielen.
Schon beim ersten Training nach dem Vorfall am Montag habe sich die Stimmung verändert, hatte der Trainer zuvor erzählt. «Ich konnte spüren, dass gute Dinge passieren. Es wurde gelacht und gelächelt, es war immer mehr Dankbarkeit und Erleichterung zu spüren.» Auch treten Trainer und Spieler mittlerweile merklich gefasster vor die Kameras.
Eine einfache Aufgabe wird es nicht. Belgien zählt zu den Favoriten des Turniers, hat im ersten Spiel Russland 3:0 geschlagen. Eigentlich hatte Dänemark gegen den EM-Neuling Finnland drei Punkte fest eingeplant gehabt. 23-mal schossen die Dänen am Samstag auf das gegnerische Tor, ein einziges Mal nur die Finnen – und der finnische Kopfball war dann drin.
Nein, lamentiert übers Ergebnis hat hernach keiner hier. Am Mittwoch aber liess auch der Sportdirektor des dänischen Fussballverbandes, Peter Möller, die Debatte über das Verhalten der Uefa in jener Nacht noch einmal aufleben. Möller hatte sich zuvor mehr als andere dänische Funktionäre stets vor die Uefa gestellt und betont, diese habe «keinerlei Druck» ausgeübt, als sie die Spieler vor die Wahl stellte, gleich weiterzuspielen oder am Tag danach um 12 Uhr noch einmal auf den Platz zu gehen.
Mit etwas Abstand scheint er nun seine Meinung geändert zu haben: Es müsse in Zukunft möglich sein, andere Lösungen zu finden, als «die Beteiligten selbst mit feuchten Augen und gebrochenem Herzen solche Entscheidungen treffen» zu lassen, sagte Möller dem Sender DR. Der dänische Fussballverband verlangte am Mittwoch von der Uefa neue Regeln für solche Ausnahmefälle.
Schwer zu sagen, welcher Spieler was mitnimmt auf den Platz am Donnerstag um 18 Uhr. Wem die Erinnerungen eine Last sein werden und wem ein zusätzlicher Antrieb.
«Niemand kann Christian ersetzen, keiner», hatte Trainer Kasper Hjulmand am Dienstag gesagt. «Christian ist das Herz unseres Teams, der Rhythmus unseres Spiels.» Ein Spieler mit einer «unglaublichen Fähigkeit, Zeit, Raum und Rhythmus eines Fussballspieles zu erspüren». Die Mannschaft wird sich nun selbst Herz und Rhythmus sein müssen.
Immerhin: Sie dürfen wieder raus, weg von den Mikrofonen, weg vom Kreisel der eigenen Gedanken vielleicht auch. Ins Stadion, auf den Rasen. «Wir lieben Fussball. Wir lieben es, auf diesem Rasen zu stehen. Allein das Gras, der Geruch, der Tritt gegen den Ball, alles.» Noch einmal der Trainer. Stürmer Yussuf Poulsen sagte am Mittwoch, die Mannschaft sei durch den Vorfall noch mehr zusammengewachsen, man habe nach dem Schock viel «Ehrlichkeit und Liebe» erlebt: «Das wird uns als Team stärken», meinte Poulsen.
Eine Minute Applaus für Eriksen
Es ist die Ankunft einer Hitzewelle angesagt in Dänemark für Donnerstag. Und die Politiker haben die Corona-Regeln gerade rechtzeitig gelockert: Statt wie am Samstag noch 16’000 Zuschauer, dürfen gegen Belgien nun 25’000 im Stadion in Kopenhagen sein. Die zusätzlichen Tickets sind längst weg.
«Jetzt haben wir ein volles Stadion», sagte Trainer Hjulman. «Und diese zusätzliche Motivation ist genau das, was wir brauchen.» Sie werden den Fussball feiern. Und sie werden Christian Eriksen feiern. In Minute zehn des Spieles, so haben sie es angekündigt, werden die 25’000 Fans im Stadion eine Minute lang klatschen, für den Mann mit der Nummer zehn auf dem Rücken, für Eriksen.
Der gab den Teamkollegen in seiner Instagram-Botschaft aus dem Krankenhaus Folgendes mit auf den Weg: «Spielt für ganz Dänemark.»
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