Neues Produkte-LabelTomaten top, Fleisch ein Flop – die Migros verteilt jetzt Klimanoten
Seit Corona wollen Schweizer Kunden genauer wissen, was auf den Teller kommt und wie das die Umwelt belastet. Wie der Detailhändler reagiert und was das für die Preise bedeutet.
Darf die Avocado aus Peru noch in den Einkaufskorb? Oder ist ein Stück Biorind aus der Schweiz besser fürs Klima? Fragen wie diese beschäftigen viele Schweizerinnen und Schweizer beim täglichen Einkauf. Der grösste Detailhändler, die Migros, will nun Abhilfe schaffen. Das Unternehmen weist künftig auf einem Grossteil der Produkte den CO₂-Fussabdruck von Lebensmitteln sowie Angaben zum Tierwohl aus.
«Wir sind oft mit Fragen von Kunden konfrontiert zu Themen wie Plastikverpackungen und warum Erdbeeren im Februar im Laden sind», sagt Migros-Marketingchef Matthias Wunderlin zu dieser Zeitung. «Wir wollen den Kunden etwas an die Hand geben und auf einfache Art Transparenz schaffen.»
Mit dem neuen System soll künftig auf einen Blick erkennbar sein, wie gut Lebensmittel hinsichtlich ihrer CO₂-Bilanz und des Tierschutzes abschneiden. Ein Stern in der jeweiligen Kategorie ist schlecht, fünf Sterne sind gut.
In den kommenden Jahren will der Detailhändler auch weitere Bereiche wie Wasser, Pestizide und faire Produktionsbedingungen abbilden. Das System soll ab dieser Woche zunächst mit hundert Fleisch- und Milchprodukten starten und bis 2025 auf sämtlichen Eigenmarken angebracht werden. Das entspricht dann rund 80 Prozent aller Artikel.
Migros ist in der Schweiz nach eigenen Angaben der erste Detailhändler, der ein System für den CO₂-Fussabdruck von Lebensmitteln einführt. Lidl Schweiz hat ein ähnliches Ranking bereits für Tierwohl angekündigt. Der Discounter setzt dabei auf eine vierstufige Skala.
Konsumentenschutz fordert einheitliche Kennzeichnung
Die Stiftung für Konsumentenschutz begrüsst die Nachhaltigkeitsnoten der Migros. «Wir sind positiv überrascht. Das ist wichtig für alle Konsumenten, die sich informieren wollen», sagt die Geschäftsleiterin des Konsumentenschutzes, Sara Stalder, zu dieser Zeitung. Allerdings fordert sie, dass nicht jeder Detailhändler ein eigenes System zur Benotung einführt. «Wichtig wäre, dass man das einheitlich macht. Wenn jeder etwas erfindet, dann ist das Chaos perfekt.» Wünschenswert wäre aus ihrer Sicht ein europaweit einheitliches System für Nachhaltigkeitskriterien. Denn damit würde auch ein Grossteil der importierten Lebensmittel erfasst.
Ein Migros-Sprecher sagt, der Konzern sei offen für Gespräche über eine branchenweite Lösung. Bis eine solche umgesetzt werden könne, dürfte es jedoch Jahre dauern.
Bundesrat will keine verpflichtende CO₂-Etikette
Der Bundesrat hat sich bislang gegen eine obligatorische Umweltkennzeichnung der in der Schweiz verkauften Lebensmittel ausgesprochen. Er hält die in der Privatwirtschaft eingesetzten Labels dennoch für geeignet, um das Angebot an umweltfreundlicheren Produkten und die Nachfrage nach solchen zu beeinflussen. «Ohne Labels wäre gar nicht erkennbar, welche Produkte die Umwelt schonen», so Josef Känzig, Leiter der Sektion Konsum & Produkte des Bundesamts für Umwelt (Bafu).
In Deutschland ist das jedoch anders – dort ist ein staatliches Tierwohl-Kennzeichen vorerst für Schweine geplant. In Frankreich gibt es einen Eco-Score für Lebensmittel. Dieser ist in den meisten Fällen jedoch nicht auf den Produkten selber angebracht. Nutzer müssen die Produkte zuerst mit einer App scannen, bevor sie den ökologischen Fussabdruck erfahren.
«Es ist kein Geheimnis, dass Fleisch bei CO₂ tiefer bewertet ist als Gemüse. Und Flugtransport ist ein CO₂-Killer – das weisen wir aus.»
Schlecht schneiden in sämtlichen CO₂-Bilanzen unter anderem Fleisch sowie eingeflogene Produkte ab. Die Migros will auf ihrer Skala dennoch darauf hinweisen. «Wir scheuen uns nicht, die Sachen zu zeigen, wie sie sind. Es ist kein Geheimnis, dass Fleisch bei CO₂ tiefer bewertet ist als Gemüse. Und Flugtransport ist ein CO₂-Killer – das werden wir entsprechend ausweisen», sagt Migros-Marketingchef Wunderlin.
Mit den Tierwohl-Noten will die Migros auch bei ihren Lieferanten ansetzen. «Tierwohl ist vor allem im Import ein Thema, und wir versuchen das nach und nach auf Schweizer Niveau zu bringen.» Wenn die Einhaltung des Tierschutzes nicht transparent und nachvollziehbar ist und daher nicht beurteilt werden kann, bekommen die entsprechenden Migros-Produkte nur einen Stern. «Das kann vielleicht auch mal zu einem Lieferantenwechsel im Ausland führen», so Wunderlin. Die Migros arbeitet bei der Bewertung der Lebensmittel mit externen Stellen zusammen.
Die Detailhändler und App-Anbieter reagieren damit auf einen Trend, denn gemäss einer Studie der Beratungsgesellschaft Capgemini hat die Corona-Pandemie dazu geführt, dass ein grosser Teil der Konsumentinnen und Konsumenten sein Kaufverhalten ändern will und mehr Wert auf Umweltfreundlichkeit und soziale Verantwortung legt.
Nach Angaben des Bundesamts für Umwelt sind Lebensmittel für 28 Prozent der in der Schweiz erzeugten Umweltbelastung verantwortlich. Das ist mehr als etwa das Wohnen, private Mobilität oder gar Kleider. (Einen Rechner für den persönlichen ökologischen Fussabdruck finden Sie hier.) Was man isst, ist dabei entscheidender als die Verpackung oder der Transport, wie aus einer Grafik des WWF Schweiz hervorgeht.
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