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Mexikos Dilemma ist ein Geschenk für Trump

Flucht aus den ärmsten Regionen der Welt: Migrantenstrom in Ciudad Hidalgo, Mexiko. Foto: Moises Castillo (Keystone)
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Mehr als 7000 vorwiegend honduranische Migranten haben während der letzten Tage die Grenze zwischen Guatemala und Mexiko überquert, um in die USA zu gelangen. Rund 2000 Kilometer trennen sie nun, da sie den südlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas erreicht haben, noch von ihrem Ziel. Während US-Präsident Donald Trump die «Karawane» als «Angriff auf unser Land» brandmarkt, während Mexikos Politiker überfordert und ratlos reagieren, hat sich weiter südlich bereits eine zweite Karawane auf den Weg ins vermeintlich gelobte Land gemacht.

Sie umfasst gemäss Angaben guatemaltekischer Hilfsorganisationen rund 1500 Personen, unter ihnen viele Frauen und Kinder. Den Marsch durch Zentralamerika bewältigen sie in eher kleinen Gruppen, einige reisen auch mit dem Bus. Sie profitieren davon, dass zwischen Guatemala, El Salvador und Honduras faktisch Personenfreizügigkeit herrscht.

Um nach Mexiko zu gelangen, brauchen die Migranten hingegen ein Personaldokument. Die erste Karawane staute sich deshalb am Grenzfluss Suchiate, die Zahl der Migranten schwoll an, der Druck wurde so gross, dass die mexikanische Polizei die Grenze öffnete. Bei der zweiten Karawane, welche die guatemaltekisch-mexikanische Grenze in den nächsten Tagen erreichen wird, dürften sich die Szenen wiederholen.

Medienwirksame Bilder

Die honduranischen Migranten fliehen aus einer der ärmsten Nationen der westlichen Hemisphäre und aus dem Land mit einer der höchsten Mordraten weltweit. Sie sind ein Wahlkampfgeschenk für Donald Trump und dessen republikanische Partei, die befürchten müssen, am 6. November bei den sogenannten Midterms die Kontrolle über den Kongress zu verlieren. Trumps Drohung, die Südgrenze der USA militärisch abzuriegeln, mobilisiert seine Anhänger – ähnlich wie vor zwei Jahren sein Versprechen, zwischen den USA und Mexiko eine Mauer zu errichten.

Video – Tausende Migranten überqueren Grenze zu Mexiko

Der Zug der rund 7000 Zentralamerikaner liefert medienwirksame und propagandistisch ideal verwertbare Bilder zu einem Phänomen, das sich normalerweise weniger spektakulär, dafür aber in ganz anderen Dimensionen abspielt. Die mexikanischen Migrationsbehörden gehen davon aus, dass jährlich rund 400'000 Personen aus Mittelamerika versuchen, über ihr Territorium in die USA zu gelangen.

Um zu verhindern, dass sie die für ihre Korrumpierbarkeit und Brutalität gefürchtete mexikanische Grenzpolizei zurückschafft, stellen einige ein Asylgesuch. Deren Zahl hat sich während der letzten fünf Jahre mehr als verzehnfacht, ist aber mit rund 14'500 Gesuchen verglichen mit der Gesamtzahl der Flüchtenden noch immer relativ gering. In Mexiko bleiben die allermeisten Migranten aus Zentralamerika aber nur notgedrungen – nämlich, wenn es ihnen trotz wiederholter Versuche misslingt, in die USA zu gelangen.

Aus mexikanischer Sicht ist die Angelegenheit nicht nur wegen Trumps Vorwürfen heikel, wonach das Land zu wenig unternehme, um die Karawane aufzuhalten. Erschwerend kommt hinzu, dass Mexiko bis zum 1. Dezember faktisch zwei Präsidenten hat, die sich migrationspolitisch uneins sind. Der abtretende konservative Präsident Enrique Peña Nieto ist eher bereit, auf Trumps Forderungen nach einer härteren Linie einzugehen, der künftige linke Regierungschef Andrés Manuel López Obrador eher nicht.

Allerdings vermeidet es auch López Obrador, Trump durch direkten Widerspruch zusätzlich zu reizen. Er hat sich aber bereit erklärt, den honduranischen Migranten Arbeitsvisa auszustellen. Nach seinen Vorstellungen könnten sie sich an einem der zahlreichen Infrastrukturprojekte beteiligen, die er seinen Wählerinnen und Wählern versprochen hat. Das mag gut gemeint sein, bloss dürfte es bei den Betroffenen auf geringe Begeisterung stossen.

«Diese Tweets überraschen weder mich noch meine Regierung. Die Zwischenwahlen in den USA sind sehr nahe.»

Marcelo Ebrard, designierter mexikanischer Aussenminister

Wie vertrackt die Situation ist, zeigte sich vergangenen Woche, als der US-amerikanische Aussenminister Mike Pompeo Mexiko besuchte. Zum Thema Migration sprach er zunächst mit seinem noch amtierenden Amtskollegen Luis Videgaray, danach mit dem künftigen mexikanischen Aussenminister Marcelo Ebrard. Laut mexikanischen Medien sprach der Erste von «Souveränität», der Zweite von «Schutz für die Migranten» und von «Sozialprogrammen». Der Erste gelobte, Mexiko werde «den gewaltsamen Grenzübertritt zentralamerikanischer Migranten künftig verhindern», der Zweite soll gesagt haben, «wo zwei essen, essen auch drei».

Selbst wenn die Sätze eher kolportiert sein sollten, als dass sie wirklich gesprochen wurden, geben sie Mexikos Zwiespalt gut wieder. Belegt ist, dass Ebrard während eines Besuchs in Kanada Trumps bedrohliche Tweets in bemerkenswerter Unverblümtheit kommentierte: «Diese Tweets überraschen weder mich noch meine Regierung. Die Zwischenwahlen in den USA sind sehr nahe.»

Gerüchte und Sündenböcke

Mexikos aktuelle Regierung hat die zentralamerikanischen Migranten dazu aufgefordert, ihre juristische Situation zu «regeln», indem sie ein Asylgesuch stellen. Da dessen Beantwortung Monate dauert und die einzelnen Antragsteller unterschiedliche Antworten erhalten werden, steckt dahinter auch das Ansinnen, die Karawane zu zerstreuen und ihr so das Bedrohliche zu nehmen, das sie aus Sicht der US-Regierung ausstrahlt.

Sollten die Flüchtlinge nicht darauf eingehen und ihren Marsch an die US-Grenze geschlossen fortsetzen, werden sich die Gerüchte verstärken, die jetzt bereits kursieren: dass der Zug nicht aus spontaner Not entstanden sei, sondern organisiert und gesteuert werde.

Die honduranische Regierung, die sich mit noch härteren amerikanischen Vorwürfen und Drohungen konfrontiert sieht als die mexikanische, behauptet, linke, von Venezuela finanzierte Gruppierungen würden die Migranten zur Auswanderung anstacheln.

Sie will sogar einen geheimen Drahtzieher ausgemacht haben: einen linken Journalisten und Aktivisten namens Bartolo Fuentes. Laut honduranischem Aussenministerium hat Fuentes «während Jahren irreguläre Migrationsbewegungen ausgelöst, indem er unsere Landsleute belog und ihnen falsche Versprechungen machte».

Der Angeschuldigte antwortete in einem Interview mit CNN: «Sie schreiben mir übermenschliche Kräfte zu. Die Regierung sucht Sündenböcke, um davon abzulenken, dass sich in Honduras eine schreckliche humane Tragödie ereignet.»