Militärputsch in BurmaGefallener Engel
Das Militär entmachtet Aung San Suu Kyi und stellt die Ikone der Demokratisierung erneut unter Hausarrest. Der zaghafte Aufbruch Burmas ist zu Ende, das Land befindet sich in einer Schreckstarre.
Der Jubel war gross, als Aung San Suu Kyi vor zehn Jahren aus dem Hausarrest in Rangun entlassen wurde. Ihre Anhänger rissen vor ihrem Haus am See die Arme hoch, sie wedelten mit Blumensträussen und hielten gerahmte Porträts ihrer Heldin in die Höhe. Ihre Ikone war endlich frei, und die Armee liess die Frau gewähren, die für ihren jahrelangen Kampf gegen die Diktatur schon 1991 mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden war.
Das markierte den Anfang eines lang ersehnten Aufbruchs, von dem viele damals glaubten, dass er eine neue Ära in Burma begründen könnte. Eine noch nicht gefestigte, aber doch lebendige Demokratie, der es gelingen würde, die Gespenster der Diktatur und Unterdrückung hinter sich zu lassen. Ein Land mit vielen Ressourcen, das endlich aufblühen könnte, befreit von den Fesseln einer Junta, die für eine finstere Epoche stand.
Nun aber hat die Armee mit ihrem Coup d’Etat erneut zugeschlagen. Und Aung San Suu Kyi ist wieder dort, wo sie schon einmal 15 Jahre lang gewesen war: eingesperrt von jenen Kräften, die sie als regierende Staatsrätin Burmas nicht bändigen konnte. Der Putsch beendet erst einmal den demokratischen Aufbruch.
Aung San Suu Kyi war das milde lächelnde Gesicht Burmas, das Investoren lockte und den schönen Schein wahrte.
Wer aber genauer hinsieht, stellt fest, dass er Aung San Suu Kyi bei weitem nicht so viel Macht ermöglicht hatte, wie sie Wahlsieger in anderen Demokratien geniessen. Das liegt daran, dass die Armee vorgesorgt und die Verfassung so verbogen hatte, dass weiterhin eine kritische Masse an Abgeordneten von Soldaten gestellt wurden. Darüber hinaus kontrollierte das Militär die Ministerien, die für Sicherheit zuständig sind.
Aung San Suu Kyi konnte auch wegen einer auf sie zugeschnittenen Verfassungsklausel niemals Präsidentin des Landes werden. So blieb die burmesische Demokratie nur Fassade. Und Aung San Suu Kyi war die Figur im Schaufenster: das milde lächelnde Gesicht Burmas, das Investoren lockte und den schönen Schein wahrte.
Was sich unterdessen in den Hinterzimmern abspielte, hatte mit demokratischen Prinzipien wenig zu tun. Schlimmer noch: In Rakhine, im Westen des Landes, trieb die Armee einen brutalen Vertreibungsfeldzug gegen die muslimische Minderheit der Rohingya voran, den die Vereinten Nationen als Völkermord einstuften.
Dass Aung San Suu Kyi dennoch darauf setzte, sie könne unter diesen Umständen die Generäle in ihrer Macht zurückdrängen und die zahlreichen Konflikte an den Rändern der unfertigen Nation durch ihre Autorität lösen und befrieden, stellte sich als ihr grösster Irrtum heraus. Doch ist sie eine Frau, die ungern auf Ratschläge hört.
Im Team kann sie nicht arbeiten. Das war schon in ihrer Kindheit so, wie ein früherer Vertrauter einmal berichtete. Das schwächte die Möglichkeiten ihrer Partei NLD, und es nützte vor allem ihren Gegnern, die nie von der Macht lassen wollten.
Machiavellistisches Machtgespür
Der Armee war es schliesslich gelungen, die Regierungschefin Aung San Suu Kyi so sehr einzuschnüren, dass sie im Dezember 2019 sogar nach Den Haag fuhr, um in einer bizarren Episode die Generäle vor dem höchsten UNO-Gericht gegen Völkermordvorwürfe in Schutz zu nehmen. Dieser Moment markierte den bisherigen Tiefpunkt ihrer Karriere, zumindest in der Wahrnehmung ihrer früheren Bewunderer. Diese beklagten, sie habe nun endgültig ihre einstigen Ideale verraten.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar: Aung San Suu Kyi hatte sich – gemessen an ihrem eigenen Bekenntnis zu Freiheit und Gerechtigkeit – sehr weit verirrt. Sie vermochte dem Eindruck nichts mehr entgegensetzen, dass sie wie eine Komplizin der Armee dastand. Angesichts solcher Irritationen zog sie sich immer weiter zurück, anstatt sich international zu erklären.
In den Hauptstädten der Welt verstand kaum noch eine Regierung, was sie von Aung San Suu Kyi halten sollte, wofür die Frau noch stand. Man sah in ihr einen gefallenen Engel.
Nur im eigenen Land war das anders. Dort bewahrte sie ihre Popularität, vielleicht auch, weil sie es vermied, sich schützend vor die muslimischen Rohingya zu stellen. Die rassistischen Ressentiments sitzen in der burmesischen Mehrheit so tief, dass sich Aung San Suu Kyi als Anwältin der Rohingya-Minderheit komplett ins politische Abseits katapultiert hätte.
In diesem Sinne war das machiavellistische Machtgespür in ihr offenbar viel stärker als die Treue zu moralischen Prinzipien, die sie einst hochgehalten hatte. Dass die Armee nun geputscht hat und die Wahlsiegerin vom November einsperrt, deutet darauf hin, dass die Generäle sie doch noch als existenzielle Gefahr für ihre Interessen einstufen.
Burma-Generäle brauchen China
Aung San Suu Kyis politisches Kalkül bestand offenbar darin, dass sie die kurzfristige Allianz mit den Generälen in Kauf nahm, um langfristig ein ziviles System zu etablieren, in dem die Generäle nicht mehr massgeblich in der Politik mitmischen würden. Ihr Mandat, das sie vor wenigen Wochen errang, war aus Sicht der Generäle offenbar zu stark. So reklamiert die Armee nun wieder die alleinige Macht.
Aung San Suu Kyi sah es offenbar kommen und hat noch rechtzeitig ihre Anhänger zu Protesten aufgerufen. Ob es den zivilen Kräften gelingt, Massen zu mobilisieren und die Generäle wieder zur Umkehr zu zwingen? Vorerst ist das Land in eine Schreckstarre gefallen, das Militär verschanzt sich hinter dem Notstand, den es für ein ganzes Jahr verhängt hat. (Lesen Sie die Analyse «Das Volk wird den Generälen nicht verzeihen».)
General Min Aung Hlaing hat die Rivalität zwischen militärischen und zivilen Kräften nun auf seine Weise gelöst. Er wird sicher nach Peking blicken, denn er braucht Chinas schützende Hand, um sich gegen den Chor internationaler Kritik abzuschirmen, der nahezu unisono fordern wird: Freiheit für Aung San Suu Kyi.
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