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Forscher finden Plastikteilchen
Mikroplastik landet in der Hals­schlag­ader – die Folgen sind lebensgefährlich

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So verbreitet Plastik im menschlichen Alltag ist, so allgegenwärtig sind seine Überreste. Mikroplastik – zu winzigen Teilchen zerriebene Kunststoffgegenstände – hat man auf einsamen Berggipfeln ebenso nachgewiesen wie in Büros und Schlafzimmern. Die Partikel reisen in der Luft, schwimmen im Trinkwasser, gelangen in Lebensmittel – und längst auch in den menschlichen Körper. Mikroplastik-Teilchen, definiert durch ihre Grösse von weniger als fünf Millimetern, sind unter anderem in Lungen, Lebern und Plazentas, in Blut, Urin und Muttermilch nachgewiesen worden. Unklar aber ist nach wie vor, ob von diesen Fremdkörpern im Organismus eine Gesundheitsgefahr ausgeht.

Neue Erkenntnisse zu dieser Frage legen nun italienische Forscherinnen und Forscher im Fachblatt «New England Journal of Medicine» vor. Die Mediziner um den Chirurgen Raffaele Marfella aus Neapel hatten insgesamt 257 Patienten untersucht, die zu ihnen gekommen waren, um Verengungen der Halsschlagader beseitigen zu lassen. Die Chirurgen trugen Ablagerungen ab, um die Arterien wieder durchlässiger zu machen. Anschliessend analysierten sie die entfernten Plaques. Dabei fanden sie in fast 60 Prozent der Proben Polyethylen – einen Kunststoff, der beispielsweise für Verpackungen und Wasserrohre verwendet wird. Zwölf Proben wiesen Polyvinylchlorid (PVC) auf. Die meisten der Plastikteilchen waren sehr klein; sie massen weniger als einen Mikrometer.

In den folgenden knapp drei Jahren beobachteten die Ärzte die Operierten. In der Gruppe jener, die Partikel in den Gefässwänden hatten, traten während dieser Zeit mehr Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle auf als bei den übrigen Patienten. Insgesamt war das Risiko für eines der drei Ereignisse etwa vier- bis fünfmal so hoch wie in der Gruppe, deren Arterien sich als plastikfrei erwiesen hatten. Die Mediziner zeigten zugleich, dass die Menschen mit den Kunststoffpartikeln in ihren Proben auch häufiger erhöhte Entzündungswerte aufwiesen.

Mikroplastik kann Entzündungen auslösen

Die Autoren betonen, dass sie keinen kausalen Bezug zwischen den Funden und der schlechteren Gesundheit der Probanden herstellen können. Es sei möglich, dass andere Faktoren zu den Unterschieden in beiden Gruppen beitrugen. So hatten die Mediziner keine Daten zum sozio-ökonomischen Status ihrer Probanden oder der Feinstaubbelastung in deren Umgebung. Auch eine Kontaminierung von Proben konnte nicht komplett ausgeschlossen werden.

Doch zugleich weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass ihre Funde zu Erkenntnissen aus vorangegangenen Arbeiten passen. Laborexperimente hatten in der Vergangenheit nahegelegt, dass Mikroplastik Entzündungen in Geweben hervorruft. Tierversuche hatten Hinweise darauf gegeben, dass die Kunststoffteilchen das Herz schädigen können. Bei Arbeitern in der Kunststoffindustrie wurden höhere Raten von Gefässtumoren und Lungenerkrankungen gefunden, wie es in einem begleitenden Kommentar in der Fachzeitschrift heisst.

In ihm bewertet Philip Landrigan, Public-Health-Forscher am Boston College, die Ergebnisse der italienischen Forscher als besorgniserregend. Auch wenn noch unklar sei, welche anderen Faktoren zu den Problemen der Patienten beigetragen haben könnten, sei der Nachweis von Kunststoffpartikeln in den Plaques für sich genommen schon eine «bahnbrechende Entdeckung», die drängende Fragen zur Sicherheit des allgegenwärtigen Plastiks aufwerfe.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hatte bisher keine grosse Sorge vor den Kunststoffteilchen erkennen lassen. Zumindest bei Plastikpartikeln in Lebensmitteln sei momentan nicht davon auszugehen, dass sie gesundheitliche Risiken bergen, heisst es seitens der Behörde. Erste Untersuchungen lieferten keine Hinweise, dass die Teilchen das Darmgewebe schädigen; die meisten dürften vielmehr wieder ausgeschieden werden. Auch von Zahnpasta, Peelings und Duschgelen, denen bisweilen Kunststoff-Körnchen zugesetzt werden, gehe wahrscheinlich keine Gefahr aus, heisst es weiter. Die harten Teilchen seien zu gross, um über die Haut in den Körper aufgenommen zu werden.

Allerdings räumt das Institut ein, dass es bisher noch wenige belastbare Daten gibt. Und dass immer mehr Plastik in die Umwelt gelangt.

Weltweit sei die jährliche Produktion von weniger als zwei Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf heute etwa 400 Millionen Tonnen gestiegen, schreibt Landrigan in seinem Kommentar. Diese Menge werde sich Prognosen zufolge bis 2040 verdoppeln und bis 2060 verdreifachen. 40 Prozent der derzeit hergestellten Plastikprodukte sind Einwegartikel, die besonders stark zu der Menge an Kunststoffabfällen beitragen.