Tödlichster Tag seit Beginn der ProtesteMut und Wut der Burmesen springen auf andere Länder über
Bei Demonstrationen gegen das Militär starben in Burma mindestens 18 Menschen. Dass das Regime international nicht stärker verurteilt wird, hat mit Chinas wachsendem Einfluss zu tun. Nun aber regt sich in der ganzen Region Widerstand.
Am Sonntag schossen Armee und Polizei erneut auf Protestierende in Burma, vier Menschen wurden dabei laut Frontier Myanmar in Yangon mindestens getötet. In Mandalay sollen es sieben sein, mindestens 18 im ganzen Land. Die UNO spricht vom «tödlichsten Tag seit dem Beginn der Proteste». Die Bilder aus dem Land zeigen, wie willkürlich in die Menschenmenge geschossen wird, wer nicht verletzt wurde, floh in Panik. Es soll zu regelrechten Jagdszenen auf Demonstranten gekommen sein. Anwohner sammelten Schuhe und Smartphones der Flüchtenden ein, um sie ihnen später wiederzugeben.
Die kurzen Filme und vielen Fotos gelangen über die Kanäle des Civil Disobedience Movement ins Ausland, und auch über die sogenannte Milk Tea Alliance, die an diesem Sonntag in einigen asiatischen Ländern zum solidarischen Protest gegen den Putsch in Burma, das vom Militärregime offiziell Myanmar genannt wird, aufgerufen hatte.
China als gemeinsamer Feind der Milk Tea Alliance
Die Milk Tea Alliance eint ein gemeinsamer Feind: China als grosser Verbündeter der Herrschenden. Dass hartes Vorgehen gegen Protestierende und Opposition international nicht stärker verurteilt wird, hat mit Pekings wachsendem Einfluss in der gesamten Region zu tun, sonst würden die USA, die UNO, die EU und wohl auch die Schweiz vermutlich weniger zahnlos auf den Putsch in Burma reagieren.
Neben Thailand, Hongkong und Taiwan gehören mittlerweile auch Aktivisten aus Indien zur Milk Tea Alliance. Nachdem Sydney immer wieder eine Untersuchung des Covid-19-Ausbruchs in China gefordert hatte und Peking mit massiven Handelsboykotten reagiert hatte, wurden Aktivisten aus Australien in die Bewegung aufgenommen. Burma ist der neueste Zugang. Die Internet-Community dieser Länder, die kulturell und gesellschaftlich höchst unterschiedlich sind, setzen sich in erster Linie für Demokratie ein. Und sie gehen gegen chinesische Einflussnahme vor, im Internet, mit Aufklärung, Gegenattacken in sozialen Medien, klugen Hacks.
Der Drei-Finger-Gruss
Während das Militär in Burma mit zunehmender Brutalität gegen die Protestierenden vorging, demonstrierten am Sonntag nach Aufruf der Milk Tea Alliance auch in Bangkok viele vorwiegend junge Menschen, die sich am Siegesdenkmal einfanden und dann zum Sitz des 1. Infanterieregiments liefen, der Leibwache des Königs. Viele der thailändischen Frauen und Männer zeigten den Drei-Finger-Gruss und trugen die Fahnen Burmas. Die Demonstranten hefteten Flyer an Wände und Säulen, auf denen man Prayut Chan-Ocha, den ehemaligen General der Streitkräfte, beim Kuss sieht – mit General Min Aung Hlaing, dem Chef der Junta, die sich in Burma vor vier Wochen an die Macht putschte.
Der Hintergrund: Vergangene Woche hatte die thailändische Regierung als erste weltweit einen Vertreter der Junta empfangen. Der neue, vom Militär ernannte Aussenminister Burmas, Wunna Maung Lwin, traf am Donnerstag in Bangkok mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Aussenminister Don Pramudwinai sowie der indonesischen Aussenministerin Retno Marsudi zusammen.
Einfluss der Asean-Staaten begrenzt
Indonesien ist das grösste Land im Asean-Bund. «Die Minister sind übereingekommen, dass Burma ein wichtiges Mitglied der Asean-Familie ist und dass Asean eine Plattform für konstruktiven Dialog zwischen Burma und den anderen Asean-Mitgliedsstaaten sein sollte – in Übereinkunft mit den Zielen und Prinzipien, die von den Asean-Mitgliedern aufgesetzt wurden und zum Wohl das Volkes von Burma» – so kompliziert formulierte es das thailändische Aussenministerium im Anschluss.
Die anhaltenden Proteste zeigen allerdings, dass das Volk von Burma sich nicht von den Asean-Staaten diktieren lassen will, wie und unter wem es leben soll, ebenso wenig wie von China. In dem Asean-Verbund stimmen sich neben Thailand und Indonesien auch Brunei, Kambodscha, Laos, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Vietnam als Mitglieder ab. Sehr unterschiedliche Länder mit ebenso verschiedenen Interessen und Regierungsformen.
Die Generäle in Burma möchten womöglich bis zur angekündigten Neuwahl in einem Jahr eine Kulissen-Demokratie einrichten, wie sie in Thailand funktioniert. Dort wurde 2014 geputscht, aber General Prayut Chan-Ocha transformierte sich zum Staatsmann und liess sich 2019 in einer allerdings nicht sehr freien Wahl bestätigen. Die militärnahe Partei in Burma wurde bei den Wahlen im November 2020 hingegen schwer gedemütigt und das Ergebnis an diesem Wochenende für ungültig erklärt. Ein etwas seltsamer Akt, nachdem die Soldaten schon seit Wochen brutal gegen Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger des Landes vorgehen, die die Wahl für rechtmässig halten.
Einfluss der Armee im Alltag gross
Nun sieht es so aus, als würden der Mut und die Wut, mit der die Menschen in Burma weiterhin jeden Tag auf die Strasse gehen, obwohl sie mit Gewalt und ihrem Tod rechnen müssen, in andere Länder überspringen. Sonntagabend kam es in Bangkok zu Zusammenstössen zwischen der Einsatzpolizei und den Milk-Tea-Alliance-Demonstranten. Nach den heftigen Protesten im Herbst war es in Bangkok zuletzt etwas ruhiger geworden. Der Einfluss der Armee im Alltag ist aber auch dort nach wie vor gross. In Thailand ist das Militär an zahlreichen Unternehmen, Immobilien, Fernsehanstalten, Flughäfen und Golfanlagen beteiligt, die Thai Military Bank, kurz TMB, gehört ihr ganz.
Während sich also die Herrschenden aus Burma und Thailand in Bangkok zu einem Erfahrungsaustausch getroffen haben, vernetzt sich die sogenannte Generation Z in einigen asiatischen Ländern, um klugen Protest zu initiieren. Auch das Civil Disobedience Movement (CDM), die Verweigerungsbewegung, die versucht, Burma unregierbar zu machen, koordiniert sich trotz Internetsperren als Netzwerk. Die Spitäler, die sich dem CDM ebenfalls anschlossen, gaben am Samstag bekannt, dass sie am Sonntag einen Notdienst für Demonstranten einrichten würden, die von Polizei oder Armee attackiert werden sollten. Sie bekamen traurigerweise viel zu tun.
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