Kaum Fortschritte bei ProjektenMisstrauen statt «felsenfeste Freundschaft» zwischen China und Russland
Der Krieg in der Ukraine verstärkt die Annäherung zwischen Moskau und Peking. In den Wirtschaftsbeziehungen zeigen sich aber die Grenzen der Partnerschaft.
Begrüssung per Ellenbogencheck, unter den Masken ein breites Grinsen. Bei einem Treffen zwischen dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow und seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi in der chinesischen Provinz Anhui vergangene Woche war die Botschaft eindeutig: Hier treffen sich gute Freunde. Beide Länder seien nun «noch entschlossener», die bilateralen Beziehungen zu stärken, erklärte Wang Yi. Diese hätten dem «Test internationaler Turbulenzen» standgehalten.
Fünf Wochen nach Kriegsbeginn steht Peking weiter fest an Moskaus Seite. Für Putin sind die Beziehungen unter dem Druck westlicher Sanktionen bedeutsamer denn je. Mitte März erklärte der russische Finanzminister Anton Siluanow, die Partnerschaft werde dem Land nicht nur erlauben, gemeinsame Kooperationen aufrechtzuerhalten, während sich die westlichen Märkte verschlössen. Vielmehr wolle man diese nun auch intensivieren.
Der bilaterale Handel wächst
In den vergangenen Jahren haben die beiden Länder ihre Wirtschaftspartnerschaft stetig ausgebaut. Seit den Krim-Sanktionen ist der bilaterale Handel um mehr als 50 Prozent gestiegen. Das Handelsvolumen erreichte 2021 mit rund 147 Milliarden Dollar ein Rekordniveau, bis 2024 soll es auf 200 Milliarden Dollar steigen.
Im Februar dieses Jahres kündigten Wladimir Putin und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im Zuge einer weitreichenden strategischen Partnerschaft 65 Investitionsvorhaben im Gesamtwert von 120 Milliarden Dollar an. Demnach wird Russland dem Nachbarland Öl und Gas im Volumen von umgerechnet gut 100 Milliarden Franken liefern, die Vereinbarung läuft über die nächsten 25 Jahre. Russland ist bereits drittgrösster Gaslieferant Chinas.
Dazu kommen laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua Projekte zum Infrastrukturbau und in der Landwirtschaft. Der Staatskonzern Rosatom beteiligt sich am Bau von vier Kernreaktoren, das chinesische Bauunternehmen CRCC soll einen Autobahnring um die Stadt Wladiwostok in Ostrussland finanzieren.
Auf den ersten Blick wirken die Wirtschaften der beiden Länder komplementär. China ist der weltgrösste Energieverbraucher. Für Putin dienen die Lieferungen aus ostsibirischen Gasquellen als eine zweite Verkaufsschiene neben den Lieferungen nach Europa.
2020 gingen 14,6 Prozent der russischen Exporte nach China, umgekehrt waren es 2,8 Prozent.
Doch das Verhältnis ist extrem ungleich. Während 2020 rund 14,6 Prozent der russischen Exporte nach China gingen, waren es andersherum gerade einmal 2,8 Prozent. Beide Seiten betonen zwar, dass die Handelsbeziehungen breiter aufgestellt werden sollen. Doch in vielen Sektoren haben sich die Rollen beider Länder in den vergangenen drei Jahrzehnten umgekehrt.
Seit 2007 liefert China mehr Waren nach Russland, als es von dort bezieht, darunter vor allem Elektronik, Maschinen und Autos. Aus Russland kommen hingegen hauptsächlich Rohstoffe, darunter Erdölprodukte, Holz, Metalle, aber auch Lebensmittel.
Wie schwierig die Zusammenarbeit ist, beschreibt Jonathan Hillman vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in einer Studie unter anderem am Beispiel dem Investitionsprogramm der neuen Seidenstrasse.
Kaum Fortschritte bei Projekten
Beide Staaten haben Interesse an einem Ausbau der Infrastruktur in den Ländern Zentralasiens. Sechs Wirtschaftskorridore der neuen Seidenstrasse führen durch Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion. Das ist der Zusammenschluss Russlands mit Armenien, Belarus, Kasachstan und Kirgistan zu einem Binnenmarkt mit Zollunion. Viele Erwartungen, die an das Investitionsprogramm geknüpft waren, sind jedoch nicht erfüllt worden.
Von den mehr als 200 gemeinsamen Projekten, die China und Russland 2009 ankündigten, verzeichneten fünf Jahre später gerade einmal 20 Fortschritte. Eines der Aushängeschilder, der Bau einer Schnellzugstrecke zwischen Moskau und Kasan, kommt seit Jahren nicht voran.
Hauptgründe für das Scheitern vieler Projekte laut Experte Hillman: Bürokratie, schlechte Infrastruktur und Korruption. Auch mit Blick auf Investitionen in Russland selbst sei die Zurückhaltung gross. Zwar investieren chinesische Firmen weltweit im Namen der Seidenstrasse in höchst riskante Unternehmungen. Doch mit der schrumpfenden Einwohnerzahl der Russischen Föderation sind die langfristigen Erfolgsaussichten – anders als in vielen Entwicklungsländern in Afrika – deutlich geringer.
Putin und Xi haben sich zwar «felsenfeste Freundschaft» geschworen, doch die Beziehungen sind von einem tiefen, historischen Misstrauen geprägt. Spannungen dürften laut Hillman spätestens dann zunehmen, wenn Peking die Notwendigkeit sieht, seine Investitionen in Zentralasien militärisch zu schützen, wie es das bereits in anderen Teilen der Welt tut. Je stärker das Engagement Chinas in Russlands Hinterhof, desto grösser dürfte das Unbehagen Moskaus werden.
In der aktuellen Krise könnte China seinen Nachbarn zwar wirtschaftlich zu einem gewissen Teil unterstützen. Beispielsweise, indem Peking den Rubel als Zahlungsmittel akzeptiert, einschliesslich für den Kauf von Technologiegütern, von denen Moskau durch die westlichen Sanktionen nun abgeschnitten ist. Doch das gilt bislang als unwahrscheinlich.
Ein schwaches Russland als Chance für China
Die politische Unterstützung für Russland ist für Peking opportun. Doch eine weitere Eskalation mit den USA oder der EU scheint die chinesische Führung bis jetzt vermeiden zu wollen. China hat die Sanktionen zwar wiederholt heftig kritisiert, bislang wehrt es sich jedoch gegen den Vorwurf, die Strafmassnahmen zu unterwandern.
Zuletzt soll der chinesische Staatskonzern Sinopec eine Investition im Umfang von einer halben Milliarde Dollar in Russland ausgesetzt haben. Laut Reuters folgte das Unternehmen einem Aufruf der chinesischen Regierung, die zur Vorsicht mahnte.
Ein geschwächtes Moskau könnte für China, dessen Wirtschaft von der Pandemie, Lieferkettenproblemen und einer schweren Immobilienkrise geschwächt ist, indes auch eine Chance sein. Russlands wichtigstes Exportgut Energie ist zwar wichtig, wie Hillman schreibt. Aber da die Handelsbeziehungen immer einseitiger würden, habe China als Käufer mehr Einfluss als Russland als Lieferant. Mit der wachsenden Isolation vom Westen hat Putin immer weniger Alternativen. Hillman schreibt dazu: «Russlands Juniorstatus wird für das Land zu einer Belastung.» Und damit zu einem Vorteil für China.
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