Das neue Album von Mich Gerber«Haben Sie das Interesse an der Popmusik verloren, Herr Gerber?»
Der Berner Kontrabassist Mich Gerber ist wohl der berühmteste Tieftöner des Landes. Warum Thomas Bucheli Freude an seinem neuen Album haben dürfte.

«Mich Gerber – Kontrabass solo», stand auf dem ersten Demotape geschrieben, das der Berner Mitte der Neunzigerjahre an ein paar Plattenfirmen verschickte. Auf dem Papier klang das nach schwer verdaulicher Musikkost, nach Klangforschung an einem Instrument, das nicht für die erste Bühnenreihe konzipiert war. Wer reinhörte, entdeckte jedoch Musik von schierer Schönheit und Spannung. Mittels eines damals noch ziemlich revolutionären Loop-Geräts schichtete er diverse Bassspuren übereinander, klopfte Grooves auf den Wirbelkasten seines Instruments und strich dazu mit dem Geigenbogen schwerblütigste Melodien.
Mich Gerber machte den Kontrabass zur Singstimme, zur musikalischen Wunderkammer und entwickelte eine Folklore für den nachdenklichen Schwerblüter. Nun erscheint mit «Drifting Clouds» das siebte Album des 67-Jährigen. Und es ist sein bisher anspruchsvollstes, weil er gänzlich auf Rhythmisches und gewissermassen auch Melodiöses verzichtet. Was bleibt da noch? Und wohin soll das führen? Wir müssen sprechen.
Herr Gerber, haben Sie heute schon in den Himmel geschaut?
Ich tu das öfter. Es gibt da viel zu entdecken.
Ihr neues Album heisst «Drifting Clouds» und es hört sich auch ein bisschen so an: unscheinbar. Wie vorbeiziehende Wolken. Es sei denn, man lässt sich darauf ein, diese Mutationen im musikalischen Gewölk auf sich wirken zu lassen. Was war Ihre Intention?
Ich wollte eine Musik schaffen, die sich langsam entwickelt. Wie Wolken eben, die sich bilden, sich aufbauen, um sich dann irgendwann wieder im Nichts aufzulösen. Wolken haben eine Schönheit, die sich uns fast täglich offenbart, aber wir lassen uns viel zu selten darauf ein, sie zu entdecken.
Ihr neues Album wird viele überraschen. Es enthält nur ein Stück, das klingt, als sei es frei improvisiert. Was steckt dahinter?
Ich wollte ein einstündiges Stück aufnehmen, das abstrakt ist, das keine Melodie und keinen Rhythmus hat. Eine Musik, die stets in neue Zustände übergeht und ihren Reiz aus diesen Wandlungen zieht. Improvisiert ist es nicht. Es ist eine Komposition, die in einem Take aufgenommen wurde.
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Wie muss man sich das konkret vorstellen? Entstand diese Musik unter freiem Himmel bei einer Wetterlage, die Herr Bucheli mit «aufkommender Bewölkung» beschreiben würde?
Es war wie fast immer bei mir: Es gibt eine Gleichzeitigkeit von Studien am Instrument und Einflüssen von aussen. Aber ja, ich arbeite gerne draussen, am See oder an Orten, an denen ich nicht bloss auf die nächste Fassade starre. Ich mag die Weite.
Hat man Sie auch deshalb länger nicht mehr auf einer herkömmlichen Bühne gesehen? Sie zogen es in den letzten Jahren ja vor, in der Natur die blaue Stunde zu bespielen, also die Zeit zwischen dem Tagesende und dem Beginn der Nacht.
(lacht) Ja. Ich habe es tatsächlich zum Konzept gemacht, mir möglichst angenehme Arbeitsorte zu suchen.
Mit grossem Erfolg. Während andere Musikschaffende in ein Corona-Loch gefallen sind und die Livebranche bis heute am Ächzen ist, haben Sie mit der «L’heure bleue»-Reihe quasi ein krisenresistentes Geschäftsmodell entwickelt. Hat Ihnen das das Überleben während der Seuche gesichert?
Ja. Wir konnten immer alle Konzerte spielen. Das ging von der Distanzregel her. Und ja, man kann sagen, dass ich mit dieser auf meine Musik zugeschnittenen Konzertnische gut über die Runden komme, ohne zusätzlich auf Club-Tournee gehen zu müssen. Ich entdecke auch immer wieder neue Orte, die ich bespielen möchte. Letzten Monat waren wir beispielsweise in Basel im Rheinhafen. Ich liebe diese Mischung aus Industrie und Natur.
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Was muss ein Ort haben, dass er Sie zum Bespielen reizt?
Er muss nicht nur idyllisch sein. Ich mag auch die Brüche. Aber neben dem äusseren Reiz muss die Stätte auch zugänglich sein, und wir müssen eine Bewilligung bekommen. Das ist oft der mühsamste Part der ganzen Geschichte.

Zurück zum Album: Wollen wir es stilistisch im Fach der komponierten Meditation ablegen?
Es ist sicher keine Meditationsmusik. Das war nicht die Absicht. Mir ist zwar der Aspekt der Entschleunigung, des bewussten Hinhörens durchaus wichtig, aber mehr noch die Abstraktion. Ich bin sehr von der Malerei inspiriert, von den abstrakten Expressionisten, die eigentlich nichts Fassbares darstellen und dabei trotzdem berühren – mit ihrer Intention, mit Texturen und Farben.
Allerdings ist die Toleranz gegenüber dem Abstrakten in der Malerei weit grösser als in der Musik. Die Leute kaufen sich Miro-Kunstdrucke im Micasa und hängen sie übers Sofa, aber sie würden eher keine atonale Musik hören.
Genau das hat mich auch immer beschäftigt. Okay, man kann die beiden Medien nicht direkt miteinander vergleichen. Bei der Musik geht es um Bewegung und Zeit. Die Malerei ist etwas Statisches. Aber es war mir mit diesem Album ein Anliegen, eine Musik zu erschaffen, die zwar abstrakt, aber trotzdem hörbar und schön ist.
Früher spielte bei Ihnen der Groove eine wichtige Rolle. Und Sie haben zuweilen mit dem Pop geflirtet, indem Sie Sängerinnen wie Imogen Heap oder Jael in Ihre Musik integriert haben. Übt die Popmusik keinen Reiz mehr auf Sie aus?
Zum Hören schon. Zum Machen weniger. Ich bin gerade dabei, eine andere Tür aufzustossen, von der ich noch nicht genau weiss, was sich dahinter verbirgt.
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Diese Entwicklung hat Sie auch von einem Deal mit dem Musikmulti Universal Music zum kleinen Berner Label Everest Records gebracht, das seit 25 Jahren experimentelle elektronische Musik unter die Leute bringt. Fühlen Sie sich da gut aufgehoben?
Sehr. Ich mag viele ihrer Produktionen – und es ist nichts Falsches daran, auf dem gleichen Label zu sein wie der von mir hochgeschätzte Schlagzeuger Julian Sartorius. Aber der Deal mit Universal liegt nun doch schon etwas länger zurück.
Sie sind klassisch ausgebildet, haben dann die Berner Werkstatt für improvisierte Musik mitgegründet und sind in der experimentellen Musik aufgegangen. Ist das neue Album eine Rückbesinnung auf diese Zeit?
Nein, eher ein Weitergehen. Aber sicher sind viele Erfahrungen, die ich auf meinem musikalischen Weg gesammelt habe, in diese Musik eingeflossen.
Wie schauen Sie dem Konzert im Bierhübeli entgegen, in welchem am Tag zuvor zu karibischem Hip-Hop gefeiert wird und gleich nach Ihrem Auftritt die «Ultimative Chartshow» affichiert ist?
(lacht) Wie gesagt, ich mag die Brüche. Und das Bierhübeli ist ein wunderschöner Saal. Es ist ja nicht so, dass ich in letzter Zeit gar keine Indoor-Konzerte mehr gespielt habe. Ich mache das auch sehr gerne, vor allem weil man da nicht dauernd den Wetterradar konsultieren muss.
Sie bringen nun also das Wetter und die Wolken ins Bierhübeli.
Genau. Und zusätzlich den Jürg Halter, der als Intro ein Gedicht vortragen wird, zu dem ihn meine Musik inspiriert hat.
Konzert: Bierhübeli Bern, Fr, 11.10., 20 Uhr; Album: «Drifting Clouds» erscheint gleichentags auf dem Label Everest Records.
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