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Messerattacke in Sydney
Ausschreitungen nach Terrorangriff auf Bischof

A police forensic officer works at a crime scene at the Christ the Good Shepherd church in suburban Wakely in western Sydney, Australia, Tuesday, April 16, 2024. Australian police say a knife attack in Sydney that wounded a bishop and a priest during a church service as horrified worshippers watched online and in person, and sparked a riot was an act of terrorism. (AP Photo/Mark Baker)
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Mit einem Messerangriff auf den Bischof der assyrischen Gemeinde in Sydney hat ein Jugendlicher schwere Krawalle in der australischen Küstenmetropole ausgelöst. Nach seiner live im Internet übertragenen Tat, von den Ermittlern rasch als Terrorattacke eingestuft, zog am Montagabend (Ortszeit) ein wütender Mob vor die Kirche im westlichen Vorort Wakeley.

Die Lage eskalierte, aus Dutzenden Krawallmachern wurden schnell Hunderte, die sich Strassenschlachten mit der Polizei lieferten. Am Tag darauf blickt der zuletzt schon mit einer tödlichen Messerattacke in einem Einkaufszentrum konfrontierte Premierminister auf eine weitere Nacht der Gewalt zurück und appelliert an seine Landsleute, keine Selbstjustiz zu üben. Doch was genau ist passiert – und wie konnte es dazu kommen?

Am frühen Abend, draussen ist es schon dunkel, hält Bischof Mar Mari Emmanuel eine Messe in der Christ the Good Shepherd Church in Wakeley. Wie viele Gläubige der Zeremonie per Livestream folgen, lässt sich nicht sagen – was sie sehen, löst aber zweifellos Entsetzen in der christlichen Gemeinde aus, deren Geschichte bis ins alte Mesopotamien zurückreicht. Ein Teenager, laut Polizeiangaben gerade einmal 16 Jahre alt, läuft auf den bärtigen Bischof zu. In seiner Hand: die Tatwaffe, offenbar ein Klappmesser. Der Jugendliche sticht mehrmals auf Kopf und Oberkörper des Bischofs ein, verletzt auch einen zu Hilfe eilenden Priester schwer. Augenzeugen stürmen nach vorn, überwältigen den Jungen mit dem markanten Wangenbart.

A man places flowers outside the Christ the Good Shepherd church in suburban Wakely in western Sydney, Australia, Tuesday, April 16, 2024. Australian police say a knife attack in Sydney that wounded a bishop and a priest during a church service as horrified worshippers watched online and in person, and sparked a riot was an act of terrorism. (AP Photo/Mark Baker)

Täter wurden mehrere Finger abgeschnitten

Es ist unschwer zu erahnen, wie sehr die Emotionen in diesem Moment hochkochen. Als die Polizei eintrifft und den Täter festnimmt, muss er selbst schwer verletzt im Krankenhaus operiert werden. Medienberichten zufolge sollen ihm mehrere Finger abgeschnitten worden sein. Auf Fragen von Journalisten, ob der wütende Mob dafür verantwortlich sei, entgegnet die Polizeichefin des Bundesstaats New South Wales später, dies sei Teil der Ermittlungen.

Beim Tatmotiv des Teenagers sei man sich hingegen sicher: Alles deute auf «religiös motivierten Extremismus» hin, sagte Polizeichefin Karen Webb. Der Junge habe offensichtlich allein gehandelt, sei schon vorher polizeibekannt gewesen, aber nicht wegen Terrorverdachts aufgefallen. Laut dem Sender ABC hatte er schon mehrfach Straftaten begangen, war im Umgang mit Messern geübt.

Bischof und Priester seien nach dem Angriff operiert worden und könnten «von Glück sagen, noch am Leben zu sein», sagte Webb. Angst um ihr Leben hatten auch die Einsatzkräfte, die den Verletzten zu Hilfe eilten. Angesichts der aufgebrachten Menge vor der Kirche verschanzten sich die Sanitäter in dem Gotteshaus und trauten sich über Stunden nicht nach draussen, während vor der Tür die zahlenmässig weit unterlegenen Polizisten ins Visier der Krawallmacher gerieten. «Plötzlich standen sie selbst in der Schusslinie», schilderte Webb. «Aus 50 wurden 500 Leute, für ein paar Stunden war die Lage ziemlich unkontrollierbar.»

Mit Ziegelsteinen und Zaunpfählen seien die Beamten attackiert worden, mehrere wurden verletzt, ein Polizist erlitt einen Kieferbruch. 20 Einsatzfahrzeuge wurden beschädigt, zehn sind nicht mehr einsatzbereit. Insgesamt mussten die Rettungsdienste nach eigenen Angaben 30 Patienten behandeln, viele hatten Pfefferspray abbekommen, sieben Verletzte wurden ins Krankenhaus gebracht. Erst mit Verstärkung anrückender Hundertschaften und Spezialeinheiten gewannen die Sicherheitskräfte wieder die Oberhand.

Solche Szenen haben in Australien Seltenheitswert

In Australien, wo die Polizei grossen Respekt geniesst und für ihr striktes Durchgreifen bekannt ist, haben solche Szenen Seltenheitswert. Am Morgen nach der Gewalt-Nacht versprach Webb, dass die Sicherheitsbehörden alle Gewalttäter ermitteln werden. «Alle, die an diesen Ausschreitungen beteiligt waren, können damit rechnen, dass wir an ihre Tür klopfen werden. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber wir werden euch finden und wir werden euch festnehmen.»

Das Chaos von Wakeley wühlt die Millionenmetropole Sydney auch deshalb so auf, weil viele Menschen noch immer unter dem Eindruck des jüngsten Geschehens im Osten der Stadt stehen. In einem Einkaufszentrum hatte ein psychisch kranker Mann am Samstag mit einem Messer auf Passanten eingestochen und sechs Menschen getötet. Umso mehr bemühte sich Australiens Premierminister Anthony Albanese nun darum, die Wogen zu glätten. Dass die Menschen verunsichert und besorgt seien, könne er angesichts der jüngsten Ereignisse gut verstehen. «Aber es ist inakzeptabel, Polizisten an ihrer Arbeit zu hindern und zu verletzen.»

Die assyrische Gemeinde in Aufruhr, Sicherheitskräfte in Not – und auch eine andere Gruppe fühlte sich in dieser Nacht bedroht: die muslimische Minderheit. Religiöse Einrichtungen im Westen Sydney seien aus Furcht vor Racheakten vorsichtshalber «von hunderten, wenn nicht tausenden Polizisten gesichert worden», sagte der Regierungschef von New South Wales, Chris Minns. Der Imam der Moschee im Stadtteil Lakemba berichtete, nach dem Angriff auf den Bischof sei mit einem Brandbombenanschlag auf das islamische Gotteshaus gedroht worden. «Ich bin besorgt, dass das als ein muslimisches Problem behandelt wird», wurde Dschamal-Ud-Din El-Kiki in australischen Medien zitiert. «Es geht aber um einen Teenager mit einem Messer, der sich entschlossen hat, eine fürchterliche Tat zu begehen.»

 

DPA/pash